Pharmazeutische Zeitung online
DPhG-Jahrestagung

Schlafende Gene im Pilzgenom

15.10.2013  17:19 Uhr

Von Maria Pues, Freiburg / Genforschung findet nicht nur am Menschen statt, um die Wirkung von Arzneistoffen – oder ihr Fehlen – zu erklären. In der Wirkstoffforschung findet derzeit auch das Erbmaterial von Pilzen Interesse, vor allem jene Teile, die nur unter bestimmten Bedingungen aktiviert werden.

Die Fähigkeit von Pilzen, sekundäre Pflanzenstoffe zu bilden, wurde bisher erheblich unterschätzt, sagte Professor Dr. Axel A. Brakhage vom Leibniz-Institut für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie in Jena auf der Jahrestagung der Deutschen Pharmazeutischen Gesellschaft in Freiburg, zu der rund 550 Teilnehmer angereist waren (siehe Kasten). Pilze bilden sekundäre Pflanzenstoffe ebenso wie höhere Pflanzen; sie sind definiert als chemisch sehr heterogene Gruppe von Substanzen, die nicht im pflanzlichen Grundstoffwechsel, in dem Eiweiße, Fette, Kohlenhydrate und Ballaststoffe metabolisiert werden, gebildet werden.

Viele dieser Verbindungen sind heute noch unbekannt, und von den bekannten sind wiederum Funktionen und Eigenschaften noch unklar. Der Grund liegt darin, dass sie oft nur unter speziellen Bedingungen gebildet werden. Das machte Brakhage am Beispiel der Schimmelpilzart Aspergillus nidulans deutlich. Durch Untersuchung und Vergleichen des Genoms ließen sich Gruppen von Genen (sogenannte Gen-Cluster) bestimmten Funktionen zuordnen – zumindest die meisten. Dennoch blieben einige übrig, für die sich im Labor kein Produkt finden ließ, sogenannte schlafende Gene.

 

Dass die für die sekundären Pflanzenstoffe kodierenden Gen-Cluster von Pilzen unter den Standard-Laborbedingungen oft nicht aktiviert werden, erschwert ihre Erforschung. Dabei verspricht die Isolierung und Untersuchung der Verbindungen reiche Ausbeute – und das nicht nur, weil die Zahl möglicher Produkte so groß ist: 1,2 Millionen Pilzarten mit je 20 Gen-Clustern (abzüglich 50 Prozent für Doppelungen) ergebe etwa 12 Millionen mögliche Verbindungen, rechnete Brakhage vor. Sie zu erforschen, kann zum Beispiel zu neuen Wirkstoffen führen, aber auch helfen, die Pathogenität von Pilzen zu erklären. Der Weg führt dabei nicht mehr über die Anzucht von Pflanzen im Gewächshaus beziehungsweise in großen Behältern mit Nährlösungen, sondern über eine spezielle Technologie unter Einsatz von Mikrochips. Jeweils eine Pilzzelle wächst dabei in einem Flüssigkeitströpfchen von wenigen Picolitern. Dabei können gezielt bestimmte Wachstumsbedingungen – wahlweise einzeln oder in Kombination – vorgegeben und zum Beispiel deren Einfluss auf die Bildung sekundärer Pflanzenstoffe untersucht werden. Zu diesen gehören die Lichtintensität, die Nitratzufuhr oder der pH-Wert des umgebenden Milieus. Eine Synthese in größerem Maßstab kann später gezielt bei vielversprechenden Kandidaten unter den gefundenen Verbindungen erfolgen.

 

Stressor als Weckruf

 

Als wichtiger Einflussfaktor auf schlafende Gen-Cluster hat sich die Kommunikation zwischen dem Pilz Aspergillus nidulans und dem Bakterium Streptomyces rapamycinicus erwiesen. Diese gelingt jedoch nur, wenn beide Organismen in enger Nähe zueinander gedeihen. Im elektronenmikroskopischen Bild sieht man, wie die kleineren Hyphen der Bakterien auf den größeren des Pilzes wachsen. Die Kommunikation findet über chemische Verbindungen, sogenannten Infochemicals, statt. Welche dies in diesem Falle sind, ist noch unklar. Offenbar aktiviert Streptomyces rapamycinicus aber auf diese Weise einen Signalweg, wodurch es zunächst zu einer Histon-Acetylierung und dann zu einem Ablesen des betreffenden schlafenden Gen-Clusters kommt. Die dabei entstehenden Produkte ließen sich identifizieren: Es handelt sich um vier Verbindungen, von denen zwei noch keinen Namen, sondern nur Nummern haben; die beiden anderen sind Orsellinsäure und Lecanorsäure, die üblicherweise eher von Flechten gebildet werden. Möglicherweise handele es sich hier um ein generelles Prinzip, nach dem Streptomyces rapamycinicus mit eukaryontischen Zellen interagiere, sagte Brakhage.

Eine andere Aspergillus-Art, A. fumigatus, ist der Auslöser invasiver Aspergillosen beim Menschen, eine Erkrankung mit einer Mortalität von rund 90 Prozent. Von Interesse ist hier unter anderem die Erforschung von Faktoren, die die Virulenz des Pilzes bedingen. Zu diesen gehört Gliotoxin, das stark immunsuppressiv und zytotoxisch wirkt und die Apoptose-Rate steigert. Diese Eigenschaften machen es für die Wirkstoffforschung interessant. Die Identifikation ganz neuer Enzymaktivitäten stelle ein weiteres Feld dar, das sich aus der Erforschung der Sekundärmetaboliten von Pilzen ebenfalls ergibt.

 

Als weiteren Virulenzfaktor habe man Fumipyrrol identifizieren können, führte Brakhage weiter aus. Versuche an Mäusen haben gezeigt, dass die Substanz das Enzym Caspase-1 hemmt und so die Freisetzung der Interleukine 1β (IL-1β) und 18 (IL-18) vermindert. IL-1β spielt eine Rolle bei Entzündungsvorgängen, zum Beispiel bei Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises. IL-18 fungiert als Regulator im angeborenen und erworbenen Immunsystem. Es konnte außerdem in erhöhter Konzentration in der Gelenkinnenhaut von Patienten mit rheumatoider Arthritis nachgewiesen werden. Die Substanz könnte daher möglicherweise – direkt oder als Leitsubstanz für die Wirkstoffforschung – zur Behandlung autoinflammatorischer Erkrankungen interessant werden. Bis dahin ist es allerdings erfahrungsgemäß ein weiter Weg.

 

Eine Verbindung, die von schlafenden Genen kodiert wird, hat den Weg zur Patentanmeldung bereits geschafft: Benzothiazinon. Es wirkt gegen den Tuberkulose-Erreger Mycobacterium tuberculosis, indem es dessen Arabinan-Synthese blockiert. /

DPhG-Jahrestagung

Die Jahrestagung der Deutschen Pharmazeutischen Gesellschaft (DPhG) fand vom 9. bis 11. Oktober 2013 in Freiburg statt. Unter dem Motto »Drug Discovery inspired by Nature« fanden neben sechs Plenarsitzungen 18 Sitzungen mit jeweils drei bis fünf Vorträgen zu verschiedenen Bereichen der pharmazeutischen Forschung sowie eine Posterpräsentation statt. Erstmals in diesem Jahr gab es am 12. Oktober 2013 außerdem in Kooperation der DPhG mit der Apothekerkammer Baden-Württemberg ein Postsymposium mit dem »Tag der Offizinpharmazie«. Die Berichterstattung zu ausgewählten Veranstaltungen finden Sie in PZ 43.

Die experimentelle KI
von PZ und PTA-Forum
Die experimentelle KI
von PZ und PTA-Forum
Die experimentelle KI
von PZ und PTA-Forum
 
FAQ
SENDEN
Wie kann man die CAR-T-Zelltherapie einfach erklären?
Warum gibt es keinen Impfstoff gegen HIV?
Was hat der BGH im Fall von AvP entschieden?
GESAMTER ZEITRAUM
3 JAHRE
1 JAHR
SENDEN
IHRE FRAGE WIRD BEARBEITET ...
UNSERE ANTWORT
QUELLEN
22.01.2023 – Fehlende Evidenz?
LAV Niedersachsen sieht Verbesserungsbedarf
» ... Frag die KI ist ein experimentelles Angebot der Pharmazeutischen Zeitung. Es nutzt Künstliche Intelligenz, um Fragen zu Themen der Branche zu beantworten. Die Antworten basieren auf dem Artikelarchiv der Pharmazeutischen Zeitung und des PTA-Forums. Die durch die KI generierten Antworten sind mit Links zu den Originalartikeln. ... «
Ihr Feedback
War diese Antwort für Sie hilfreich?
 
 
FEEDBACK SENDEN
FAQ
Was ist »Frag die KI«?
»Frag die KI« ist ein experimentelles Angebot der Pharmazeutischen Zeitung. Es nutzt Künstliche Intelligenz, um Fragen zu Themen der Branche zu beantworten. Die Antworten basieren auf dem Artikelarchiv der Pharmazeutischen Zeitung und des PTA-Forums. Die durch die KI generierten Antworten sind mit Links zu den Originalartikeln der Pharmazeutischen Zeitung und des PTA-Forums versehen, in denen mehr Informationen zu finden sind. Die Redaktion der Pharmazeutischen Zeitung verfolgt in ihren Artikeln das Ziel, kompetent, seriös, umfassend und zeitnah über berufspolitische und gesundheitspolitische Entwicklungen, relevante Entwicklungen in der pharmazeutischen Forschung sowie den aktuellen Stand der pharmazeutischen Praxis zu informieren.
Was sollte ich bei den Fragen beachten?
Damit die KI die besten und hilfreichsten Antworten geben kann, sollten verschiedene Tipps beachtet werden. Die Frage sollte möglichst präzise gestellt werden. Denn je genauer die Frage formuliert ist, desto zielgerichteter kann die KI antworten. Vollständige Sätze erhöhen die Wahrscheinlichkeit einer guten Antwort.
Wie nutze ich den Zeitfilter?
Damit die KI sich bei ihrer Antwort auf aktuelle Beiträge beschränkt, kann die Suche zeitlich eingegrenzt werden. Artikel, die älter als sieben Jahre sind, werden derzeit nicht berücksichtigt.
Sind die Ergebnisse der KI-Fragen durchweg korrekt?
Die KI kann nicht auf jede Frage eine Antwort liefern. Wenn die Frage ein Thema betrifft, zu dem wir keine Artikel veröffentlicht haben, wird die KI dies in ihrer Antwort entsprechend mitteilen. Es besteht zudem eine Wahrscheinlichkeit, dass die Antwort unvollständig, veraltet oder falsch sein kann. Die Redaktion der Pharmazeutischen Zeitung übernimmt keine Verantwortung für die Richtigkeit der KI-Antworten.
Werden meine Daten gespeichert oder verarbeitet?
Wir nutzen gestellte Fragen und Feedback ausschließlich zur Generierung einer Antwort innerhalb unserer Anwendung und zur Verbesserung der Qualität zukünftiger Ergebnisse. Dabei werden keine zusätzlichen personenbezogenen Daten erfasst oder gespeichert.
THEMEN
BfArM

Mehr von Avoxa