Gelassenheit statt Gedankenlesen |
30.10.2007 15:59 Uhr |
<typohead type="3">Gelassenheit statt Gedankenlesen
Von Hartmut Volk
Konfrontationen mit Kunden sind an sich nicht gefährlich. Gefährlich wird es erst, wenn Apotheker und Angestellte unwissend mit solchen Situationen umgehen. Heitere Gelassenheit ist gefragt. Doch wie schafft man es, bei Meinungsverschiedenheiten »cool« zu bleiben?
Apotheker am Anfang des 21. Jahrhunderts müssen sich von ihren Kunden so manches anhören. Als Sündenböcke für eine fragwürdige Gesundheitsreform. Was tun in solch einem Fall? Gelassenheit bewahren! Schon die Philosophie der griechisch-römischen Antike sah in der hilaritas, der heiteren Gelassenheit, einen wichtigen Wegweiser durch die Fährnisse und Untiefen des Lebens.
Für Anselm Bilgri, den ehemaligen erfolgreichen Prior, sprich wirtschaftlichen Leiter des Klosters Andechs und heutigen gefragten geistigen Managementberater, ist die Heiterkeit das erste Merkmal dieser Haltung. Heiterkeit verstanden nicht als laute, lärmende Lustigkeit, sondern als stille, von innen heraus leuchtende, eben aufheiternde Fröhlichkeit.
Das zweite Merkmal, die Gelassenheit, hat für Bilgri eine doppelte Richtung: In Bezug auf uns selbst bedeutet es die Fähigkeit, loslassen zu können, nicht festhalten zu wollen. Und, ganz wichtig im angespannten Berufsallstag, sich nicht zu verkrampfen. In Bezug auf die Dinge und Wesen um uns herum hat es die Bedeutung von: sein lassen können - andere und anderes so sein lassen zu können, wie sie sind.
Die beste Frustrationsbremse
Wenn das im Apothekenalltag manchmal auch schwerfällt, weil die Schuldzuweisungen für eine verbockte Sache die Falschen treffen, wer es schafft, sich diese hilaritas anzueignen, beugt dem Verlust der Selbstbeherrschung auf der Verhaltensebene segensreich vor. Außerdem: Die zweifelsohne beste Frustrationsbremse ist immer noch, die Dinge nicht so direkt zu nehmen wie sie »rüberkommen«. Wer es also schafft, sich von den üblichen spontanen Handlungs- und Reaktionszwängen zu befreien, sich bei Meinungsverschiedenheiten zurückzunehmen und zunächst einmal geduldig und gelassen zu reagieren, schont nicht nur seine Kräfte und Nerven, er manövriert sich und seine Interessen auch in die bessere Position.
Nicht zuletzt deshalb, weil aus dieser inneren Haltung heraus der Blick auf Menschen, Dinge und Umstände klarer wird und die Gefahr sinkt, in die eigene Bewertungs- und Beurteilungsfalle zu tappen. Spontane, ungelassene Reaktionen bergen immer die Gefahr eingeschränkter, selektiver Wahrnehmung und damit das Risiko, wesentliche Aspekte der Situation zu übersehen. Außerdem verleiten sie zum Gedankenlesen. Das heißt, zu der meist irrigen Vermutung, genau zu wissen, was im Kopf des Gegenübers vorgeht und welche Absichten der andere hat. Das führt zu unrealistischen, irreführenden Annahmen und darauf fußend zu viel zu engen, wenn nicht ganz und gar falschen Reaktionen. Die geradezu klassische Voraussetzung, sich argumentativ ineinander zu verbeißen.
Wer sich spontan von dem, womit er konfrontiert ist, in Bann schlagen lässt, neigt beinahe automatisch zum Verschrecklichen. Kein schönes Wort, aber eine akute Gefahr, die vermutlich jeder schon durchlebt hat: Ein Ereignis wird als schrecklich angesehen, als tragisch, furchtbar, katastrophal. Und plötzlich fühlt man sich gelähmt, irgendwie der Situation ausgeliefert. Hilflos. Nicht minder kontraproduktiv ist ein weiteres Verhaltenselement ungleassenen Reagierens: das Verallgemeinern. Alles ist auf einmal Mist, schrecklich, am liebsten möchte man den Bettel hinwerfen und wütend einfach davonlaufen.
Wütend zu sein ist in Ordnung. Die meisten Menschen werden gelegentlich wütend. Wut ist etwas, mit dem wir leben müssen. Übersehen werden darf nur nicht, sie blockiert enorm, schränkt Blickwinkel und Handlungsspielräume selbstschädigend ein. Wir können das Verhalten unserer Mitmenschen durch positive Mittel viel stärker beeinflussen als durch Wut. Nicht, dass nicht gelegentlich auf einen groben Klotz ein grober Keil gehörte. Aber fast immer ist sehr viel weniger Ärger angemessen als wir glauben. Zu viel Ärger ist nicht nur ineffizient, er ist ausgesprochen kontraproduktiv.
Denn der Stil der Auseinandersetzung beeinflusst deren Inhalt wesentlich. So belegt eine McKinsey-Studie aus dem Jahr 1999 beispielsweise, dass die äußeren Einflüsse auf den Gang der Dinge einen viel stärkeren Einfluss ausüben (circa 80 Prozent) als der Anlass selbst und der Inhalt vorgetragener Argumente. Eine Erkenntnis, die schon den berühmten Florentiner Machiavelli um 1513 in seinen Gedanken zur Republik und Politik, den Discorsi, zu der Mahnung veranlasste: »Ich halte es für einen der größten Beweise menschlicher Klugheit, sich in seinen Worten jeder Beleidigung zu enthalten. Beleidigungen steigern den Hass (des Feindes) gegen dich und spornen ihn an, nachhaltiger auf dein Verderben zu sinnen.«
Emotionen nicht weiter schüren
Dieses Wissen gilt es für den Umgang mit empörten Kunden im Apothekenalltag zu nutzen. Gelassen und mit der dann möglichen Um- und Weitsicht angegangen, lässt sich diesen Rencontres meist rasch die Spitze nehmen, zumindest aber selbstschädigendes Verhalten verhüten.
Wie geht das? Indem das entflammbarste menschliche Material, die Emotionen, nicht in Brand gesteckt werden. »Streit wird vor allem durch verletzte Gefühle ausgelöst und aufrechterhalten«, schreibt der Anwalt Professor Benno Heussen in seinem nützlichen Buch »Machiavelli für Anfänger: Lernen Sie die Regeln der Macht kennen«.
Für Menschen sind kontroverse Begegnungen mit anderen Menschen in erster Linie ein emotionales Problem. Deshalb sollte man zunächst den abschüssigen Pfad eines unergiebigen Wortgeplänkels meiden und dem empörten Kunden das Gefühl geben, dass man seinen Unmut zwar verstehen, ihn aber eben aus guten Gründen nicht teilen kann. Gelingt dieser emotionale Brückenschlag, entspannt sich Situation meist rasch und deutlich und eine informative Argumentation wird möglich.
Dass das keine bloße Vermutung ist, haben Forscher der amerikanischen Harvard-Universität gezeigt. Jahrelang analysierten sie unterschiedlichste Verhandlungen und versuchten, der optimalen Verhandlungsführung auf die Spur zu kommen. Herausgekommen ist das legendäre »Harvard-Konzept der Verhandlungsführung«. Eine seiner wesentlichsten Regieanweisungen lautet: Wenn zwei mit unterschiedlichen Ansichten oder Interessen aufeinandertreffen, reicht es, um die Situation zu entschärfen und Lösungen möglicher zu machen, wenn einer sich nicht in den Strudel der Emotionen hineinziehen und von der Situation gefangennehmen lässt. Vielfach genügt dazu schon ein einfaches Lächeln. Das wirkt in spannungsvollen oder unerwarteten Situationen entkrampfend. Und auch ansteckend. Sozial gesehen stellt das Lächeln eine Verbindung zu anderen her, bewirkt den Abbau von Aggressionen und Barrieren und erleichtert so den Kontakt.
Lachen ermöglicht Kooperation
Professor Jürg Frick von der Pädagogischern Hochschule Zürich macht darauf aufmerksam, dass Lachen aus der Sicht von Evolutionspsychologen einen frühen und maßgeblichen evolutionären Vorteil darstellt. Lachen, sagt Frick, ermöglichte Kooperation und führte dazu, dass nicht mehr der Aggressive, Misstrauische oder Ängstliche überlebte, sondern der Neugierige, zur Freundschaft Fähige. Humor und Lachen nennt Frick denn auch zutreffend soziale Schmiermittel.
Der dänische Pianist und Komiker Victor Borge sagte einmal, Lachen ist die kürzeste Verbindung zwischen zwei Menschen. Warum diese Schnellstrecke zum Kunden nicht häufiger nutzen? Denn, wie der Wiener Neurologe Dr. Manfred Schmidbauer in seinem beeindruckenden Wüstentagebuch »Abseits der Vorhersehbarkeit« schreibt: »Erweise jeder Stunde deines Lebens dadurch Respekt, dass du sie zum Besten der augenblicklichen Lage machst - unabhängig vom Zutun anderer!«