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Antibiotika-Resistenzen

Schneller Wechsel irritiert Bakterien

28.10.2015  09:34 Uhr

Von Ulrike Viegener / Antibiotika-Resistenzen sind kein Problem der Zukunft, sie reißen bereits heute gefährliche Lücken ins antibiotische Spektrum. Wissenschaftler suchen deshalb nach Strategien, mit denen sich Resistenzen aushebeln lassen. Ein vielversprechender Ansatz ist der schnelle Wechsel verschiedener Antibiotika, das sogenannte Antibiotika-Cycling.

»Wenn wir im Kampf gegen Antibiotika-Resistenzen nicht bald handeln, bedeutet dies das Ende der modernen Medizin«, sagte Professor Dr. Sally C. Davies, Chief Medical Officer for England, kürzlich beim siebten World Health Summit in Berlin. Mit diesem Paukenschlag wollte die britische Gesundheitsexpertin all jene aufwecken, die Antibiotika-Resistenzen immer noch unterschätzen. Es sei keine Zeit mehr für Appelle und Absichtserklärungen, es muss jetzt endlich durchgreifend gehandelt werden.

Die bisherigen Aufklärungsbemühungen in puncto kritischem Antibiotikaeinsatz und konsequenter Hygiene hatten allenfalls punktuellen Erfolg, was entschieden zu wenig ist angesichts einer Problematik dieses Ausmaßes und dieser Dynamik. Bereits heute sterben in Deutschland jährlich 10 000 Menschen, weil Antibiotika nicht mehr anschlagen. Nosokomiale Infektionen mit multiresistenten Keimen sind inzwischen auch in deutschen Krankenhäusern ein alltägliches Problem, und sie können – wie Davies betonte – leicht dazu führen, dass Routineoperationen wieder zu lebens­bedrohlichen Eingriffen werden.

 

­Prophylaktische Gabe wird zunehmend unwirksamer

 

Dazu wurde jetzt im Fachmagazin »Lancet Infectious Diseases« eine Hochrechnung publiziert (DOi: 10.1016/S1473-3099(15)00270-4). Ausgangspunkt für die US-amerikanische Studie des Center for Disease Dynamics, Economics & Policy waren Daten des National Healthcare Safety Network, denen zufolge die Wirksamkeit der Antibiotika-Prophylaxe bei chirurgischen Eingriffen beziehungsweise onkologischen Chemotherapien bereits heute in einem hohen Prozentsatz der Fälle durch resistente Keime gefährdet ist. Laut dieser Daten treten Wund­infektionen mit resistenten Erregern nach Kaiserschnitt in rund 40 Prozent und nach transrektaler Prostatabiopsie in bis zu 90 Prozent der Fälle auf. Die Rate von Infektionen mit resistenten Erregern im Rahmen von Chemotherapien wird auf knapp 30 Prozent be­ziffert.

 

Das Forscherteam überprüfte zunächst anhand von 31 Metaanalysen die in verschiedenen Indikationen nachgewiesene Wirksamkeit der Antibiotika- Prophylaxe. Laut Literaturdaten lässt sich damit die Infektionsrate bei chirurgischen Eingriffen um bis zu 26 Prozent reduzieren und schwere Infektionen bei Chemotherapie werden um 35 Prozent gesenkt. Ausgehend von diesen Zahlen, spielten die Forscher verschiedene Szenarien durch: Geht man von einer Zunahme der Resistenzen um nur 10 Prozent aus, käme es in den USA infolge nicht wirksamer Antibiotika- Prophylaxe zu 40 000 zusätzlichen Infektionen pro Jahr. Bei einer Zunahme von Antibiotika-Resistenzen um 30 Prozent wären es schon 120 000, und mehrere Tausend Patienten würden zusätzlich in der Folge von Routineeingriffen versterben.

 

Für Innovationen fehlt die Zeit

 

Wie könnte man verhindern, dass es so weit kommt? Auf neuartige Antibiotika zu setzen, dazu fehlt die Zeit. So schnell, wie sich Erreger-Resistenzen ausbreiten, kann es nicht gelingen, innovative Wirksubstanzen zu entwickeln. Zum letzten Mal wurde vor einem Vierteljahrhundert eine neue Klasse von Antibiotika entdeckt. Auch die Strategie, gezielt den Einsatz bestimmter noch gut wirksamer Antibiotika zu limitieren, um sie als Reserve-Antibiotika in der Hinterhand zu haben, hat nicht wirklich funktioniert. In letzter Konsequenz sind die Appelle, den Einsatz von Antibiotika durch kritische Indikationsstellung zu begrenzen, gescheitert.

Bleibt die Hoffnung auf die Forschung. Wissenschaftler suchen intensiv nach Methoden, mit denen der rasanten Ausbreitung von Resistenzen ein Riegel vorgeschoben werden kann. Besonders gefragt sind schnell umsetzbare Strategien, die mit den verfügbaren Substanzen und trotz der bereits vorhandenen Lücken im antibiotischen Spektrum eine effektive Therapie ermöglichen. Ein vielversprechender Ansatz ist der schnelle Wechsel verschiedener Antibiotika (Antibiotika-Cycling), mit dem sich offenbar die Entwicklung von Resistenzen aufhalten lässt.

 

Die Arbeitsgruppe um Professor Dr. Hinrich Schulenburg von der Universität Kiel hat dies am Beispiel von Pseudomonas aeruginosa gezeigt, einem häufig multiresistenten Bakterium, das bei immungeschwächten Patienten lebensbedrohliche Infektionen hervorrufen kann. Der sehr schnelle Wechsel zweier Antibiotika erwies sich als hoch wirksam gegen den gefährlichen Erreger, und die Entwicklung von Resistenzen ließ sich durch diese Strategie wirkungsvoll ausbremsen. Mit beiden getesteten Antibiotika-Paarungen hat dies funktioniert, wie die Forscher im Fachmagazin »Evolutionary Applications« berichten (DOI: 10.1111/eva.12330).

 

Wechsel erfolgt im Zwölf-Stundentakt

 

Antibiotika-Cycling wird zwar bereits in der Klinik praktiziert, bislang wurden die verschiedenen Wirksubstanzen aber jeweils über mehrere Wochen gegeben. Das Neue an der Kieler Strategie: Die Antibiotika wechseln im Zwölf-Stunden-Takt. Das macht Sinn, denn Resistenzen können sich innerhalb einer Bakterienpopulation mit zum Teil rasanter Geschwindigkeit – innerhalb von Tagen, manchmal sogar von Stunden – ausbreiten. Die Forscher waren allerdings selbst von der großen Schlagkraft ihrer Strategie überrascht. »Wir konnten in unseren Experimenten trotz nicht-tödlicher Dosierung der Antibiotika die Eliminierung von Bakterienpopulationen erreichen«, so Schulenburg in einer Pressemeldung der Universität Kiel.

 

Bakterien können dem Angriff von Antibiotika auf unterschiedliche Weise trotzen. Einer dieser Mechanismen ist eine Pumpe, mit der Antibiotika aktiv wieder aus den Zellen hinaustransportiert werden. Escherichia coli zum Beispiel bedient sich dieses Tricks. Dieses Bakterium wurde als Modellkeim in einer im Fachjournal »Plos Biology« veröffentlichten mexikanischen Studie verwendet, die zu einem überraschenden Ergebnis kam: Bei sequenzieller Gabe von Erythromycin und Doxycyclin in niedrigen Dosen ließen sich E.-coli-Stämme selbst dann komplett abtöten, wenn der Erreger gegen jedes einzelne der beiden Antibiotika resistent war (DOI: 10.1371/journal.pbio.1002104). Am wirksamsten war ein Schema, bei dem Doxycyclin über mehrere Tage angewendet wurde, jeweils gefolgt von Erythromycin als Einzelgabe.

 

Beide Studien lassen das schnelle Antibiotika-Cycling als hoch interessante Strategie im Kampf gegen Antibiotikaresistenzen erscheinen. Offenbar kann sich bei sehr schnellem Wechsel der Wirksubstanzen kein nachhaltiger Selektionsdruck aufbauen, der die Zahl resistenter Bakterien in einer Population sonst rasch ansteigen lässt. Die weitere Forschung muss zeigen, ob diese Strategie universell anwendbar ist und mit welchen Schemata sich jeweils die optimalen Erfolge erzielen lassen. /

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