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Depressionen

Wachtherapie für gute Stimmung

Datum 22.10.2013  16:30 Uhr

Von Christina Hohmann-Jeddi / Es klingt paradox, Patienten mit Depressionen absichtlich vom Schlafen abzuhalten. Schließlich leiden Betroffene ohnehin häufig unter Schlafstörungen. Doch Schlafentzug ist ein effektives Mittel bei schweren Depressionen. Bei einem Großteil der Patienten bessert sich die Stimmung sofort – wenn auch nur vorübergehend.

Schlafentzug kann eine Folter sein, doch bei Patienten mit schweren Depressionen und Suizidalität hat er durchaus positive Wirkungen: Der auch als Wachtherapie bezeichnete Schlafentzug ist eine schnelle und effiziente Art der antidepressiven Therapie, die bei etwa 60 bis 70 Prozent der Patienten gut anschlägt. Eine Gruppe von Patienten bleibt dabei unter Betreuung eine ganze Nacht lang und den folgenden Tag bis zum Abend wach. Dies hat einen euphorisierenden Effekt, der sich positiv auf die gesamte Therapie auswirkt.

Bernd Neubert* hat eine solche Therapie absolviert. »Am Anfang war ich skeptisch, als mein Arzt mir den Schlafentzug vorschlug«, sagt der Patient, der wegen schwerer Depressionen und Suizidalität stationär behandelt wurde. »Ich konnte mir nicht vorstellen, wie ich das in meiner Situation schaffen sollte, da ich wegen meiner Schlafstörungen ohnehin schon übermüdet war.« Die Ärzte überzeugten ihn dennoch, der Wachtherapie eine Chance zu geben. Also traf er sich abends mit anderen Patienten und einem Therapeuten. Die Gruppe kochte gemeinsam, machte Gesellschaftsspiele oder spielte Tischtennis. Nachts um zwei Uhr wurde dann gemeinsam gegessen und später noch eine Nachtwanderung unternommen. »Wir blieben wach bis etwa sechs Uhr, dann gingen wir zurück auf Station und absolvierten den Tag mit allen Terminen, als kämen wir gerade aus dem Bett«, beschreibt Neubert den Ablauf gegenüber der Pharmazeutischen Zeitung.

 

»Nach dem ersten Schlafentzug setzte bei mir nachmittags die euphorisierende Wirkung ein, bei späteren Wachtherapien gleich morgens. Ich war gut gelaunt, lustig bis albern.« Die Termine an den Tagen nach dem Schlafentzug seien mit Leichtigkeit zu bewältigen gewesen. Auf Methoden wie Korbflechten in der Ergotherapie oder Instrumente-Testen in der Musiktherapie, gegen die er anfangs Vorbehalte hatte, habe er sich besser einlassen können. Ein weiterer Effekt war, dass die Gedanken nicht mehr auf Abwege gerieten. »Die suizidalen Gedanken waren auf einmal weg«, berichtet der Patient. »Meine Probleme schienen plötzlich überwindbar.« Diese Wirkung der Wachtherapie hält allerdings nur bis zum nächsten Schlaf an.

 

Übernachtungsparty-Effekt

 

Der euphorisierende Effekt des Schlafentzugs, den viele von Übernachtungspartys oder Jugendherbergsaufenthalten kennen, wird bereits seit den frühen 1970er-Jahren therapeutisch genutzt. Die Wirkung ist belegt, doch wie diese zustande kommt, ist noch nicht verstanden. Eine wichtige Bedeutung könnte dem REM-Schlaf zukommen. Diese Schlafphase, die vor allem in der zweiten Nachthälfte wiederholt auftritt, macht etwa 20 bis 25 Prozent des Nachtschlafs aus und wird durch rasche Augenbewegungen charakterisiert. REM steht dabei für rapid eye movement. In dieser Phase treten die meisten Träume auf.

Der REM-Schlaf ist bei depressiven Patienten charakteristisch verändert: Die Zeit vom Einschlafen bis zum Auftreten der ersten REM-Phase ist verkürzt, die REM-Dichte erhöht und die erste REM-Phase auffallend lang. »Der REM-Schlaf hat vermutlich eine depressionsfördernde Wirkung«, sagt Professor Dr. Thomas Pollmächer, Direktor des Zentrums für psychische Gesundheit am Klinikum Ingolstadt, gegenüber der PZ. Darauf weise zum Beispiel hin, dass die meisten Antidepressiva den REM-Schlaf unterdrücken. Auch ein partieller Schlafentzug, bei dem der Patient während der REM-Schlaf-lastigen zweiten Nachthälfte wach bleibt, wirkt antidepressiv, ebenso wie ein selektiver Entzug des REM-Schlafs. Die depressionsfördernde Wirkung dieser Schlafphase hängt vermutlich damit zusammen, dass stimmungssenkende Neurotransmitter wie Acetylcholin in dieser Phase vermehrt freigesetzt werden, während die Konzentration der für positive Stimmung charakteristischen Botenstoffe wie Serotonin, Noradrenalin und Dopamin besonders niedrig sind, erklärt Pollmächer.

 

Eine neuere Untersuchung aus dem Januar 2013 legt nahe, dass ein weiteres Molekül eine Rolle spielen könnte, das an der Regulation des Schlaf-Wach-Rhythmus beteiligt ist: Adenosin. Astrozyten produzieren den Botenstoff in Wachphasen. So baut sich ein Schlafdruck auf: Je mehr Adenosin vorliegt, desto müder werden wir. Das Protein ist vermutlich auch für den antidepressiven Effekt des Schlafentzugs verantwortlich, wie Forscher um Dustin Hines von der Tufts University Boston im Journal »Translational Psychiatry« berichten (doi: 10.1038/tp.2012.136).

 

Sie hatten Mäusen mit depressiven Symptomen drei Dosen eines Adenosin-Agonisten verabreicht und damit einen Schlafentzug nachgeahmt. Obwohl die Tiere weiterhin normal schliefen, besserte sich ihre Stimmung rasch. Dieser Effekt hielt etwa 48 Stunden an. Die Forscher hoffen, dass Adenosin-Agonisten eine mögliche Therapieoption für Depressionen werden könnten.

 

Kaum Nebenwirkungen

 

Schlafentzug ist zwar anstrengend, aber sicher. »Die Patienten sind natürlich müde«, berichtet Pollmächer. »Aber Nebenwirkungen der Therapie sind keine bekannt.« Theoretisch sei nicht auszuschließen, dass die Antriebssteigerung durch den Schlafentzug auch das Suizidrisiko erhöhe, ähnlich wie es von der Therapie mit Antidepressiva bekannt ist. Um diese Gefahr zu minimieren, finde die Wachtherapie unter Betreuung statt. Ausgeschlossen werden sollten Epilepsie-Patienten, weil Schlafentzug bei ihnen anfallsfördernd wirkt, sagt der Mediziner.

 

»Schlafentzug ist ein bekanntes, etabliertes Verfahren, aber keine effektive Heilungsmethode«, so Pollmächer. Da die Stimmung der Patienten sich nur kurzfristig bessert, dient Schlafentzug hauptsächlich als Unterstützung für andere Therapien. Er werde vor allem eingesetzt, um den Patienten aufzuzeigen, dass sie auch wieder positive Gefühle haben können, und soll ihre Lebensgeister wecken, erklärt Pollmächer. Zu sehen, dass sie noch fröhlich sein können, sei eine wichtige Erfahrung für viele Patienten. /

 

*) Name von der Redaktion geändert

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