Typisch britisch |
12.11.2012 13:42 Uhr |
Von Stefanie Sickinger, Nottingham / Wenn man an die Britischen Inseln denkt, fallen einem für gewöhnlich Teetrinken, »Fish & Chips« und Regenwetter ein. Aber Großbritannien hat noch viel mehr zu bieten. Davon konnte ich mich während meines sechsmonatigen Praktikums im Rahmen des Praktischen Jahres selbst überzeugen. Ein Erfahrungsbericht.
Der Arbeitskreis von Professor Dr. Claire Anderson an der School of Pharmacy der University of Nottingham arbeitet zusammen mit der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und dem Weltapothekerverband FIP an einer weltweiten Studie, deren Ziel es ist, den Ausbildungshintergrund, die Beschäftigungsrate und die Art der Ausbildung zu ermitteln und sich über die Qualität des Studiums an verschiedenen Universitäten zu vergewissern.
Hierfür wurden zum Beispiel allein in Afrika Fragebögen an 64 Pharmazie-Universitäten gesendet, deren Daten nun ausgewertet werden. Diese Erhebungen sind unerlässlich, um Lücken und Mängel in der Ausbildung aufzudecken, internationale Zusammenarbeit zu ermöglichen und evidenzbasierte Informationen zu liefern, welche für neue Investitionen nötig sind, um die Kapazitäten der Pharmazieausbildung völlig auszuschöpfen. Wie bei jeder Datenauswertung waren unzählige Exceltabellen mit Zahlen zu füllen. Diese waren dann auszuwerten und in eine präsentationsfähige Form zu überführen. Ziel war es, die Ergebnisse auf dem diesjährigen FIP-Kongress in Amsterdam vorzustellen.
Apotheke in England
Im Bezug auf das britische Apothekenwesen waren schon auf den ersten Blick einige Unterschiede zu Apotheken in Deutschland festzustellen. Medikamente reihen sich in supermarktähnlichen Regalen aneinander und anstatt in einem Schubladensystems stapeln sich Arzneischachteln hinter dem Counter in Boxen und Körben. Kein verschreibungspflichtiges Medikament verlässt eine englische Apotheke, ohne vorher auch physisch durch die Hand des Apothekers zu gehen. Bringt ein Patient ein Rezept in die Apotheke, so wird es vom Personal (meist Pharmacy Technician) an der Kasse entgegengenommen und anschließend an die Dispensary weitergegeben, in der das Medikament gewählt und ein Klebeetikett ausgedruckt wird, das den Namen des Patienten und des Medikaments, die Einnahmeinformation sowie Warnhinweise enthält. Dieses Etikett wird auf die Medikamentenpackung geklebt und sowohl von der Person, die das Label produziert und das Medikament ausgewählt hat, als auch vom Apotheker selbst abgezeichnet. Das verlängert zwar die Wartezeit der Patienten, macht die Arzneimittelabgabe aber sicherer.
Wenn ein Arzneimittel generisch verschrieben wird, bekommt der Patient das Präparat von der Firma, die gerade an Lager ist. Den Patienten ist es in der Regel egal, sie haben sich bereits daran gewöhnt.
Dem Apotheker selbst bleibt – dank der wichtigen Rolle, die ein Pharmacy Technician einnimmt – viel Zeit für andere Aufgaben. Zum Beispiel gibt es zahlreiche Dienstleistungen, die in den Apotheken angeboten werden, zum Beispiel der sogenannte Medicines Use Review (MUR), ein Service für den Apotheken vom nationalen Gesundheitsdienst NHS bezahlt werden. Apotheker besprechen hierbei mit dem Patienten dessen Medikamente, überprüfen ob der Patient sie wie verschrieben einnimmt, Wechselwirkungen oder Nebenwirkungen auftreten und ob der Patient weiß, warum er die Medikamente einnimmt.
Zudem bieten viele Apotheken einen Stop Smoking Service an und die »Pille danach« ist hier nach Konsultation mit dem Apotheker auch ohne Rezept erhältlich. Außerdem dürfen, nach entsprechendem Training, Grippeimpfungen vom Apotheker verabreicht werden.
Das Warenlager selbst weist auch Unterschiede zu Deutschland auf. Beispielsweise kann Ibuprofen in niedriger Dosierung vom Patienten selbst aus dem Regal genommen werden, sofern der Patient für diesen Kauf überhaupt eine Offizin betritt und das Mittel nicht gleich im Supermarkt einkauft. Ferner könneneinige Arzneistoffe, die in Deutschland verschreibungspflichtig sind, in England ohne Rezept erworben werden, zum Beispiel Codein.
Auch weitere, in Deutschland laut Gesetz zu einer Apotheke gehörende Räumlichkeiten, wie Labor oder Rezeptur, sind in England keine Pflicht. Salben, Cremes oder Kapseln werden nur noch in Ausnahmefällen selbst hergestellt. Falls ein Arzt kein Fertigarzneimittel verordnen sollte, gibt es Firmen, die diese Rezepturen dann für die Apotheke unter GMP-Standardbedingungen herstellen.
Service bei neuer Medikation
Seit Kurzem können die Apotheken den Patienten den New Medicine Service (NMS) anbieten, sobald der Patient ein neues Medikament für eine chronische Krankheit, zum Beispiel Diabetes oder Asthma, vom Arzt verordnet bekommt. Der Apotheker bespricht hierbei mit dem Patienten dessen Medikation, überprüft die korrekte Einnahme, Wechselwirkungen oder Nebenwirkungen. Nach 14 bis 21 Tagen findet ein zweites Gespräch statt, um zu überprüfen, ob noch weiterer Beratungsbedarf besteht. Dem Patienten bleibt es selbst überlassen, ob er diesen Service in Anspruch nehmen möchte. Die Apotheke jedoch hat großes Interesse daran, so viele Patienten wie möglich dafür zu gewinnen, da die erforderliche zusätzliche Arbeit, die dieses Angebot mit sich bringt, vom nationalen Gesundheitsdienst entlohnt wird. Viele Apotheken bemängeln jedoch, dass der Aufwand der in keiner Relation zur Bezahlung durch das Gesundheitssystem steht.
Im Departement der School of Pharmacy an der Uni Nottingham läuft seit Mitte diesen Jahres eine Studie, um den NMS genauer unter die Lupe zu nehmen. Bei den Vorbereitungen konnte ich das Studienteam ebenfalls unterstützen. Es geht darum, die Kosten und die Effizienz dieses vom NHS finanzierten Programmes zu untersuchen.
Thronjubiläum und Olympia
Alles in allem war die Zeit an der Uni Nottingham sehr lehrreich und interessant. Glücklicherweise blieb genug Zeit die Wochenenden zu nutzen, um das Land zu erkunden und so wurde mein PJ auf der Insel außergewöhnlich und einzigartig. Sechzigjähriges Thronjubiläum der Queen und die Olympischen Spiele in London – den Zeitpunkt für meine Reise hätte ich kaum besser treffen können. Hinzu kamen viele Wochenendtrips in Städte wie Oxford, Liverpool und Brighton. Bei meinem Aufenthalt habe ich viele liebenswerte Menschen kennengelernt und interessante Einblicke in die Welt der englischen Pharmazie erhalten. Ein paar Kultur-Schocks gab es doch:
das Hintereinanderreihen von wartenden Menschen ist eine Art Volkssport und wird bei jeder sich bietenden Gelegenheit ausführlich zelebriert
der Linksverkehr ist auch für Fußgänger nicht zu unterschätzen, vor allem beim Überqueren der Straße!
Sicherheit geht vor! Sei es der nur mit Pincode zugängliche Fahrradparkplatz oder der allwöchentliche Probefeueralarm – dienstags um Punkt 9 Uhr!
Hinweisschilder mit »Please now wash your hands« (auf öffentlichen Toiletten ) oder »This area is observed by camera for your security« (an Bushaltestellen) und das Fehlen von Abfalleimern im City Centre geben einem das Gefühl, dass in England nichts dem Zufall überlassen wird!
und last, but not least: die englische Vorliebe zusätzlich zu beinahe je-der Mahlzeit Kartoffelchips zu verspeisen. /