Wie gut verstehen Laien pharmazeutische Fachbegriffe? |
30.11.2009 15:55 Uhr |
Von Marion Schaefer, Editha Räuscher und Ulrike Hiemer, Berlin / Die gesetzliche Legitimation der Lesbarkeitstests von Packungsbeilagen hat unbestritten zu einer Verbesserung der Patienteninformation geführt. Eine Befragung von 23 Verbrauchern zeigt, wie wichtig darüber hinaus für das Beratungsgespräch die Kenntnis ist, was der Vebraucher unter Begriffen wie Wechselwirkung, Dauertherapie, Nebenwirkung und Medikation versteht.
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Ohne Zweifel hat die verpflichtende Einführung einer neuen Gliederung für die Packungsbeilage (QRD-Template) und der im Rahmen des Zulassungsverfahrens EU-weit geforderte Lesbarkeitstest von Packungsbeilagen zu einer Verbesserung der Patienteninformation geführt, auch wenn der wissenschaftliche Beleg dafür noch aussteht. Lesbarkeitstests sind bezüglich des Prozederes gesetzlich geregelt (1, 2, 3, 4, 5) und werden inzwischen weitgehend standardisiert durchgeführt (6, 7).
Bei einem Lesbarkeitstest der Packungsbeilage durch potenzielle Anwender des jeweiligen Arzneimittels soll geprüft werden, ob sie die für sie relevanten Informationen, die für eine sichere Anwendung des jeweiligen Arzneimittels erforderlich sind, in der Packungsbeilage finden und auch verstehen können. Da der Lesbarkeitstest im persönlichen Interviewverfahren durchgeführt wird, vermittelt der direkte Kontakt zu den potenziellen Arzneimittelanwendern Einsichten und Erfahrungen, die es in der Regel vorab erlauben, die Packungsbeilage sprachlich so zu optimieren, dass der Lesbarkeitstest nach den vorgegebenen Kriterien (90 Prozent Auffindungsrate und davon eine 90 Prozent Verständnisrate) mit hoher Wahrscheinlichkeit bestanden wird.
Dennoch muss immer wieder kritisch hinterfragt werden, auf welche beim Leser vorhandene gedanklichen Konstrukte neue Informationen treffen und wie sie verarbeitet werden. Nach wie vor gilt – und dies ist nicht zuletzt eine Konsequenz der mit vielen Detailinformationen überfrachteten Packungsbeilagen, – dass Verbraucher häufig mit Abwehr reagieren, wenn sie gesundheits- oder arzneimittelbezogene Informationen nicht bewerten können oder sich anderweitig überfordert fühlen.
Befragt man Verbraucher nach ihrem bisherigen Leseverhalten bezüglich Packungsbeilagen oder vergleichbaren Informationsmaterialien, geben die Ergebnisse deshalb noch immer Anlass zur Besorgnis. In einer Stichprobe wurden im Zeitraum von Januar bis Juli 2009 die Packungsbeilagen acht verschiedener Arzneimittel unterschiedlicher Indikation und Darreichungsform näher untersucht und einem Lesbarkeitstest unterzogen. Die Dateneingabe und Analyse erfolgte mit MS Office und SPSS. Für jedes pharmazeutische Produkt wurden insgesamt 23 Personen befragt (Tabelle 1).
Verbraucher (n=184) | |
---|---|
Alter | Median: 47 Jahre (16-83 Jahre) |
Geschlecht | 61,4% Frauen/38,6% Männer |
Bildungsabschluss |
2,7% ohne Abschluss 22,8% Hauptschule 56,0% Realschule 10,3% Abitur/Fachhochschulreife 8,2% Fach-/Hochschulstudium |
derzeitige Tätigkeit |
21,2% nicht beschäftigt 51,1% beschäftigt 27,7% berentet |
Häufigkeit täglichen Lesens |
1,1% gar nicht 24,5% selten 42,9% häufig 31,5% viel |
Häufigkeit des Lesens von Packungsbeilagen |
4,9% gar nicht 27,7% selten 8,7% häufig 58,7% immer |
Dabei zeigte sich, dass Packungsbeilagen von 27,7 Prozent der Teilnehmer selten und von 4,9 Prozent überhaupt nicht gelesen werden. Immerhin geben aber 67,4 Prozent der Befragten an, dass sie Packungsbeilagen häufig (8,7 Prozent) oder sogar immer (58,7 Prozent) lesen, wobei man allerdings ein sozial erwünschtes Antwortverhalten nicht ausschließen kann. Zu einem ganz ähnlichen Ergebnis kam aber auch eine kürzlich von der Techniker-Krankenkasse durchgeführte Befragung, bei der 66 Prozent der insgesamt 1000 Teilnehmer angaben, dass sie den Beipackzettel immer lesen und nur 17 Prozent selten oder nie (8). Im Rahmen der eigenen Befragung konnte jedoch festgestellt werden, dass knapp die Hälfte von ihnen die Packungsbeilage auch vollständig liest, während die Übrigen sich nur auf bestimmte Abschnitte konzentrieren (Abbildung 1). Dabei sind für die Anwender vor allem die Informationen zur Einnahme (36,4 Prozent) und zu den Nebenwirkungen (37,5 Prozent) von Interesse.
Erfahrungsgemäß geben Verbraucher auch relativ freizügig Auskunft über ihr gesundheitliches Verhalten, vorausgesetzt man fragt sie danach, ohne eine vorgefasste Erwartungshaltung zu kommunizieren. Auch Kenntnisse darüber, was Patienten unter Begriffen verstehen, die ein Arzneimittel qualitativ charakterisieren, können für das individuelle Beratungsgespräch erst dann nutzbar gemacht werden, wenn bekannt ist, in welchen inhaltlichen Kontext sie sie einordnen und welche eigenen Erfahrungen oder Zusammenhänge sie damit assoziieren.
Verbraucher (n=23) | |
---|---|
Alter | Median: 52 Jahre (19-74 Jahre) |
Geschlecht | 47,8% Frauen, 52,2% Männer |
Bildungsabschluss |
4,3% ohne Abschluss 26,1% Hauptschule 56,5% Realschule 4,3% Abitur/Fachhochschulreife 8,7% Fach-/ Hochschulstudium |
derzeitige Tätigkeit |
21,8% nicht beschäftigt 39,1% beschäftigt 39,1% berentet |
In einer weiteren Befragung wurden deshalb Verbraucher unterschiedlichen Alters und Bildungsniveaus (Tabelle 2) nach den Bedeutungsinhalten von vier Begriffen gefragt, die häufig in Zusammenhang mit Arzneimitteln genannt werden, und zwar Wechselwirkung, Dauertherapie, Nebenwirkung und Medikation (Tabellen 3 und 4). Dabei sollten die befragten Personen angeben, was sie unter den jeweiligen Begriffen verstehen und zusätzlich zu den Begriffen »Dauertherapie« und »Nebenwirkungen« Beispiele nennen. Während allen Verbrauchern der Begriff »Nebenwirkung« bekannt war und richtig erklärt wurde, war dies bei den drei anderen Begriffen nicht in gleicher Weise der Fall (Abbildung 2). Eine 19-jährige Frau mit Realschulabschluss verstand unter Dauermedikation die längere Einnahme eines einzelnen Arzneimittels wie zum Beispiel die Einnahme eines Antibiotikums bei Angina.
Obwohl den Verbrauchern der Begriff »Wechselwirkungen« bekannt war, konnten ihn 17,4 Prozent nicht schlüssig erklären (siehe Tabelle 3). Bezüglich der Wechselwirkungen stellte auch die bereits zitierte TK-Umfrage fest, dass nur 17 Prozent der Befragten darin überhaupt eine Gefahr für Ihre Gesundheit sahen.
Geschlecht | Alter (Jahre) | Bildungsabschluss | Was verstehen Sie unter Wechselwirkungen? |
---|---|---|---|
männlich | 70 | Realschule | »mehrere Medikamente, man muss schauen, dass eines zum anderen passt und keine Auswirkungen auf eine andere Erkrankung hat« |
männlich | 24 | Hauptschule | »wenn sich die Symptome anders auswirken als vorher« |
männlich | 51 | Realschule | »Dosierung der Medikament, Einnahme mit Flüssigkeit, ob man es einnehmen darf oder nicht« |
weiblich | 19 | Hauptschule | »erst zum Beispiel übel, dann geht es besser« |
Am schlechtesten verständlich in der vorliegenden Befragung war jedoch der in Fachkreisen häufig verwendete Begriff »Medikation«, der von den meisten Befragten mit anderen Begriffen wie zum Beispiel die Dosierung oder der Zeitpunkt der Einnahme (vor/zu/nach dem Essen) umschrieben wurde (siehe dazu Tabelle 4).
Geschlecht | Alter (Jahre) | Bildungsabschluss | Was verstehen Sie unter Medikation? |
---|---|---|---|
männlich | 36 | Realschule | »Dosierung/Zeit/das »Wie« der Einnahme« |
weiblich | 53 | Realschule | »Überprüfung aller Medikamente, die man einmal einnimt (Dosierung etc.)« |
männlich | 24 | Hauptschule | »Dosierung von einem Medikament« |
weiblich | 45 | Hauptschule | »so oder so viele Tabletten von der einen und so viele von der anderen Sorte; morgens/mittags/abends; wie oft und wieviel nehme ich von einem Arzneimittel ein« |
männlich | 51 | Hauptschule | »15 Tropfen morgens/mittags/abends, oder auch Tabletten (Dosierung)« |
weiblich | 19 | Realschule | »irgendetwas mit Medikamenten« |
weiblich | 74 | Realschule | »wie viele Tabletten ich zu welchem Zeitpunkt einnehme« |
männlich | 66 | Hauptschule | »genaue Einnahme eines Medikamentes: wie oft, genauer Zeitpunkt, vor/nach/zum Essen« |
männlich | 43 | Realschule | »Menge und Zeit, wann ein Medikament eingenommen wird und Art und Weise« |
Diskussion der Ergebnisse
Patienten, die in die Apotheke kommen, um ein verordnetes Arzneimittel abzuholen oder zu erwerben, repräsentieren praktisch alle Bevölkerungsschichten und damit auch ein unterschiedliches Bildungsniveau, das häufig auch mit einem unterschiedlichen Interesse an gesundheitlichen Informationen, hier bezogen auf die Packungsbeilage, assoziiert ist. Befragungen, die in Zusammenhang mit Lesbarkeitstests von Packungsbeilagen durchgeführt werden, erlauben seit einiger Zeit eine Erfassung und Fortschreibung entsprechender Informationen, die auch für die Beratungstätigkeit in der öffentlichen Apotheke von Bedeutung sind. Hinweise zur Arzneimittelanwendung sollten deshalb immer in ein wenn auch nur kurzes Gespräch eingebettet werden, um durch die Reaktion des Patienten beurteilen zu können, ob und wie diese die Informationen auffassen und verstehen. Denn nur so kann man davon ausgehen, dass die gegebenen Beratungshinweise in der häuslichen Umgebung später auch umgesetzt werden.
Fazit
Die grundsätzlich gegebene Möglichkeit der direkten Kommunikation mit den Patienten ist unter den gegenwärtigen Bedingungen die größte Stärke für die öffentlichen Apotheken. Um die Strategie der Wissensvermittlung noch besser als bisher an die Kenntnisse der Patienten anpassen zu können, ist es notwendig zu wissen, was diese mit bestimmten Begriffen assoziieren. Dies ist auch wichtig vor dem Hintergrund immer stärker spürbarer Bemühungen, Entscheidungen über Nutzen und Risiken einer Arzneimittelanwendung auf der Grundlage formal korrekt zur Verfügung gestellter Informationen dem Patienten zu übertragen, der damit häufig überfordert ist.
Fragestellungen, die sich auf die Themen einer patientenorientierten Kommunikation sowie die damit verbundenen Erwartungen, Nutzen und Risiken konzentrieren, sollten deshalb verstärkt in den Blickpunkt der wissenschaftlichen Forschung gerückt werden. /
Literatur
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European Commission, A guideline on the readability of the label and package leaflet of medicinal products for human use, 29 September 1998.
MHRA, Guidance on user testing of patient information leaflets, June 2005.
MRFG, MRFG/CMD (h) Concept Paper – Achieving Harmonised Patient Information, September 2005.
European Commission, Guidance concerning consultations with target patient groups for the package leaflet, May 2006.
European Commission, Guideline on the readability of the label and package leaflet of medicinal products for human use, January 2009, Revision 1.
Räuscher, E., Birnbaum, U., Schaefer, M.: Erste Erfahrungen mit Lesbarkeitstests von Packungsbeilagen, Pharm. Ind. 2006, 68(12): 1347-1350.
Hiemer, U., Räuscher, E., Schaefer, M.: Regulatorische Anforderungen und allgemeine Erfahrungen in der Umsetzung von Lesbarkeitstests bei Packungsbeilagen, Pharm. Ind. 2007, 69(11): 1248-1253.
NN: TK-Umfrage, Apotheker fragen zu selten nach. Deutsche Apotheker Zeitung 2009, 149 (32): 3607.