Kinderkopfschmerz ernst nehmen |
17.10.2006 11:31 Uhr |
<typohead type="3">Kinderkopfschmerz ernst nehmen
Von Conny Becker, Berlin
Kopfschmerzen gelten bei Erwachsenen wie bei Kindern häufig als Bagatelle. Sowohl der Schmerz an sich als auch die Psyche des Patienten benötigen jedoch eine möglichst frühe Behandlung, um Kopfschmerzen kontrollieren zu lernen und eine Chronifizierung zu vermeiden.
»Jedes dritte Kind leidet an Kopfschmerzen«, bezifferte Professor Dr. Wolf-Dieter Gerber von der Universität Kiel das Ausmaß der Erkrankung auf einem von Ratiopharm unterstützten Pressegespräch in Berlin. So habe eine epidemiologische Untersuchung an 4500 Kindern und Jugendlichen ergeben, dass 37 Prozent der 7-Jährigen und 90 Prozent der 15-Jährigen bereits mindestens einmal Kopfschmerzen gehabt haben. Rund 30 Prozent aller Schulkinder litten an gelegentlichen oder häufig wiederkehrenden Kopfschmerzen, wobei die Prävalenz von Spannungskopfschmerz bei 18 Prozent, die von Migräne bei 15 Prozent liege. In einer eigenen Untersuchung in Schleswig-Holstein fand der Psychologe heraus, dass Kopfschmerzen zudem der häufigste Grund für Fehlstunden waren.
Im Gegensatz zu ADHS- fallen Kopfschmerzpatienten allerdings nicht weiter auf. Gemeinsam ist beiden Erkrankungen, dass sie immer häufiger auftreten und eine starke psychische Komponente haben. »Ursache für Spannungskopfschmerz im Kindesalter ist in der Regel emotionale Überforderung: Stress«, sagte Gerber. Migräne hingegen sei »mehr als der Kopfschmerz«, nämlich eine Reizverarbeitungsstörung, eine genetisch bedingte Erkrankung des Gehirns. Beide Kopfschmerzformen sind bei Kindern noch schwerer als bei Erwachsenen zu unterscheiden. Denn Kinder können bei Migräne auch beidseitige Beschwerden haben, auch wenn die Hemikranie als typisch gilt. Verglichen mit Erwachsenen dauert ein Migräneanfall kürzer (2 bis 12 gegenüber 48 bis 72 Stunden), zeichnet sich aber ebenfalls durch den pochenden Schmerz aus (Spannungskopfschmerz: bohrend/drückend). Typisch ist, dass die Kinder während einer Attacke einschlafen. Hilfreich zur Unterscheidung, aber auch für den Umgang mit dem Schmerz ist, das Kind diesen »malen« zu lassen. Auch die Frage, ob der Patient mit den Schmerzen noch Sport treiben kann, liefert einen Hinweis für die Diagnose: Wer unter Spannungskopfschmerzen leidet, kann sich in der Regel weiterhin motorisch bewegen, Migräniker dagegen nicht. In sogenannten »Migräne-Vorstufen« leiden die Kinder unter Schwindelattacken mit Übelkeit und Erbrechen, jedoch ohne Kopfschmerzen. Eine Migräne entwickeln sie erst in späteren Jahren.
Arztbesuch vor Selbstmedikation
In der Praxis sehen sich die kleinen Patienten Gerber zufolge einem »Riesenproblem« gegenüber: »Eltern mit Kopfschmerzkindern bagatellisieren die Beschwerden und gehen selten zum Arzt!« Eine genaue Diagnose sei aber notwendig, um möglichst frühzeitig ein Kinder- und Elterntraining sowie eine kindgerechte Therapie einzuleiten. Zudem müsse der Arzt abklären, ob die Kopfschmerzen nicht ein Begleitsymptom sind, was bei Atemwegsinfektionen, Scharlach, Meningitis, akuter Nierenerkrankung, Kieferhöhlenentzündung oder Augenproblemen der Fall sein könne.
Wichtig in der Therapie von Kopfschmerzen ist, dass die betroffenen Kinder, gegebenenfalls mithilfe ihrer Eltern, ein Kopfschmerztagebuch führen. Dies kann zum Beispiel bei der Deutschen Schmerzhilfe angefordert werden (Sietwende 20, 21720 Grünendeich). Bei einem Migräneanfall ist vielen Kindern schon damit geholfen, kurze Zeit in einem ruhigen abgedunkelten Raum zu schlafen. Nach den Empfehlungen der Deutschen Migräne und Kopfschmerz Gesellschaft (DMKG) können auch ein kaltes Tuch auf der Stirn oder das Einreiben von Schläfe, Scheitel und Nacken mit Pfefferminzöl leichte bis mittelstarke Schmerzen häufig lindern.
Erst in einer zweiten Stufe empfiehlt die DMKG eine medikamentöse Behandlung der Kinder, das heißt entweder Ibuprofen in einer Dosierung von 10 mg pro Kilogramm Körpergewicht oder Paracetamol (15 mg pro kg Körpergewicht), wobei Ibuprofen wahrscheinlich effektiver wirke. Beide Substanzen können auch bei Spannungskopfschmerzen eingesetzt werden. Dagegen ist Acetylsalicylsäure bei Kindern unter 14 Jahren tabu, da es das Reye-Syndrom auslösen kann, was viele Eltern allerdings nicht wissen. In Ausnahmefällen ist laut DMKG eine ASS-Therapie mit 10 mg/kg als Einzeldosis und 25 mg/kg als Tagesdosis möglich.
Gegen die den Anfall begleitende Übelkeit, die bei Kindern sogar häufig im Vordergrund steht, können vor dem Analgetikum Domperidon-Tropfen gegeben werden (1 Tropfen pro kg Körpergewicht) (Resorptionssteigerung). Laut Gerber können zudem Reisekaugummi oder Dragees mit Dimenhydrinat oder Cola die Beschwerden lindern. Triptane sind bei Kindern eher selten indiziert und dann nur unter Aufsicht eines Kopfschmerzspezialisten. Auch weil Medikamente bei Kindern mit Migräne einen sehr hohen Placeboeffekt überwinden müssen, haben sich in Studien bislang nur intranasales Sumatriptan und Zolmitriptan (ab 12 Jahren) als signifikant wirksam gezeigt, sind aber noch nicht für Kinder zugelassen.
Eine medikamentöse Prophylaxe kann bei Kindern notwendig werden, wenn sie mehr als drei Mal pro Monat unter sehr starken und länger als 48 Stunden anhaltenden Migräne-Attacken leiden und die Akutbehandlung entweder versagt oder unerwünschte Arzneimittelwirkungen verursacht. Als Mittel der ersten Wahl nennt die DMKG die Betablocker Metoprolol und Propranolol, während der Calciumantagonist Flunarizin zwar effektiv, aber schlechter verträglich sei. In erster Linie rät die Gesellschaft jedoch zur nicht-medikamentösen Prophylaxe.
Pasta und Verhaltenstherapie
Ergebnisse aus klinischen Studien weisen darauf hin, dass auch eine veränderte Ernährung die Migräne lindern kann. Eine Pauschal-Diät existiert jedoch nicht, Betroffene sollten vielmehr individuell austesten, welche Nahrungsmittel die Migräne verstärken und dann auf diese verzichten. Zu den potenziellen Migräne-Triggern zählen Schokolade, Weizenmehl, Soja, Eier, Käse, Tomaten, Fisch und Haushaltszucker. Eltern sollten zudem darauf achten, dass das Essen ihrer Kinder keine Farb- und Konservierungsstoffe oder Schweinefleischprodukte enthält. Stattdessen bietet sich Lamm, Puten- und Rindfleisch an, Roggen, Dinkel sowie Nudeln, in denen der glylämische Index günstiger ist. Ferner sind gesäuerte Milchprodukte wie Joghurt ungesäuerten wie Milch oder Quark vorzuziehen.
Eine Migräne in den Griff kriegen können Kinder mithilfe einer Verhaltenstherapie, bei der möglichst auch die Eltern einzubeziehen sind, so Gerber. Hier gilt es, zunächst den Kopfschmerz zu analysieren und dann zu lernen, sich mit den störenden Reizen zu konfrontieren. So können Kinder sich »eine dicke Haut« antrainieren und Entspannung lernen (zum Beispiel mit der Progressiven Muskelentspannung nach Jacobson). Häufig hilft auch zu »fantasieren«, das heißt, bei akuten Kopfschmerzen ein individuelles positives Bild aufzurufen, um den Schmerz abzuschalten
Zur Behandlung von Kindern mit Fieber oder Kopfschmerzen hat Ratiopharm jetzt zwei Säfte mit Ibuprofen auf den Markt gebracht. Der 2-prozentige Saft ist bereits für Säuglinge ab sechs Monaten, der Ibu-ratiopharm® 4 Prozent Fiebersaft ab einem Jahr zugelassen. Die rezeptfreien Arzneimittel haben ein Erdbeer-Sahne-Aroma, sind frei von Alkohol, Farbstoffen, Lactose und Gluten und werden über eine Dosierspritze verabreicht.