Bedrohte Nachbarn |
30.10.2007 12:07 Uhr |
<typohead type="3">Bedrohte Nachbarn
Von Bettina Sauer, Berlin
Nicht nur in fernen Ländern stellt Tuberkulose eine ernsthafte Bedrohung dar, sondern auch vor unserer Haustür, in Osteuropa. Darüber berieten vergangene Woche über 300 Vertreter der europäischen WHO-Region.
Seit der Öffnung der Grenzen schnellte die Tuberkulose-(TB)-Rate in vielen osteuropäischen Ländern in die Höhe. Das macht sich in der ganzen europäischen WHO-Region bemerkbar. 1991 wurden rund 231.000 TB-Neuinfektionen gemeldet. 2005 lag die Zahl dagegen schon bei rund 445.000. 66.000 Patienten starben an der Krankheit. Drei Viertel der Fälle entfielen auf die russische Föderation und andere osteuropäische Staaten. Für Deutschland hat das Robert-Koch-Institut schon die TB-Neuinfektionsrate für 2006 herausgegeben. Sie lag bei 5408 Fällen und ist somit gegenüber dem Vorjahr um rund 10 Prozent gesunken. 2005 stammten über 40 Prozent der Infizierten aus dem Ausland, vor allem Osteuropa.
Die Weltgesundheitsorganisation fürchtet, dass Osteuropa das von ihr 1995 festgelegte weltweite Millenniumsziel verfehlen wird. Dieses sieht vor, bis 2015 die Rate der TB-Infektionen und -Sterbefälle gegenüber 1990 zu halbieren. Um dabei voranzukommen, trafen sich am 22. Oktober über 300 Vertreter der WHO sowie der 53 Mitgliedstaaten der europäischen WHO-Region zu einem »Ministerforum« in Berlin. »Wir möchten die Länder für die Gefahr sensibilisieren und zu einem stärkeren Engagement gegen Tuberkulose motivieren«, sagte Dr. Richard Zaleskis, Koordinator der TB-Kontrolle in der Europäischen WHO-Region, bei einem Presse-Hintergrundgespräch.
Neben komplikationsreichen Koinfektionen von Tuberkulose und HIV liegt dabei ein Hauptproblem in der Zunahme von Resistenzen. Oft resultieren sie aus der mangelnden Befolgung anerkannter Therapiestandards, wie etwa einer zu kurzen, zu niedrig dosierten oder falsch kombinierten Antibiotikagabe. Inzwischen sind in Osteuropa etwa 15 Prozent der Neuinfektionen durch multiresistente Erreger (MDR-TB) ausgelöst, gegen die mindestens zwei Erstrangmedikamente nicht mehr ausreichend wirken. »MDR-TB-Patienten benötigen Zweitrangstoffe, die toxischer und 100- bis 1000-mal teurer sind als Mittel der ersten Wahl«, sagte Dr. Timo Ulrichs, Referent für TB im Bundesgesundheitsministerium. »Und selbst gegen diese bilden sich zunehmend Resistenzen aus.« Die resultierenden extrem resistenten TB-Stämme (XDR-TB) lassen sich bislang praktisch gar nicht behandeln.
Deshalb forderten die Teilnehmer des Ministerforums in einer von ihnen unterzeichneten »Berliner Erklärung« unter anderem eine vermehrte Forschung, um neue Medikamente, aber auch Diagnoseverfahren und Impfstoffe zu entwickeln. Zudem müssten viele osteuropäische Staaten die derzeit vorhandenen Diagnostika und Arzneistoffe weitaus stärker nutzen, ausreichend medizinisches Personal zur TB-Behandlung qualifizieren und die international anerkannten Behandlungsleitlinien befolgen. So zeigt sich nach Angaben des WHO-Regionalbüros in den baltischen Ländern, in denen gute Bekämpfungsprogramme existieren, eine Abnahme der multiresisten Tuberkulose. Zaleskis sagte: »Hoffentlich findet der Impuls des Ministerforums auch tatsächlich Niederschlag in den nationalen Aktivitäten, um das WHO-Millenniumsziel 2015 zu erreichen und Hunderttausenden von Menschen vermeidbares Leid zu ersparen.«