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Lyme-Borreliose

Krank durch Zeckenstich

Datum 03.11.2008  11:08 Uhr

Lyme-Borreliose

<typohead type="3">Krank durch Zeckenstich

Von Bettina Sauer, Berlin

 

Lyme-Borreliose ist die in Europa am häufigsten durch Zecken übertragene Erkrankung. Die Infektion kann Symptome an Haut, Nervensystem, Gelenken und Herz verursachen. Ob es eine chronische Borreliose gibt, ist bislang umstritten.

 

Gibt es sie oder gibt es sie nicht, die chronische Lyme-Borreliose? Und wenn es sie gibt, wie lässt sie sich diagnostizieren und behandeln? Diese Frage beschäftige Medien, Patienten, Selbsthilfegruppen, Schul- und Alternativmediziner, sagte Professor Dr. Peter Herzer, niedergelassener Rheumatologe aus München. Er hielt zum Thema einen Vortrag auf dem Kongress der Deutschen Rheumatologischen Gesellschaft in Berlin. »Meiner Ansicht nach können Zeckenstiche keine chronische Borreliose mit unspezifischen Anzeichen auslösen, sondern nur eine akute Erkrankung mit klar definierten, hervorragend mit Antibiotika behandelbaren Symptomen«, sagte Herzer. »Wer aber diese Einschätzung vertritt, zieht sich scharfe Kritik aus dem anderen Lager zu.«

 

Dort herrsche die Meinung vor, dass noch Jahre nach einer Borrelien-Infektion oder trotz einer antibiotischen Therapie eine Fülle von Beschwerden auftreten kann, darunter Müdigkeit, Schmerzen, Kribbeln, Taubheitsgefühle, Schwindel, Konzentrationsstörungen, Stimmungsschwankungen, Schlafstörungen, Nachtschweiß sowie Gewichstzu- oder -abnahme. Dieses Krankheitsbild bezeichnen Ärzte als »chronische Borreliose mit unspezifischen Symptomen« oder »Post-Lyme-Syndrom«. Es birgt Herzer zufolge Gefahren für Patienten, die entsprechende Symptome zeigen. »Möglicherweise diagnostizieren Ärzte eine Borreliose und übersehen dabei eine schwere Krankheit«, sagte er. »Oder sie verordnen monate- oder jahrelang verschiedene Antibiotika gegen vermeintliche Borrelien. Um die Patienten besser zu schützen, brauchen wir mehr wissenschaftliche Beschäftigung mit der Lyme-Borreliose. Derzeit findet sie so gut wie gar nicht statt.«

 

Ihren Namen erhielt die Krankheit nach dem Ort Lyme im US-Staat Connecticut. Dort traten in den 1970er-Jahren vermehrt Gelenkentzündungen nach Zeckenstichen auf. 1982 entdeckte Dr. Willy Burgdorfer den Erreger und klassifizierte ihn 1984 als neue Borrelienart Borrelia burgdorferi. Diese Bakterien gehören zu den Spirochäten, bewegen sich schraubenförmig und lassen sich molekularbiologisch in mehrere Spezies unterteilen. »Vier davon lösen beim Menschen Borreliose aus und kommen in Deutschland und anderen europäischen Ländern vor«, sagte Dr. Volker Fingerle, Leiter des Nationalen Referenzzentrums (NRZ) für Borrelien in München. In Europa erfolge die Übertragung durch die Schildzecke (Ixodes ricinus).

 

Jährlich treten in Deutschland Schätzungen zufolge über 60.000 Neuinfektionen auf. Allerdings existiert bislang keine flächendeckende epidemiologische Studie und auch kein bundesweites Melderegister. Offenbar besteht in allen Teilen Deutschlands Infektionsgefahr, schreibt das Robert-Koch-Institut (RKI) in einem Merkblatt für Ärzte. Doch liege das Risiko, sich durch einen Zeckenstich mit Borrelien zu infizieren, nur zwischen 1,5 und 6 Prozent. Denn höchstens ein Drittel der Zecken in Deutschland sei mit Borrelien befallen. »Außerdem wird das Immunsystem oft mit den Erregern fertig«, ergänzte Fingerle. »Allerdings steigt das Infektionsrisiko deutlich, je länger die Zecke saugt. Außerdem gibt es noch keinen Impfstoff gegen Borreliose, und selbst eine durchlebte Erkrankung bietet keinen Schutz vor einer neuen Infektion.«

 

Bislang dienen zur Vorbeugung nur allgemeine Maßnahmen. Wer sich im Freien aufhält, sollte lange Hosen, langärmlige Hemden und feste Schuhe tragen, anschließend den ganzen Körper gründlich nach Zecken absuchen und sie so schnell wie möglich entfernen. Am besten wird ein saugendes Tier mit einer Pinzette möglichst dicht über der Haut gefasst und herausgezogen, heißt es auf der Homepage des NRZ Borreliose (www.mvp.uni-muenchen.de). Doch dürfe man die Zecke auf keinen Fall quetschen oder mit Klebstoff, Alkohol oder Öl behandeln. Abschließend sei die Wunde gründlich zu desinfizieren.

 

»Ein Zeckenstich erfordert keine diagnostischen Maßnahmen und keine prophylaktische Antibiotikagabe«, betonte Fingerle. »Doch sollte jeder die typischen Symptome einer Borrelien-Infektion kennen und sofort zum Arzt gehen, falls sie auftreten.« Oft verlaufe der Saugakt und das Abfallen einer Zecke sogar völlig unbemerkt, dann bildeten die Symptome das einzige Warnzeichen. Sie treten einzeln oder in Kombinationen auf und lassen sich in drei Stadien unterteilen. Aufschluss über die Häufigkeit gibt eine einjährige Beobachtungsstudie an rund 280.000 Personen im Raum Würzburg, die Forscher von der dortigen Universitäts-Kinderklinik 1999 im »European Journal of clinical Microbiology & infectious Diseases« veröffentlichten. Demnach erkrankten insgesamt 313 Menschen an Lyme-Borreliose.

 

Knapp 90 Prozent von ihnen entwickelten wenige Tage bis Wochen nach der Infektion um die Stichstelle eine sogenannte Wanderröte (Erythema migrans). Sie kann feuerrot leuchten, aber auch sehr unauffällig aussehen, in Form und Größe erheblich schwanken und über den Körper wandern. Bei 2 Prozent der Betroffenen reagierte die Haut mit einem Borrelien-Lymphozytom, einem rötlich-bläulichen, gutartigen Tumor, der bevorzugt am Ohrläppchen oder an den Brustwarzen auftritt. Dies Geschwulst mit Flüssigkeitseinlagerung bildet sich durch Antibiotikabgabe wieder zurück. In der Frühphase einer Borreliose, dem Stadium 1, kommt es aber mitunter auch zu grippeartigen Symptomen, allerdings ohne Husten, Schnupfen oder Halsschmerzen.

 

Angriff auf das Nervensystem

 

Manchmal verlassen Borrelien die Haut der Patienten, verbreiten sich über Blut- und Lymphbahnen im Körper und lösen dort wenige Wochen bis Monate nach der Infektion Symptome aus. Dann sprechen Ärzte vom Stadium 2. Als Leitsymptom gilt die Neuroborreliose, die bei knapp 3 Prozent der Würzburger Patienten auftrat. Dabei entzünden sich Nerven im Rückenmark oder Gehirn. Das verursacht quälende, brennende Schmerzen, die meist nicht auf Analgetika ansprechen. Zudem können Ausfallerscheinungen der Nerven auftreten, wie Taubheitsgefühle oder Lähmungen. Bei weniger als 1 Prozent der Würzburger Patienten kam es zur Lyme-Karditis, die sich meist in Form von Herzrhythmusstörungen äußert.

 

»Monate bis Jahre nach einem Zeckenstich siedeln sich manchmal Borrelien in Gelenken an und verursachen dort schmerzhafte Entzündungen«, sagte der Rheumatologe Professor Dr. Andreas Krause, Chefarzt am Immanuel-Krankenhaus Berlin-Wannsee bei seinem Vortrag auf dem Symposium. Diese Lyme-Arthritis bildet das Leitsymptom für das Stadium 3 der Erkrankung, befällt meist die Knie, tritt schubweise auf und betraf 5 Prozent der Würzburger Patienten. Bei einem Prozent zeigte sich eine Acrodermatitis chronica atrophicans. Dabei verfärben sich Hautbereiche bläulich und werden dünn und faltig wie Seidenpapier. Nicht in der Würzburger Studie nachweisen ließen sich neurologische Spätschäden, die aber anderen Berichten zufolge vereinzelt auftreten. »An diesem Punkt entzündet sich die Diskussion, ob es eine chronische Borreliose gibt oder nicht«, sagte Herzer. »Alle anderen Symptome lassen sich klinisch relativ gut erkennen.« Um die Diagnose zu stützen, dienten in allen Erkrankungsstadien Patientenbefragungen und Laboruntersuchungen.

 

Den höchsten diagnostischen Stellenwert hat der indirekte serologische Erregernachweis. Dabei wird das Blutserum auf typische Antikörper getestet, die das Immunsystem nach Kontakt mit Borrelien bildet. Dies erfolgt zumeist mittels ELISA (Enzyme-linked Immunosorbent Assay). »Dieser Test zeigt eine sehr hohe Empfindlichkeit, liefert aber manchmal falsch positive Ergebnisse«, sagte Fingerle. »Im Fall eines positiven Ergebnisses soll deshalb zur Bestätigung zusätzlich ein Immunoblot erfolgen.« Beim Verdacht auf Neuroborreliose bestimmt der Arzt den Liquor/Serum-Index. Dazu entnimmt er dem Patienten am selben Tag Serum und Liquor aus der Lendenwirbelregion. Es spricht für eine Neuroborreliose, wenn der Liquor entzündliche Veränderungen und höhere Spiegel an borrelien-spezifischen Antiköpern aufweist als das Serum.

 

Für die Interpretation der Befunde gelten einige Regeln, sagte Fingerle: »Finden sich im Serum oder Liquor borrelienspezifische Antikörper aus der Klasse IgM, deutet dies auf eine frische Infektion hin.« Dagegen sprächen IgG-Antikörper eher für Spätsymptome, wie etwa eine Lyme-Arthritis. »Doch können sie auch aus einer früheren, nicht mehr aktiven Borrelien-Infektion stammen. Daher rechtfertigt ein positiver Nachweis borrelienspezifischer IgG-Antikörper ohne weitere Symptome auch noch keinen Einsatz von Antibiotika.« Umgekehrt könnten Patienten schon lange vor der Bildung von Antikörpern ein Erythema migrans entwickeln. Deshalb behandeln viele Ärzte dieses Symptom auch bei negativem Antikörper-Nachweis.

 

Die meisten Borreliosen heilen folgenlos aus, heißt es auf der Homepage des NRZ. »Doch um die Beschwerden schneller zu lindern und dem Übergang Borreliose in spätere Stadien vorzubeugen, soll immer eine Antibiotika-Therapie erfolgen«, sagte Krause. Diese richte sich nach den Symptomen. Als Mittel der Wahl bei Erythema migrans empfehlen das RKI und das NRZ für Borrelien eine orale zweiwöchige Therapie mit Tetracyclinen, namentlich mit Doxycyclin (200 mg/Tag). Schwangere und Kinder unter zehn Jahren dürfen das Mittel nicht einnehmen und bekommen stattdessen orales Amoxycillin oder Cefuroxim. Eine Neuroborreliose oder Lyme-Karditis erfordert meist eine intravenöse Therapie über zwei Wochen, vorzugsweise mit Cephalosporinen oder hoch dosiertem Penicillin-G. Bei der Lyme-Arthritis bringt eine vierwöchige orale Therapie mit Doxycyclin laut NRZ oft Erfolg. Ansonsten erfolgt eine intravenöse Gabe von Cephalosporinen über zwei Wochen. »Eine Behandlung mit Glucocorticoiden beeinträchtigt oft die Wirkung der Antibiotika gegen Lyme-Arthritis«, sagte Krause. »Ansonsten helfen Antibiotika den meisten Borreliose-Patienten nachhaltig. Im Falle eines Misserfolgs scheint aber auch der Wechsel oder die Langzeitanwendung von Antibiotika nicht viel zu nützen.«

 

Als Beleg nannte er eine Studie, die Dr. Mark Klemper von der Boston University School of Medicine 2001 im »New England Journal of Medicine« veröffentlichte. Daran nahmen 129 Patienten teil, die nach einer Borrelieninfektion trotz Antibiotika-Therapie an Schmerzen und unspezifischen Symptomen litten. Sie bekamen 30 Tage lang intravenöses Ceftriaxon und 60 Tage orales Doxycyclin oder Placebo. Dann zeigte sich bezüglich der Beschwerden zwischen den Gruppen kaum ein Unterschied. »Im Einklang mit dieser Studie raten viele Leitlinien von einer antibiotischen Langzeittherapie ab«, sagte Krause.

 

»Was soll ein Arzt tun, wenn Patienten an chronischer Borreliose zu leiden glauben?«, fragte ein Zuhörer. »Zur Beruhigung kann er durchaus einen Versuch mit Antibiotika in Erwägung ziehen«, erwiderte Herzer. Doch solle er dabei klare Grenzen setzen, etwa 30 Tage Doxycyclin. »Und oft lohnt sich, noch einmal genau zu schauen, ob nicht doch eine andere Ursache hinter den Symptomen steckt.«

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