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Richterwoche

Experten streiten weiter um Rabattverträge

04.11.2008  12:20 Uhr

Richterwoche

<typohead type="3">Experten streiten weiter um Rabattverträge

Von Siegfried Löffler, Kassel

 

Den Rechtswegsweg hat die Bundesregierung per Gesetz festgelegt. Dennoch bieten die Rabattverträge weiterhin ein weites Feld für akademischen Dissens.

 

»Eins, zwei, drei im Sauseschritt läuft die Zeit, wir laufen mit.« Der durch seine humorvollen, satirischen Bildergeschichten noch heute allseits beliebte Zeichner und Dichter Wilhelm Busch hätte es sich nicht träumen lassen, dass er hundert Jahre nach seinem Tode die Überschrift für die 40. Richterwoche des Bundessozialgerichts in Kassel (seit 1969 ein hochkarätiges Diskussionsforum für Wissenschaftler, Richter und Praktiker des Sozialrechts) liefern würde.

 

Es war eine gute Idee des neuen BSG-Präsidenten Peter Masuch, in Gegenwart von ranghohen Sozialpolitikern mit einer Art Galgenhumor auf die Hektik der Gesetzgebung bei den jüngsten Sozialreformen und die sich daraus ergebenden Auslegungsprobleme hinzuweisen. Die Sozialgerichte bleiben »Reparaturwerkstätten« für Unklarheiten bei der Gesetzformulierung.

 

Wenn es noch eines Beweises für die Überlastung der Sozialgerichte durch die häufigen Gesetzesänderungen bedurfte hätte, wurde er beim Gedankenaustausch zwischen Richtern der Sozial- und Landessozialgerichte und ihren Kollegen von der höchsten Instanz deutlich: An der Diskussion zu der durch die Hartz-IV-Reform ausgelösten Rechtsprechung des BSG zur Grundsicherung für Arbeitsuchende wollten sich so viele beteiligen, dass der große Plenarsaal gerade noch ausreichte, alle aufzunehmen. Das ist kein Wunder, beschäftigen sich doch inzwischen bereits zwei der insgesamt vierzehn Senate des höchsten deutschen Sozialgerichts mit Streitigkeiten im Zusammenhang mit der Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe, die – wie es der BSG-Präsident formulierte – »uns buchstäblich noch in den Knochen steckt«.

 

Eine aktuelle Rechtsfrage, die seit Monaten Apotheker und Pharmaindustrie sowie die Gesetzliche Krankenversicherung bewegt, war ebenfalls ein Schwerpunkt der Richterwoche. Schließlich gab es bisher Auslegungsbedarf bei Streitigkeiten über die Vergabe von Rabattverträgen, ausgelöst durch den Beschluss des Bundesgerichtshofs (BGH) in Karlsruhe X ZB 17/08 vom 15. Juli 2008, nach dem bei Rechtsstreitigkeiten über das Vergabeverfahren ausschließlich der Rechtsweg vor den Zivilgerichten gegeben sein sollte. Diese höchstrichterliche Entscheidung stand im Widerspruch zu dem knapp ein Vierteljahr vorher ergangenen Beschluss des für die Gesetzliche Krankenversicherung zuständigen Ersten Senats des BSG B 1 SF 1/08 R vom 22. April 2008 zugunsten des Rechtswegs vor den Sozialgerichten (siehe dazu AOK-Rabattverträge: BSG kritisiert BGH-Entscheidung, PZ 34/2008)

 

Wenn es unlösbare »Grenzstreitigkeiten« zwischen den fünf obersten Fach-Gerichtshöfen gibt, muss die nur selten tagende Institution des »Gemeinsamen Senats der Obersten Gerichtshöfe des Bundes« entscheiden. Das ist erfreulicherweise nicht mehr nötig, nachdem der Deutsche Bundestag am 17. Oktober, an die Grundsatzentscheidung des BSG anknüpfend, in Artikel 2b des GVK- Organisationsweiterentwicklungsgesetzes klarstellte, dass nach den Vergabekammern die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit (speziell die Landessozialgerichte am jeweiligen Sitz der Vergabekammern) in den Streitigkeiten ausschließlich zuständig sind, die Rechtsbeziehungen zwischen Krankenkassen und Leistungserbringern einschließlich der pharmazeutischen Hersteller nach § 69 SGB V betreffen. Da ein Einspruch des Bundesrats nicht zu erwarten ist, kann die Neuregelung noch im November in Kraft treten.

 

Das im Vergaberecht dem gerichtlichen Rechtsschutz vorgeschaltete Verwaltungsverfahren vor den Vergabekammer bleibt von der sozialgerichtlichen Zuständigkeit für den gerichtlichen Rechtsschutz unberührt. Sind die Beteiligten damit nicht einverstanden, bleibt nur noch die Anrufung des zuständigen Landessozialgerichts, das in diesen Fällen die »erste Instanz« ist, was zu einer schnelleren Klärung der Rechtsfragen führen wird.

 

Während der BSG-Richterwoche hatte Professor Dr. Christian König vom Zentrum für Europäische Integrationsforschung an der Universität Bonn darauf hingewiesen, dass eine Verbesserung der Versorgungsqualität bei gleichzeitiger Steigerung der Wirtschaftlichkeit des Handelns der Krankenkassen besonders durch die Anwendung des gemeinschaftsrechtlichen Vergaberechts auf die von den Krankenkassen und Leistungsträgern abzuschließenden Verträge erreicht werden könne. Nur ein solches Vergabeverfahren sichere »Transparenz, Gleichbehandlung und Wirtschaftlichkeit der abzuschließenden Verträge«. Richter am BSG Dr. Ernst Hauck begrüßte die Klarstellung von König, dass die ohnehin unvermeidliche Anwendung des Kartellvergaberechts auf den Bereich der Leistungserbringung der GKV »in das gelobte Land der Effizienzsteigerung und des Wirtschaftlichkeitsgebots« führe.

 

Im Rückblick auf den Streit der letzten Monate stellte Hauck die kritische Frage, woher das »eminente, in laufenden Aufträgen für Rechtsgutachten manifestierende Interesse gerade pharmazeutischer Unternehmen an der Geltung des Kartellvergaberechts nebst Rechtskontrolle durch die Oberlandesgerichte und die Ablehnung der sozialrechtlichen Zuständigkeit beruhe«. Das ökonomische Kalkül des Gesetzgebers, der kostengünstigen Krankenversicherungsschutz für rund 90 Prozent der Bevölkerung gewährleisten wolle, beruhe im Wesentlichen darauf, dass unter anderem »mit der Regelung der Rabattverträge den Krankenkassen ein wirkungsvolles Mittel in die Hand gegeben worden ist, um der Ausnutzung ihres Leistungszwangs durch pharmazeutische Unternehmen entgegenzutreten«. Es gehe schließlich um Einsparungen für das GKV-System und seine Finanzierung durch Sozialversicherungsbeiträge, die im Milliardenbereich liegen. Deshalb bestehe ein starkes Interesse pharmazeutischer Unternehmen daran, »das (befürchtet gewinnmindernde) Wirksamwerden solcher Rabattverträge zu verhindern«. Die größten diesbezüglichen Chancen rechneten sich diese Unternehmen aus, wenn unter anderem Oberlandesgerichte dies »ohne Rücksicht auf marktfernere, zum Beispiel sozialstaatsorientierte Wertungsmöglichkeiten im weitestmöglichen Umfang durchzusetzen trachten«. Diese Hoffnungen beruhten nicht zuletzt auf den Erfahrungen, »die pharmazeutische Unternehmen in der Vergangenheit mit der Rechtsprechung von Kartellgerichten bei der Einführung der Festbetragsregelung gemacht haben«. Haucks Fazit: Die Anwendung des Kartellvergaberechts im Leistungserbringungsrecht der GKV versteht sich weder von selbst noch schafft sie automatisch Effizienzgewinne. Ob im Einzelfall Kartellvergaberecht anzuwenden sei, werde die künftige Rechtsprechung der Sozialgerichte »unter Beachtung des europäischen Kontextes« zu klären haben.

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