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Unipolare Depression

Leitlinie neu aufgelegt

18.11.2015  09:36 Uhr

Von Annette Mende, Berlin / Was tun, wenn ein Mensch depressiv ist? Diese Frage beantwortet in Deutschland die Nationale Versorgungs-Leitlinie unipolare Depression. Sie liegt jetzt in einer neuen Fassung vor.

»In den vergangenen Jahren hat es große Fortschritte bei den Behandlungsmöglichkeiten für Menschen mit Depression gegeben«, sagte Dr. Iris Hauth, Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN), bei der Vorstellung der Leitlinie in Berlin. Leider seien diese aber noch nicht überall in der Praxis angekommen. Das soll sich mit der Neufassung der Leitlinie ändern, an deren Erstellung 30 Fachgesellschaften, Verbände und Organisationen unter der Federführung der DGPPN beteiligt waren.

 

Einige Neuerungen

 

Es handelt sich um eine S3-Leitlinie, also eine mit dem höchstmöglichen Evidenzniveau, wie Professor Dr. Frank Schneider von der Uniklinik der RWTH Aachen betonte. Alle Empfehlungen der alten Leitlinie aus dem Jahr 2009 seien von den Autoren begutachtet und bei Bedarf ergänzt worden, zudem seien einige neue Kapitel hinzugekommen. Die Neuerungen betreffen unter anderem Empfehlungen zur Therapie von älteren Patienten und solchen mit Migrationshintergrund, zu körperlichem Training und zu bestimmten Psychotherapie-Verfahren. Auch bei den Arzneimitteln gibt es einiges Neues.

 

So schlägt die Leitlinie beispielsweise für Patienten, die nicht auf eine Mono­therapie mit Antidepressiva ansprechen, die Hinzunahme eines Antipsychotikums vor. Wirkstoffe, die hierfür infrage kommen, sind Quetiapin, Aripiprazol, Olanzapin und Risperidon, wobei nur der erstgenannte Arzneistoff in dieser Indikation zugelassen ist. Ältere Menschen mit Depression sollen laut Leitlinie in gleicher Weise behandelt werden wie Junge, allerdings ist bei ihnen das Nebenwirkungsprofil beziehungsweise die Verträglichkeit der Antidepressiva verstärkt zu beachten. Erhalten ältere Patienten Trizyklika, sollte die Therapie mit einer niedrigen Dosis begonnen werden.

 

Nichts geändert hat sich am Stellenwert der Pharmako- im Verhältnis zur Psychotherapie. Nach wie vor werden beide Therapieformen bei leichten bis mittelschweren depressiven Episoden als gleichwertig eingestuft. Patienten, die sich gemeinsam mit ihrem Therapeuten für eine Behandlungsalterative entscheiden sollen, haben also eine echte Wahlmöglichkeit. Bei akuten schweren Depressionen sollen Psychotherapie und Antidepressiva kombiniert werden, ebenso jetzt auch bei chronischer Depression.

 

Strukturiertes Training empfohlen

 

Sport hilft nicht nur, um körperlich fit zu bleiben, sondern tut auch der Seele gut. Dieser Erkenntnis trägt die Leitlinie Rechnung, indem sie Patienten, die körperlich dazu in der Lage sind, Sport empfiehlt, und zwar ein strukturiertes körperliches Training unter Anleitung. Beispiele für entsprechende Angebote sind etwa Laufgruppen für depressive Patienten oder zertifizierte Rehasportgruppen. Dabei ist laut Leitlinie die optimale Dauer und Intensität der Belastung noch nicht ausreichend untersucht. Unklar bleibe auch, welche Art von körperlichem Training – Ausdauer-, Krafttraining oder eine Kombination aus beidem – am effektivsten ist.

 

Ergänzt wurde die Leitlinie um Empfehlungen zum Umgang mit Patienten nicht deutscher Herkunft. »Angesichts der vielen Flüchtlinge, die momentan nach Deutschland kommen, ist das ein sehr aktuelles Thema«, sagte Schneider. Laut Leitlinie sollen »kultur- und migrationsspezifische Faktoren im Rahmen der Anamnese, Diagnostik und Therapie depressiver Erkrankungen berücksichtigt werden«. Dies erleichtere »die Akzeptanz der Behandlung und die therapeutische Mitarbeit«. Das wird wohl niemand ernsthaft infrage stellen, obwohl die entsprechenden Absätze nur einen niedrigen Evidenzgrad haben.

Depressionen

Depressionen zählen weltweit zu den wichtigsten Volkskrankheiten. Laut Selbstauskunft leidet in Deutschland etwa jeder achte Erwachsene im Laufe des Lebens an einer depressiven Störung. Bundesweit sind innerhalb eines Jahres rund 6,2 Millionen Menschen betroffen. Die WHO geht davon aus, dass unipolare Depressionen bis 2030 vor allen anderen Krankheiten stehen, was Lebensbeeinträchtigung und vorzeitigen Tod angeht.

Unterdiagnostiziert und untertherapiert

 

Empfehlungen auf dem neuesten Stand sind das eine – wie gut diese umgesetzt werden, das andere. Das gilt für die Therapie von Patienten mit psychischen Erkrankungen, die in Deutschland in sechs von zehn Fällen vom Haus- und nicht vom Facharzt betreut werden, ganz besonders. Schneider hofft, dass die Neufassung der Leitlinie eine breite Resonanz finden wird: »Wir haben jetzt für alle Berufsgruppen, die an der Versorgung von depressiven Patienten beteiligt sind, gemeinsame verbindliche Vorgaben.«

 

Ein Grundproblem im Umgang mit depressiven Patienten kann jedoch auch die neue Leitlinie nicht lösen, nämlich dass Betroffene sich häufig einer Diagnose entziehen, sei es durch Rückzug oder das Errichten einer Es-geht-mir-gut-Fassade. Auch die trotz aller Bemühungen noch immer vorhandene gesellschaftliche Stigmatisierung psychischer Erkrankungen führt dazu, dass Patienten sich schwer damit tun, sich selbst und anderen gegenüber ihre Hilfe­bedürftigkeit einzugestehen.

 

»Bevor Sie eine Erkrankung therapieren können, muss sie aber erst einmal diagnostiziert werden«, sagte in Berlin die ehemalige Patientin Beatrix Wirtz. Sie sei sehr erstaunt gewesen, wie wenige Ärzte etwa bei ihr die Fassade der erfolgreichen Frau, die mitten im Leben steht, durchschaut und das dahinter liegende Elend erkannt hätten. Hier sei die Sensibilität jedes Einzelnen gefragt, der mit dem Betroffenen in Kontakt kommt. /

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