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Pille danach

Apotheker sollen diskret beraten

03.12.2014  10:19 Uhr

Von Stephanie Schersch / Im Streit um die Pille danach ist nun auch die SPD aus der Deckung gekommen. Sie drängt Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) zu einer schnellen Freigabe aus der Rezeptpflicht. Die Union kann sich derweil vorstellen, die Beratung der Frauen in der Apotheke nach dem Vorbild der Schweiz zu organisieren.

Über Wochen hatte sich die SPD kaum gerührt, wenn es um Fragen zur Pille danach ging. Zwar ist ihre Haltung zu diesem Thema längst bekannt. So hatten die Sozialdemokraten vor der Bundestagswahl im vergangenen Herbst immer wieder auf eine Freigabe gedrängt. Doch zuletzt hatten sie vornehme Zurückhaltung geübt, um keinen Streit in der Koalition zu riskieren. Das ist nun vorbei.

 

Schneller Zugang

 

»Wir müssen Frauen nach ungeschütztem Geschlechtsverkehr oder Verhütungspannen den Zugang zu entsprechenden Präparaten erleichtern«, sagte SPD-Gesundheitsexpertin Martina Stamm-Fibich vergangene Woche. Nur wenige Tage zuvor hatte die Europäische Arzneimittelagentur EMA empfohlen, das Notfallkontrazeptivum EllaOne® mit dem Wirkstoff Ulipristal aus der Verschreibungspflicht zu entlassen. Gröhe hatte seine eiserne Ablehnung einer Freigabe da­raufhin ein Stück weit abgelegt und erklärt, unter Umständen sei auch eine intensive Beratung in den Apotheken der richtige Weg.

Der gesundheitspolitische Sprecher der Union, Jens Spahn (CDU), hat bereits genaue Vorstellungen, wie diese Beratung aussehen könnte. Er zeigte sich zwar grundsätzlich enttäuscht über die Empfehlung der EMA. »Es ist schade, dass unsere Argumente in Brüssel anscheinend nicht gehört werden«, so Spahn. Wichtig sei aber auch künftig vor allem eine gute und umfassende Beratung zur Pille danach. Um das sicherzustellen, schlägt Spahn ein Modell nach dem Vorbild der Schweiz vor. Demnach könnte in den Apotheken eine strukturierte Beratung mithilfe spezieller Beratungsbögen zur Vorschrift werden.

 

In der Schweiz gibt es eine verbindliche Leitlinie, der die Beratung in der Apotheke folgt. Der Apotheker stellt dabei eine Reihe von Fragen, um he­rauszufinden, ob die Abgabe der Pille danach überhaupt notwendig beziehungsweise sinnvoll ist. Wichtig ist, dass die Beratung vertraulich etwa in einem separaten Zimmer stattfindet. In Zweifelsfällen muss der Apotheker die Frau an einen Arzt verweisen, etwa dann, wenn der ungeschützte Geschlechtsverkehr mehr als 72 Stunden zurückliegt. Zum Beratungsgespräch gehören darüber hinaus Informationen zu sexuell übertragbaren Krankheiten und zur weiteren Verhütung.

 

Die SPD hat keine Bedenken, dass die Apotheker die Beratung betroffener Frauen sicherstellen können. Die Abgabe der Pille danach in Apotheken erspare gerade Frauen in ländlichen Gegenden höchst unwürdige Situationen, heißt es in einer gemeinsamen Mitteilung der SPD-Politikerinnen Hilde Mattheis und Mechthild Rawert. »Eine missbräuchliche Anwendung ist so auf jeden Fall ausgeschlossen.«

 

Feste Beratungskriterien

 

Sollte Ulipristal tatsächlich aus der Rezeptpflicht fallen, möchte Gröhe zunächst gemeinsam mit Frauenärzten, Apothekern und dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte verbindliche Beratungskriterien festlegen. Die Apotheker stehen diesem Vorschlag offen gegenüber. »Wir sind zu Gesprächen mit der Politik gerne bereit«, sagte eine ABDA-Sprecherin.

 

Die Entscheidung über EllaOne liegt nun bei der Europäischen Kommission. Sie will bis Ende Januar über die Freigabe bestimmen. Weil das Präparat eine zentrale EU-Zulassung besitzt, ist der Beschluss grundsätzlich bindend für alle Mitgliedstaaten. Trotzdem könnte Deutschland die Weisung aus Brüssel theoretisch umgehen. So erlaubt eine EU-Richtlinie den einzelnen Ländern, Verkauf, Lieferung und Gebrauch von empfängnisverhütenden oder schwangerschaftsunterbrechenden Arzneimitteln einzuschränken oder zu verbieten. Die jüngsten Reaktionen des Gesundheitsministers zeigen allerdings, dass er von dieser Möglichkeit nicht unbedingt Gebrauch machen möchte.

 

Zwei Wirkstoffe

 

Die SPD begrüßt den Kurswechsel im Ministerium. Sollte die Kommission EllaOne wirklich freigeben, dürfe Gröhe aber nicht allein Ulipristal von der Verschreibungspflicht befreien, mahnte Stamm-Fibich. Vielmehr müsse dann auch Levonorgestrel (LNG) ohne Rezept in der Apotheke erhältlich sein.

 

Über diesen Wirkstoff gibt es in Deutschland seit Monaten anhaltende Diskussionen. LNG kommt ebenfalls als Notfallverhütungsmittel zum Einsatz. In den meisten EU-Ländern gibt es das Präparat bereits ohne Rezept. In Deutschland stellt sich jedoch die Union bislang strikt gegen einen solchen Schritt. Stamm-Fibich sieht keinen Grund dafür, lediglich Ulipristal freizugeben. »Dieser Wirkstoff ist doppelt so teuer wie Levonorgestrel und außerdem weniger gut erforscht«, sagte sie. Studien belegten darüber hinaus eindeutig, dass die Sicherheitsprofile beider Wirkstoffe vergleichbar seien.

 

Auch Linken-Gesundheitsexpertin Kathrin Vogler drängt auf eine schnelle Freigabe beider Präparate. Zugleich müssten Union und SPD aber sicherstellen, dass junge und sozial benachteiligte Frauen die Pille danach auch künftig kostenfrei erhalten können, sagte sie. Ähnlich äußerte sich Kordula Schulz-Asche von den Grünen. CDU-Gesundheitsexperte Spahn hält eine Kostenübernahme nur bei Vorlage eines Rezepts für möglich. »Ansonsten wird die Pille danach wie andere rezeptfreie Medikamente dann nicht mehr von den Kassen bezahlt«, sagte er.

 

Der Verein demokratischer Pharmazeutinnen und Pharmazeuten forderte derweil, bei einer Freigabe der Pille danach Publikumswerbung für die entsprechenden Präparate zu verbieten. »Arzneimittelwerbung dient nicht der Information und der Förderung eines vernünftigen Arzneimittelgebrauchs, sondern der Umsatzsteigerung und nimmt dafür auch Desinformation in Kauf«, so der Verband. /

Kommentar

Alles gut

Endlich, in der deutschen Gesundheitspolitik setzt sich wieder rationales Denken durch. Der Europä­ischen Arzneimittelagentur EMA sei Dank müssen Politiker nicht mehr pharmazeutisch aufrüsten, um ihren Bedenken gegen die Pille danach ausreichend wissenschaftliche Tiefe einzuhauchen und so deren vermeintlich unkontrollierten Einsatz möglichst zu verhindern. Vor knapp zwei Wochen hatte die EMA empfohlen, das Notfallkontrazeptivum EllaOne aus der Verschreibungspflicht zu entlassen. Politiker, die mit ernster Miene darauf hinwiesen, dass es sich bei dem Präparat um ein pharmakologisch wirksames Medikament handele, können sich nun wieder ihren Kernkompetenzen zuwenden.

 

Die Rückkehr zur Sacharbeit gelang den meisten erfreulich schnell und brachte sogar das ebenfalls erfreuliche Ergebnis, dass nach dem EMA-Spruch plötzlich alle Beteiligten den Apothekern die Kompetenz zutrauen, Frauen angemessen über Notfallkontrazeptiva zu beraten – als ob dies jemals infrage gestanden hätte. Pharmakologisch wirksame Präparate sind Apothekern nicht fremd, sensible und diskrete Beratung auch nicht. Also alles gut? Diesmal ja, vor allem für die Frauen.

 

Daniel Rücker

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