»Jede Apotheke kann dies leisten« |
29.11.2011 16:20 Uhr |
Von Brigitte M. Gensthaler, München / Nicht nur Schwerpunkt-apotheken können HIV-Patienten umfassend betreuen. Leisten kann dies auch eine kleine Apotheke, sagt die Münchner Apothekerin Isolde Meyer. Man müsse den Menschen sehen und annehmen, dann komme er auch mit seinen Problemen.
PZ: Sie haben keine HIV-Schwerpunktapotheke und engagieren sich doch für HIV-Patienten. Wie kam es dazu?
Meyer: Mein Bestreben ist, dass sich jeder Kunde und Patient bei uns in der Apotheke gut aufgehoben fühlt. Damals versorgte ich zwei HIV-Patienten und wollte sie einfach besser beraten. Die Patienten wussten mehr als ich über ihre Erkrankung und Therapie; das hat mich gereizt, mich mit diesem Thema auseinanderzusetzen. Unsere Apothekenphilosophie lautet: Kundenzufriedenheit bei größter Arzneimittelsicherheit. Das gilt natürlich auch für eine kleine Gruppe wie HIV-Positive.
PZ: Wie viel HIV-infizierte Kunde betreuen Sie inzwischen?
Meyer: Etwa 20 Patienten und die Zahl nimmt zu. Das geschieht über Mundpropaganda.
PZ: Was können Sie als Offizin-Apothekerin im Gegensatz zum Versandhandel den Kunden bieten?
Meyer: Viel. Wir kennen uns eben. Man muss den Menschen sehen und annehmen, dann kommt er auch mit seinen Problemen. Oft sind es heikle Themen, die wir ansprechen. Dazu ist viel Vertrauen nötig. Im persönlichen Gespräch frage ich jedes Mal, wie es geht. Ganz oft antworten die Kunden: gut, aber . . . Dann hake ich nach. Manchmal sehe ich schon bei der Begrüßung, dass ein Kunde beispielsweise abgenommen oder gelbe Augen bekommen hat, seit er bestimmte Medikamente nimmt. Oder Störungen in der subkutanen Fettverteilung. Darunter leiden Frauen besonders, weil man diese Veränderungen sofort sieht. Ich spreche die Leute darauf an und berate sie. Manchmal kann ich Patienten auch beruhigen, weil ich ihnen Angst nehmen kann. Das alles kann eine Hotline nie leisten.
PZ: Sind Sie in ein lokales Netzwerk eingebunden?
Meyer: In meiner Umgebung kenne ich Ärzte, Zahnärzte oder auch Spezialisten für kosmetische Chirurgie; ich weiß, wer HIV-Infizierte behandelt. Ich kenne Netzwerke und kann Patienten gezielt darauf hinweisen, wenn sie fragen. Übrigens lerne ich viel von meinen Patienten, wenn sie mir über ihre Erfahrungen berichten. Das ist ein lebendiger Austausch.
PZ: Viele HIV-infizierte Menschen leiden an psychischen Erkrankungen wie Burn-out und Depression. Können Sie als Apothekerin zur Bewältigung beitragen?
Meyer: Depressive Patienten brauchen Antidepressiva und eine Psychotherapie. Ich kann die Adherence in der Pharmakotherapie unterstützen, Einnahmehilfen erklären, die Motivation stärken und nicht-medikamentöse Maßnahmen empfehlen. Außerdem will ich die Menschen motivieren, dass sie rausgehen und sich nicht abkapseln. Aber es ist noch mehr: Oft wollen die Patienten einfach nur mit mir reden. Sie spüren, dass ich keine Berührungsängste habe, denn ich mag die Menschen und gehe auf sie zu.
PZ: Was raten Sie Kollegen, die sich in die Beratung von HIV-Patienten tiefer einarbeiten wollen?
Meyer: Man muss schon einiges lernen dafür, denn die meisten Patienten kennen sich gut aus. Mir helfen Fortbildungen, Vorträge und Gespräche mit Ärzten und Kollegen weiter. Als Apotheker sollte man zunächst die Arzneimittel in der Tripletherapie kennen. Unbedingt muss man Fachausdrücke parat haben und wissen, was CD4-Helferzellen und Viruslast bedeuten. Diese beiden Zahlen kennt jeder HIV-Patient, denn sie entscheiden über seine Therapie, manchmal auch über sein Leben.
PZ: Was wünschen Sie sich für Ihre Patienten?
Meyer: Die Diskriminierung im Alltag ist immer noch ein ganz großes Problem. Aber die Vorbehalte sind nicht gerechtfertigt. Beim alltäglichen Kontakt mit einem Infizierten steckt man sich nicht mit HIV an. Die Angst davor sollte endlich abnehmen. /
Isolde Meyer hat die Beratungsleitlinie »HIV-Beratung in der Wittelsbacher-Apotheke« im Rahmen ihrer Weiterbildung Prävention und Gesundheitsförderung erarbeitet und stellt diese interessierten Kollegen auf Anfrage zur Verfügung (isolde.meyer(at)wittelsbacher-apotheke.de).Für ihre Arbeit erhielt sie bei der Verleihung des WIPIG-Präventionspreises den ersten Preis in der Kategorie »Projekte aus der Apotheke«.