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Kanzlerin vor schweren Aufgaben

21.11.2005  13:26 Uhr

Koalition

<typohead type="3">Kanzlerin vor schweren Aufgaben

von Thomas Bellartz, Berlin, und Daniel Rücker, Eschborn

 

Seit Dienstag wird Deutschland von einer Kanzlerin und von einer großen Koalition regiert. Die Aufgaben sind vielfältig, die Konfliktherde auch. Bestes Beispiel ist die Gesundheitspolitik. Weit vor der Reformdebatte, die 2006 beginnen soll, kamen sich die Koalitionäre erstmals in die Haare.

 

Apothekerinnen und Apotheker werden im am Dienstag vereidigten Bundeskabinett einige alte Bekannte wiederfinden. Zwar nicht mehr als Superministerin, aber immerhin zu den erfahrensten Ministern zählend: Ulla Schmidt (SPD). Bereits seit 2001 hält sich die Aachenerin auf dem Posten der Gesundheitsministerin. Nun soll sie auch in den kommenden vier Jahren darauf achten, dass eine der wahrscheinlichsten Bruchstellen innerhalb der großen Koalition halten wird.

 

Schmidt gilt zwar über die Parteigrenzen hinweg als eine Expertin fürs Menscheln. Allerdings dürfte der im Zuge des GMG im Jahr 2003 erreichte Kompromiss nicht die Basis sein für das Reformwerk, das Schmidt noch vor sich hat. Im Frühjahr soll sich erstmals eine Arbeitsgruppe treffen, die ­ gespickt mit Experten und Vertretern der Regierungsparteien ­ eine Reform des Gesundheitssystems beschließen soll.

 

Das dürfte, auch wenn sich in der jüngsten Ausgabe des Magazins »Stern« bereits die Professoren Bert Rürup und Karl Lauterbach auf ein gemeinsames Gesellenstück verständigten, schwieriger sein, als einige glauben. Die große Koalition wird mit all den Punkten auf eine Probe gestellt werden, die nicht im gemeinsam formulierten Koalitionsvertrag fixiert wurden. Und dazu zählt ­ aus gutem Grund ­ die Gesundheitsreform.

 

Schmidt wird noch am ehesten zugetraut, diese Aufgabe zu meistern. Anders als Kabinettskollege Horst Seehofer (CSU), der sich gerne dann zurückzieht, wenn er seine Position nicht durchsetzen kann, zieht Schmidt zunächst alle Register politischen Handelns. Die Ministerin gilt als perfekte Strippenzieherin. Ihr gelang es, ganz im Gegensatz zu anderen Frauen in der SPD-Parteispitze und auch in der Regierung, den Respekt von Kanzler Gerhard Schröder (SPD) einzuheimsen. In harten Auseinandersetzungen ließ sich Schmidt nicht von Lobbygruppen beirren oder gar einfangen.

 

Trotzdem hat die Sozial- und die Gesundheitspolitik seit der Vereidigung des Kabinetts ein neues, größeres Gewicht. Die Zeit der großen Außenpolitik, der Internationalisierung am Kabinettstisch dürfte zwar nicht vorbei sein, aber zumindest einer größeren Nüchternheit weichen. Das Programm der rot-schwarzen Regierung ist denkbar hart. Merkel & Co. bleiben wenig mehr als zwölf Monate, um den Reformmotor zum Laufen zu bringen ­ und die Konjunktur gleich mit. Von größter Wichtigkeit dürfte daher eine schnelle Einigung in der Gesundheitspolitik werden.

 

Erste Krise überstanden

 

Bevor es zur feierlichen Inthronisierung der neuen Regierung kam, musste die Koalition bereits ihre erste Krise bestehen. Zumindest die Schlichtungsgeschwindigkeit lässt hoffen. Gerade einmal 48 Stunden nachdem Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt die privaten Krankenversicherungen (PKV) abschaffen wollte, bekannten sich SPD und Union zu einer gemeinsamen Reform ungewissen Inhalts.

 

Der Dissens begann am vergangenen Donnerstag. In einem Interview mit der »Berliner Zeitung« hatte Schmidt am vergangenen Donnerstag für eine einheitliche Honorierung ärztlicher Leistungen plädiert. Eine neue Gebührenordnung solle gewährleisten, dass private Krankenversicherungen und Krankenkassen Ärzten für dieselbe Leistung dasselbe bezahlen. Dann würden Kassenpatienten auch nicht mehr benachteiligt, so Schmidt. Heute müssten gesetzlich Krankenversicherte deutlich länger auf eine Behandlung warten, sagte Schmidt.

 

Es sei nicht hinnehmbar, dass ein gesetzlich versicherter Tumorpatient erst nach mehreren Wochen einen Termin bei einem Spezialisten erhalte, so Schmidt. Mit der Union sei sie sich einig, dass dieses Problem schnell gelöst werden müsse. Ein Nebeneinander von gesetzlicher und privater Versicherung gebe es fast nirgendwo auf der Welt. Es könne nicht sein, dass »wer Geld hat und gesund ist, sich aus der Solidarität verabschieden kann«.

 

Die Ministerin dürfte es kaum gewundert haben, dass sich das Lob für die geplante Abschaffung der PKV in Grenzen hielt. In seltener Einigkeit liefen Ärzteverbände, Kassenärztliche Vereinigungen und Ärztekammern Sturm gegen Schmidts Pläne. Auch der Koalitionspartner zeigte sich verwundert. »Der Koalitionsvertrag gibt das so nicht her«, sagte der designierte Unions-Fraktionschef Volker Kauder. Auch der baden-württembergische Sozialminister Andreas Renner wurde deutlich. Es dränge sich der Verdacht auf, Schmidt wolle mit diesen Vorschlägen die PKV unattraktiv machen und ein »Bürgerversicherung durch die Hintertür« einführen. Er warnte Schmidt davor, »die Koalitionsvereinbarungen zu unterlaufen«.

 

Keine Dumping-Sätze

 

Die Ärzte wehren sich gegen Schmidts Vorschlag, weil viele auf die höheren Honorare der Privaten Krankenversicherungen angewiesen sind. Der Präsident der Bundesärztekammer, Professor Dr. Jörg-Dietrich Hoppe, warnte indes vor Dumping-Sätzen für private Leistungen. Die Vorwürfe einer Zwei-Klassen-Medizin wies er zurück. »Privat Versicherte und Kassenpatienten werden qualitativ gleich behandelt«, betonte er. Zu den Wartezeiten für Kassenpatienten komme es, weil oftmals die vorgegebenen Budgets bereits ausgereizt seien. »Kaschiert wird das mit der Behauptung, Privatpatienten würden bevorzugt behandelt, weil sie den Ärzten höhere Honorare einbrächten. Hier werden Tatsachen verdreht«, sagte Hoppe.

 

Die völlige Gleichbehandlung von Privat- und Kassenpatienten ist sicherlich nicht überall gelebte Praxis. Dennoch ist Schmidts Vorwurf, Kassenpatienten müssten wegen der Bevorzugung von Privatversicherten länger warten, sicherlich falsch. Rund 90 Prozent der Bundesbürger sind gesetzlich versichert, es ist unwahrscheinlich, dass ausgerechnet die übrigen 10 Prozent die Wartezimmer verstopfen.

 

Die Ärzte behaupten deshalb auch genau das Gegenteil. Eine Absenkung der privaten Honorare würde die Versorgung der GKV-Patienten nicht verbessern, sondern verschlechtern. Viele Praxen wären dann nicht mehr lebensfähig. Gerade in ländlichen Regionen käme es dann zu noch größeren Versorgungslücken.

 

Lob erhielt Schmidt dagegen erwartungsgemäß von einigen Krankenkassen und vom Deutschen Gewerkschaftsbund. Dessen stellvertretende Vorsitzende Ursula Engelen-Kefer forderte, die Versicherungspflichtgrenze abzuschaffen. Was der PKV dasselbe Schicksal bescheren würde. Wie Schmidt setzt auch Engelen-Kefer auf Sozialneid. »Wir können nicht zusehen, dass in der GKV immer schlechtere Risiken konzentriert sind.« Die Abwanderung junger, gesunder Gutverdiener von der Gesetzlichen zur Privaten Krankenversicherung entzieht dem gesetzlichen System nach Angaben des Gesundheitsministeriums im Jahr mehr als eine Milliarde Euro an Überschüssen.

 

Dem kann sich auch Professor Dr. Karl Lauterbach nicht ganz entziehen. »Die nächste Reform wird scheitern, wenn Privatversicherte nicht stärker einbezogen werden«, sagte er der »Süddeutschen Zeitung« (Freitag). Er schlug vor, den Finanzausgleich der gesetzlichen Kassen auch auf die Privatversicherer auszudehnen.

 

Auch wenn Niedersachsens Ministerpräsident Christian Wulff bereits vermutete, die Gesundheitspolitik könne die »Sollbruchstelle« der Koalition werden, erzielten Union und SPD innerhalb weniger Tage zumindest einen Burgfrieden. Man bemühe sich um einen Kompromiss, sagten Unions-Fraktionschef Volker Kauder und Ministerin Schmidt. Wie dieser aussehen soll, offenbarten beide nicht, CDU-Vize Christoph Böhr betonte dagegen, die Union bleibe bei ihrer »Gesundheitsprämie« und lehne die Bürgerversicherung ab.

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