Gravierende soziale Schieflage |
17.10.2006 17:11 Uhr |
<typohead type="3">Gravierende soziale Schieflage
Von Ariane Wohlfarth
Nach Ansicht der Sozialverbände sind weite Teile der geplanten Gesundheitsreform »verfehlt und kontraproduktiv«. Sie fordern einen »Neuanfang«. In Berlin stellten der Sozialverband Deutschland (SoVD) und die Volkssolidarität am Dienstag ein Gutachten vor, das gravierende Auswirkungen auf Patienten und Versicherte erläutert.
Jenseits ihrer Kritik stellten die Verbände drei zentrale Forderungen: Die Bundesregierung soll die Kürzung des Bundeszuschuss von 4,2 Milliarden Euro im Jahr 2006 auf 2,7 Milliarden Euro im Jahr 2007 zurücknehmen. Die Krankenversicherungsbeiträge für Arbeitslose sollen auf Basis ihrer vorherigen Gehälter gezahlt werden; so werde der Beitragssatz für alle verringert. Überdies solle für Arzneimittel der ermäßigte Mehrwertsteuersatz gelten. Damit würden die Arzneimittelausgaben nicht mit der geplanten Mehrwertsteuererhöhung ansteigen, sondern sinken.
Professor Dr. Gunnar Winkler, Präsident der Volkssolidarität, und Adolf Bauer, Präsident des SoVD, hoben vor allem die »gravierende soziale Schieflage« hervor, die die Gesundheitsreform auszeichne. Krankheitsrisiken würden privatisiert, die Zwei-Klassen-Medizin verfestigt. Einer der Hauptkritikpunkte ist der Gesundheitsfonds, nach Ansicht Bauers ein »untaugliches Instrument«. Die Verbände kritisierten, der Fonds führe zu »einem Wettbewerb um Gesunde und Gutverdiener und nicht um die bestmögliche Gesundheitsversorgung« und stecke außerdem die Kassen in »ein enges finanzielles Korsett«. Der Beitrag, der einheitlich vom Bundesgesundheitsministerium per Rechtsverordnung festgesetzt werden soll, wird nach Schätzungen bereits im ersten Jahr des Fonds, 15,5 Prozent betragen.
Auch die Zusatzprämie, die Krankenkassen erheben, wenn ihnen die Mittel aus dem Fonds nicht ausreichen, stößt auf Ablehnung. Wie Dr. Klaus Jacobs, Verfasser des Gutachtens und Geschäftsführer des Wissenschaftlichen Instituts der Ortskrankenkassen (WIdO) erläuterte, sei sie »kaum Zeichen für Wirtschaftlichkeit«, sondern für eine Kasse mit wenigen Kranken oder vielen einkommensstarken Mitgliedern.
Zwar sollen die Krankenkassen für viele Versicherte höheren Alters und mit bestimmten Krankheiten einen Ausgleich erhalten. Dieser sei aber »sehr unzureichend«, da er die Anzahl einkommensschwacher Versicherter (gleichbedeutend mit Wegfall von Zuzahlungen und erhöhtem Verwaltungsaufwand) und regionale Unterschiede nicht berücksichtige. Ohnehin sei davon vorauszusehen, dass in Zukunft jede Kasse einen Zusatzbeitrag erheben müsse. Das bedeute eine weitere Ausgabenbelastung für die Versicherten.
Jacobs bemängelte vor allem, dass die geplante Gesundheitsreform »im Grundsatz verfehlt« sei. Laut verschiedener Expertengremien sei die zentrale Ursache für die Beitragssteigerungen der gesetzlichen Krankenversicherung in den letzten 10 bis 15 Jahren die schwächelnde Beitragsbasis, also der Rückgang der Einnahmen, gewesen. Daran ändere die Reform nichts. Einkommen jenseits der Beitragsbemessungsgrenze, aus geringfügiger Beschäftigung, durch Mieteinkünfte und von Privatversicherten blieben außen vor. Die Sozialverbände forderten, »dass langfristig alle Bürger und alle Einkommensarten in die solidarische Finanzierung der Gesundheitsversorgung einbezogen werden«.