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Gesundheitsreform

Der Protest wird stärker

17.10.2006  11:31 Uhr

Gesundheitsreform

<typohead type="3">Der Protest wird stärker

Von Daniel Rücker

 

Der Referentenentwurf zur Gesundheitsreform liegt auf dem Tisch. Die Reaktionen sind vernichtend. Die Regierungsparteien ringen weiter um Einigkeit, die Gesundheitsverbände planen Proteste ­ auch die Apotheker. Aus gutem Grund: Die Regierung scheint nicht bereit, ihre kruden Vorstellungen zur Arzneimittelversorgung zu überdenken.

 

Das Szenario wiederholt sich zurzeit nahezu im Wochentakt. Die Bundesregierung stellt einen weiteren Entwurf zur mittlerweile als GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz (GKV-WSG) getauften Gesundheitsreform vor, der sich von seinen Vorgängern kaum unterscheidet. Die Partei- oder Ministeriumsspitzen sprechen vom Ende des Koalitionsstreits und einem großen Wurf. Kurze Zeit später kritisieren Opposition und Gesundheitsverbände das nach wie vor unausgegorene und inkonstistente Werk. Krankenkassen und Gewerkschaften schließen sich der Kritik an. Schließlich melden sich die gesundheitspolitischen Abweichler von Union und SPD zu Wort, sie haben einen neuen Punkt gefunden, an dem sie Zwietracht in die Koalition bringen können und schon steht der große Wurf wieder als das da, was er tatsächlich ist: der gescheiterte Versuch, die Koalition als handlungsfähig darzustellen.

 

So erging es auch dem Referentenentwurf. Am Freitagmorgen vergangener Woche präsentierte das Bundesgesundheitsministerium auf 542 Seiten, wie sich die Regierung die anstehende Gesundheitsreform vorstellt. Große Änderungen im Vergleich zu den drei Vorgängerentwürfen hat es dabei nicht gegeben. Das gilt auch für die gravierenden Einschnitte in die Arzneimittelversorgung. An diesem Teil der Reform wird schon seit einiger Zeit nicht mehr gearbeitet. Dass es hier erhebliche Ungereimtheiten gibt, etwa die offensichtlichen Widersprüche zwischen GKV-WSG und AVWG, scheint weder im Gesundheitsministerium noch im Parlament Interessenten zu finden.

 

Interessenten fand dagegen die geplante Verknüpfung von Zuzahlungsbefreiungsgrenzen mit der Teilnahme an Vorsorgeuntersuchungen. So sollen Patienten, die nicht regelmäßig die von den Krankenkassen bezahlten Krebsvorsorgeuntersuchungen wahrnehmen, in Zukunft bis zu 2 Prozent ihres Einkommens für Zuzahlungen aufbringen müssen, während diejenigen, die regelmäßig zur Vorsorge gehen, nur maximal 1 Prozent bezahlen müssen. So will die Regierung Gesundheitsbewusstsein und Eigenverantwortung stärken. SPD-Zahlenakrobat Professor Dr. Karl Lauterbach kann bereits den ökonomischen Nutzen dieser Regelung quantifizieren: Bis zu 1,5 Milliarden Euro könnten gespart werden, wenn alle Versicherten brav zur Vorsorge gingen. Die Präzision ist um so bewundernswerter als Krankenkassen und Ärzte die Details zu der Regelung erst noch im Gemeinsamen Bundesausschuss beschließen müssen.

 

In jedem Fall reichte die Verdichtung der Regelung auf die Aussage, die Regierung bitte nun Tumorpatienten zur Kasse, für einen handfesten Streit zwischen Regierung und Opposition und innerhalb der Regierung. FDP-Generalsekretär Dirk Niebel nannte die Pläne »abgrundtief unanständig«. Grünen-Chefin Claudia Roth wandte sich gegen »Malussysteme für Menschen, die an schweren Krankheiten leiden oder gar mit dem Tod ringen«.

 

Wenn sich schon die FDP zum Anwalt der Schwachen macht, können sich die Sozialdemokraten auch nicht mehr zurückhalten. SPD-Vize Ferner betonte deshalb im SWR, darüber werde man sicher in der parlamentarischen Anhörung noch mal diskutieren müssen. Nicht wirklich festlegen wollte sich dagegen SPD-Generalsekretär Hubertus Heil. Man sei sich in der SPD-Spitze einig, dass chronisch Kranke auch künftig nicht stärker belastet werden sollen. Es bleibe aber bei den Vereinbarungen.

 

Wirklich überraschend ist dies nicht. Gravierende Veränderungen hatte niemand mehr ernsthaft erwartet. Dass es der Regierung dennoch gelang, die Verbände im Gesundheitswesen über Gebühr gegen sich aufzubringen, lag an dem extrem kurzfristig einberufenen Anhörungstermin. Drei Tage nach der Veröffentlichung des Referentenentwurfs sollten Krankenkassen, Gewerkschaften, Apotheker, Ärzte, Kliniken und Arzneimittelhersteller ihre Stellungnahmen zum Gesetzentwurf abgeben.

 

Verbände boykottieren Anhörung

 

Die wichtigsten Verbände im Gesundheitswesen boykottierten die Veranstaltung in Berlin. In einer gemeinsamen Presseerklärung begründen mehr als 20 Verbände ihr Fernbleiben unter anderem mit der kurzfristigen Terminierung der Veranstaltung. Allein die Pharmaverbände kamen weitgehend geschlossen zur Anhörung, freilich ohne hinterher mit einem greifbaren Resultat aufwarten zu können.

 

Die Anhörung sei eine Farce, heißt es in einer Stellungnahme der Verbände, zu denen neben der ABDA auch die Organisationen der Ärzteschaft, der Krankenkassen und der Gemeinsame Bundesausschuss gehören. Sie hätten erst am Donnerstag den Referentenentwurf erhalten. Gleichzeitig seien sie ohne vorherige Ankündigung zu der Anhörung am nachfolgenden Montag eingeladen worden.

 

Dabei habe das Ministerium bereits Anfang Juli den Auftrag erhalten, einen Gesetzesentwurf vorzulegen. Ein sinnvoller Zeitablauf wäre somit möglich gewesen. Offenkundig sei der fachliche Rat der Spitzenorganisationen im Gesundheitswesen jedoch gar nicht ernsthaft gefragt, so die Verbände. Da bereits für den nächsten Tag die Ressortabstimmung angesetzt wurde, sei ohnehin nicht geplant, die Anregungen und Kritik der Verbände noch zu berücksichtigen. Die Verbände betonten, sie seien selbstverständlich bereit und in der Lage, im Interesse der Vermeidung von schädlichen Wirkungen auf die gesamte Bevölkerung und der Funktionsfähigkeit des Gesundheitssystems den Gesetzentwurf mit Sorgfalt zu prüfen und Änderungsvorschläge zu unterbreiten. Diese Prüfung werden sie jedoch mit der gebotenen Sorgfalt durchführen und dann in ausführlichen Stellungnahmen der Politik und der Öffentlichkeit in einem angemessenem Zeitraum zur Verfügung stellen.

 

Die Bundesregierung zeigte sich von dem Boykott wenig beeindruckt. Schmidts Sprecher Klaus Vater wies die Kritik als »an den Haaren herbeigezogen« zurück. »Das wird das Gesetz nicht aufhalten«, sagte Vater. Die Anhörung zur Gesundheitsreform werde stattfinden. Vater sagte, die mehreren tausend Fachleute in den Verbänden müssten binnen vier Tagen die jeweils ihre Organisation betreffenden Seiten durcharbeiten können. Die Arbeitsentwürfe hätten sie seit Wochen gelesen.

 

Apotheker planen Proteste

 

Die Hoffnung, die Politik noch mit Argumenten zu erreichen, schwindet bei Krankenkassen und Gesundheitsberufen langsam. Es gibt keinen Anlass zur Hoffnung, dass sich die Regierung doch noch eines Besseren belehren lässt. Für die Apotheker und das gesamte Apothekenpersonal soll der November zum Protestmonat werden. An vier Orten der Republik bereiten die ABDA und die Apothekengewerkschaft Adexa gemeinsame Kundgebungen vor, mit denen die Bevölkerung über die fatalen Auswirkungen der bevorstehenden Reform informiert werden sollen.

 

Die Protestkundgebungen sind für den 1. November in Leipzig, den 8. November in München, den 15. November in Köln und den 22. November in Hamburg, jeweils vormittags, geplant. Ziel ist es, der Bevölkerung klarzumachen, dass die Gesundheitsreform Arbeitsplätze in Apotheken vernichtet, die flächendeckende Versorgung mit Arzneimitteln verschlechtert und den Apotheker als Heilberufler gefährdet. Die PZ wird in den kommenden Ausgaben über die weiteren Details der Protestveranstaltungen berichten.

 

An ihrem Zeitplan will die Bundesregierung festhalten. Das Gesetz soll nach Abstimmungen mit den Ländern und den anderen Bundesministerien am 25. Oktober im Kabinett beschlossen werden. Danach wollen die Regierung und die Koalitionsfraktionen die Vorlage parallel in Bundesrat und Bundestag einbringen, damit das Gesetz wie geplant am 1. April 2007 in Kraft treten kann. Voraussetzung dafür ist, dass der Widerstand in den Koalitionsfraktionen nicht noch größer wird. In der SPD-Bundestagsfraktion gibt es nach Worten des Abgeordneten Wolfgang Wodarg derzeit 35 Abweichler. »Es ist nicht sicher, ob es für die Gesundheitsreform eine Mehrheit gibt«, sagte der SPD-Politiker. Die große Koalition hat im Bundestag allerdings 448 von 614 Sitzen. Es müssten sich also in SPD und Union noch deutlich mehr Abweichler finden.

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