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Hilfe bei nicht heilenden Knochen

Datum 17.10.2006  11:31 Uhr

<typohead type="3">Hilfe bei nicht heilenden Knochen

Von Gudrun Heyn, Berlin

 

Gebrochene Knochen kommen heute nicht einfach nur in einen Gips. Mediziner versuchen, den komplexen Prozess der Heilung durch Wachstumsfaktoren oder Stammzellen zu beschleunigen. Besonders hilfreich sind diese neuen Methoden bei Heilungsstörungen.

 

Noch vor wenigen Jahrzehnten gehörten Infektionen zu den größten Herausforderungen der Orthopäden und Unfallchirurgen. Im Krieg 1870/71 starben rund 70 Prozent der Soldaten mit einem offenen Unterschenkelbruch an der unbeherrschbaren bakteriellen Infektion. Selbst als in den 1950er-Jahren Implantate, wie Marknägel, Platten und Schrauben, Gips und Streckverbände weitgehend abgelöst hatten, kam es immer noch bei bis zu 30 Prozent der Patienten mit offenen Unterschenkelbrüchen zu schweren Infektionen. Seitdem wurden die Implantate sowie die Operations- und Behandlungsmethoden immer weiter verbessert. Auch heute treten noch Infektionen auf, ihre Zahl ist jedoch deutlich zurückgegangen.

 

Im letzten Jahrhundert hat es große Fortschritte in der Behandlung von Frakturen gegeben. Dennoch verläuft bei bis zu 10 Prozent der Patienten die Heilung eines Knochenbruchs nicht wie gewünscht. »Werden jedoch die biomechanischen und die biologischen Rahmenbedingungen in einem Frakturgebiet verbessert, wirkt sich dies positiv auf die Wundheilung aus«, sagte der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie, Professor Dr. Klaus Stürmer, auf dem Deutschen Kongress für Orthopädie und Unfallchirurgie in Berlin.

 

Von einer Heilungsstörung sind nicht nur Menschen mit Osteoporose betroffen. Diese Patienten sind vor allem eine Herausforderung für die behandelnden Ärzte, die Stahl- oder Titanimplantate in den porösen Knochen verankern müssen. Heute ist bekannt, dass bestimmte mechanische, durch Bewegungen verursachte Reize und biologische Signale notwendig sind, um die Knochenneubildung anzuregen. Daher gehören insbesondere auch immobile Menschen immer wieder zu den Patienten, deren Knochen nicht heilen wollen.

 

Knochenzellen aktivieren

 

Die Heilung einer Bruchstelle beginnt direkt nach dem Bruch. Aus verletzten Blutgefäßen tritt Blut aus und sammelt sich um die Bruchstelle, wo es gerinnt. Dadurch bildet sich zwischen den beiden Knochenenden eine bindegewebsartige Verbindung, in die Knochenzellen, sogenannte Osteoblasten, einwandern. Diese spezialisierten Zellen produzieren Knochensubstanz. So entsteht nach und nach eine feste Matrix aus Bindegewebe und Knochenmaterial, der sogenannte Kallus.

 

Osteoblasten sind im Regelfall jedoch nicht überall in ausreichender Menge vorhanden, sondern müssen erst aus mesenchymalen Stammzellen gebildet werden. Diese sitzen im Bindegewebe der Knochen, der Knochenhaut, des Knochenmarks oder anderer Organe. Erst lokale Reize, wie etwa eine Gewebedehnung und veränderte Druckverhältnisse, regen die mesenchymalen Stammzellen dazu an, sich zu teilen und zu differenzieren. Je nach lokaler Situation im Bruchgebiet entwickeln sie sich zu Knochenzellen, Bindegewebszellen oder Knorpelzellen.

 

Sowohl zu starre als auch zu instabile Verhältnisse stören den Heilungsprozess. Stabilisiert der behandelnde Unfallchirurg das Frakturgebiet zu stark, entfällt der Reiz zur Bildung eines neuen Knochens. Dies ist auch einer der Gründe, warum Patienten heutzutage dazu angehalten werden, bereits am ersten Tag nach der Operation wieder aufzustehen. Stabilisiert der Arzt dagegen den Knochen zu wenig, kommt es zu einer Heilungsverzögerung.

 

Besonders günstig wirkt es sich aus, wenn es im Heilungsgebiet relativ ruhig ist. Dann differenzieren sich die Stammzellen zu den Knochensubstanz bildenden Osteoblasten. Wenn es dagegen zu unruhig ist, geht die Natur einen Umweg. Dann entstehen Knorpelzellen, die ein Ersatzgewebe bilden, das wie ein steifes Gerüst wirkt. Erst wenn die richtigen Umgebungsbedingungen geschaffen worden sind, wachsen dort Osteoblasten hinein und ersetzen allmählich das Knorpelgewebe durch Knochensubstanz.

 

Bei diesem Geschehen spielen auch biologische Signale eine wichtige Rolle. Sie werden von Rezeptoren an den Zelloberflächen erfasst und in die Zellkerne weitergeleitet. Dort steuern sie die Syntheseleistung der Zellen. Noch sind nicht alle molekularbiologischen Zusammenhänge bekannt, die die Differenzierung von Stammzellen und die Stimulierung der spezialisierten Zellen zur Knochenneubildung regulieren. Experten hoffen jedoch, in Zukunft Angriffspunkte für eine medikamentöse Therapie zu finden. Wenn es gelingt, die Sensitivität der Zellen für mechanische Reize hochzuregulieren, könnte vielen älteren oder bettlägrigen, immobilen Patienten geholfen werden.

 

In den einzelnen Phasen der Knochenbruchheilung spielen Wachstumsfaktoren eine wichtige Rolle. Mittlerweile sind weit über 100 Proteine bekannt, die das Zellwachstum stimulieren und regulieren können. Einige davon lassen sich bereits synthetisch herstellen. Die Bone Morphogenetic Proteines 2 (BMP-2) und 3 (BMP-3) wurden in den vergangenen Jahren zur klinischen Anwendung zugelassen. Sie können die Frakturheilung um den Faktor vier beschleunigen. Bei Injektion der Wirkstoffe geschieht dies jedoch in einer sehr unkontrollierten Art und Weise, sodass auch unbeteiligtes Gewebe zu wachsen beginnt.

 

Eine mögliche Lösung für dieses Problem ist das Aufbringen der Proteine auf metallische Implantate. Die beschichteten Nägel, Schrauben und Platten stabilisieren nicht nur den gebrochenen Knochen, sondern wirken auch als Drug-Carrier. Erste präklinische Anwendungen gibt es bereits an der Charité in Berlin. Auch mit anderen Substanzen wie Antibiotika werden Implantate inzwischen bestückt. Besonders Patienten mit einem offenen Knochenbruch können in Zukunft von dieser neuen Technik profitieren, denn sie senkt das Risiko einer Knochenentzündung deutlich.

 

Falsche Gelenke als Folge

 

Ein besonderes Problem haben Menschen, bei denen die knöcherne Überbrückung zwischen den abgebrochenen Knochenenden ausbleibt und sich ein beweglicher Knochenbereich ähnlich einem Gelenk, nur an der »falschen« Stelle, entwickelt. Die sogenannten Pseudarthrosen treten vor allem bei älteren Personen und schwer kranken Patienten auf, deren Gewebe nicht mehr so regenerationsfähig ist. »Gerade Stammzellen haben ein großes therapeutisches Potenzial, um Betroffenen mit solch schwer heilenden Knochen zu helfen«, sagte Dr. Ulrich Nöth, Leiter der Sektion Tissue Engineering an der Universität Würzburg. Von dieser Behandlungsoption profitieren außerdem auch Patienten, denen etwa nach einer Tumoroperation ein Stück Knochen fehlt (segmentaler Knochendefekt) und Patienten, deren Knochen durch eine mangelnde Blutversorgung nekrotisch verändert ist, wie etwa bei der Hüftkopfnekrose.

 

Adulte Stammzellen, wie die mesenchymalen Stammzellen, lassen sich relativ einfach aus dem Knochenmark zum Beispiel des Beckens eines Menschen gewinnen. Häufig sind die Spender die Patienten selbst. Da bei dieser Methode keine Embryonen getötet werden müssen, entfallen viele ethische Bedenken. Im Gegensatz zu den embryonalen Stammzellen ist bei ihnen zudem die Gefahr einer unkontrollierten Vermehrung und damit einer Entartung sehr gering.

 

Die ersten Patienten mit segmentalen Defekten der langen Röhrenknochen konnten bereits 2001 in den USA erfolgreich mit mesenchymalen Stammzellen behandelt werden. Bei diesem Verfahren werden die Stammzellen auf Träger aus Hydroxylapathit aufgebracht und dann den Patienten eingesetzt. Im Körper wird die Leitschiene im Laufe der Zeit resorbiert und allmählich durch festen Knochen ersetzt. Größere Defekte ab fünf Zentimetern lassen sich auf diese Weise jedoch nur sehr schwer überbrücken, da den Zuchtknochen die Blutversorgung fehlt. Weil die Vaskularisierung des Knochengewebes jedoch entscheidend für den Heilungsprozess ist, konzentrieren sich derzeitige Strategien darauf, gleichzeitig Wachstumsfaktoren, Stammzellen und Blutvorläuferzellen zu applizieren.

 

Mehr als 200 Patienten, die unter einer Pseudarthrose litten, sind in Amerika inzwischen mit mesenchymalen Stammzellen behandelt worden. In Würzburg wurde bisher ein Patient operiert, mehrere Patienten mit verschiedenen Indikationen stehen auf der Warteliste. Außerdem beteiligt sich die Uniklinik in Würzburg als erste in Europa an einer großen Multicenterstudie zur Hüftkopfnekrose.

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