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Alzheimer-Frühdiagnostik

Einblick ins Gehirn

11.10.2016  11:33 Uhr

Von Christina Hohmann-Jeddi, Duisburg / Obwohl noch keine Therapie gegen Morbus Alzheimer zur Verfügung steht, ist es wichtig, die Erkrankung früh zu diagnostizieren.Im frühen symptomatischen Stadium ist dies bereits möglich. Nun arbeiten Forscher daran, Biomarker zu identifizieren und Verfahren zu entwickeln, mit deren Hilfe die Erkrankung vor Ausbruch der Symptome zu erkennen ist.

Durch Aufklärung und Sensibilisierung ist das Thema Demenz aus der Tabu-Ecke herausgekommen. Doch immer noch zu selten wird eine Erkrankung frühzeitig diagnostiziert, berichtete Dr. Klaus Weil vom St. Franziskus Hospital in Flensburg auf dem Malteser Versorgungskongress Demenz Anfang September in Duisburg. 97 Prozent der leichten Demenzen und 50 Prozent der mittelschweren werden von Angehörigen und Ärzten nicht erkannt. Die Diagnose erfolgt im Schnitt im vierten Jahr der Erkrankung. Dabei sind eine korrekte frühe Diagnose oder der Ausschluss einer Demenz wichtig, weil häufig eine behandelbare Grund­erkrankung wie eine Depression der kognitiven Problematik zugrunde liegt.

So zeigte zum Beispiel eine Untersuchung aus dem Jahr 2008, dass selbst Fachärzte wie Neurologen oder Psychiater Schwierigkeiten haben, eine Alzheimer-Demenz korrekt zu diagnostizieren. Die von Fachärzten gestellte Verdachtsdiagnose Alzheimer-Demenz ließ sich nur in 40 Prozent der Fälle durch eine differenzierte neuropsychologische Untersuchung bestätigen, weitere 20 Prozent der Patienten wiesen eine anderen Demenzform auf. »40 Prozent hatten gar keine Demenz«, so Weil. »Der Grund für diese hohe Rate ist nicht mangelnde Kompetenz der Fachärzte, sondern mangelnde Zeit.« Diese fehle häufig für eine saubere Fremdanamnese, die für die Diagnostik ausgesprochen wichtig ist. Anders sei die Situation in Tageskliniken oder speziellen Zentren. Hier liege die diagnostische Sicherheit bei etwa 90 Prozent.

 

Eine korrekte Diagnose ermögliche es den Patienten und den Angehörigen, sich rechtzeitig über die Erkrankung und Unterstützungsmöglichkeiten zu informieren und damit die Lebenssituation zu verbessern. Zudem sei eine Behandlung umso wirkungsvoller, je früher sie einsetzt. Die therapeutischen Möglichkeiten seien derzeit begrenzt, sagte der Geriater. Bei der Hälfte der Patienten könne eine Therapie die Progression der Erkrankung um 12 bis 18 Monate verzögern, so Weil. »Bei der anderen Hälfte haben wir keine therapeutischen Möglichkeiten.«

 

Erst spät erkannt

 

Ein Grund für die begrenzten therapeutischen Mittel ist, dass die Erkrankung erst spät im symptomatischen Stadium diagnostiziert wird und ein Verlust an Nervenzellen nicht mehr rückgängig zu machen ist. Daher wird intensiv an Möglichkeiten geforscht, eine Alzheimer-Erkrankung in einem früheren Stadium – noch vor Einsetzen der Symp­tome – zu erkennen. Denn die neuro­degenerative Erkrankung hat einen langen Vorlauf: Der schädliche Prozess ist komplex und beginnt etwa 25 bis 30 Jahre vor Auftreten der Symptome.

 

Ein wichtiger und früher Schritt in der Pathogenese ist die Amyloidose, die Anreicherung von β-Amyloid (Aβ) im Gehirn und Akkumulation zu Plaques. Und auch das τ-Protein akkumuliert. Darüber hinaus treten metabolische Veränderungen im Gehirn auf. So sinkt zum Beispiel der Glucosemetabolismus in der Hirnrinde, was Aufschluss über deren Aktivität gibt. Zudem treten Entzündungen auf, Synapsen gehen kaputt, Nervenzellen sterben ab und das Gehirnvolumen schrumpft. Letztlich führt all das zur Verminderung der kognitiven Funktionen.

Die einzelnen Prozesse lassen sich durch Bildgebung oder andere Methoden erfassen und für die Frühdiagnostik nutzen. Darüber berichtete Professor Dr. Eric Westman vom Karolinska Institut in Stockholm auf der Tagung. So lassen sich Aβ, τ und phosphoryliertes τ-Protein im Liquor nachweisen. Diese Biomarker in der Cerebrospinalflüssigkeit tauchen bereits 15 bis 20 Jahre vor Ausbruch der Erkrankung auf. Außerdem lassen sich sowohl Amyloid-Plaques als auch τ-Fibrillen mithilfe von bildgebenden Verfahren darstellen. Hierfür wurden radioaktive Tracer entwickelt, die spezifisch an die jeweiligen Proteine binden. In Aufnahmen der Positronenemissionstomografie (PET) sind die Ablagerungen dann zu erkennen.

 

Auch der veränderte Glucosestoffwechsel in der Hirnrinde lässt sich mithilfe der PET sichtbar machen. Einer der spätesten Biomarker, die auf eine Alzheimer-Pathogenese hinweisen, sind die Strukturveränderungen im Gehirn infolge der Neurodegeneration. Verschiedene Areale schrumpfen, was sich mittels Magnetresonanztomografie (MRT) darstellen lässt, berichtete Westman. Im fortgeschrittenen Stadium lassen sich diese Strukturveränderungen mit bloßem Auge auf den MRT-Aufnahmen erkennen, in frühen Stadien sind sie noch subtil und nur mithilfe von Computerprogrammen zu identifizieren.

 

Automatisierte Diagnose

 

Westman entwickelte mit seiner Arbeitsgruppe ein Modell, bei dem automatisiert eine Reihe von Variabeln, zum Beispiel Dicke und Volumina verschiedener Gehirnareale, im MRT-Bild ausgewertet werden und das eine Unterscheidung zwischen einem Alzheimer-ähnlichen und einem gesunden Merkmalsmuster zulässt. Personen mit einem Alzheimer-ähnlichen Atrophiemuster haben subklinische kognitive Störungen, weisen erhöhte Amyloid-Plaques-Mengen und eine verstärkte klinische Progression auf, berichtete Westman. Mithilfe des Modells lässt sich bei Patienten mit milden kognitiven Störungen die Wahrscheinlichkeit vorhersagen, dass sie an Alzheimer-Demenz erkranken. Die Forscher testen das Modell derzeit an größeren Populationen. »Ein Problem ist, dass nicht genau bekannt ist, was pathologisch ist und was einem normalen Alterungsprozess entspricht«, berichtete Westman.

 

Die Forscher hoffen, dass das Modell eines Tages genutzt werden kann, um eine Alzheimer-Pathogenese früh zu diagnostizieren und den Krankheitsverlauf zu überwachen. Außerdem könnten die Strukturveränderungen als Endpunkt für klinische Studien zu Alzheimer-Therapeutika dienen. In die klinische Praxis sei das Verfahren leicht zu integrieren, da es auf MRT-Aufnahmen basiert. Allerdings erfasse das Modell ausschließlich die Strukturveränderungen im Gehirn, was nur ein Puzzleteil der Pathogenese darstelle, betonte der Mediziner. Andere Biomarker, vor allem die Liquor-Biomarker, träten deutlich früher auf.

 

Bislang wird eine Alzheimer-Diagnose anhand der Symptomatik gestellt und durch weitere Biomarker wie Atrophie oder der τ-Konzentration im Liquor gesichert. In Zukunft könnte die Erkrankung mit den genannten Verfahren oder einer Kombination aus diesen schon deutlich vor Auftreten der Symptome diagnostiziert werden. Dies böte die Möglichkeit, durch geeignete Interventionen die Pathogenese aufzuhalten. Gerade für die Entwicklung entsprechender kausaler Therapien sind solche Diagnosemethoden wichtig, um eine geeignete Studienpopulation rekrutieren zu können.

Prävention möglich

 

Eine frühe Diagnose ermöglicht auch eine Sekundärprävention, zum Beispiel mit kognitivem Training, körperlicher Bewegung und Modifikation von vaskulären Risikofaktoren. Dass dies wirksam ist, berichtete Dr. Sebastian Köhler von der Universität Maastricht. Denn einige Risikofaktoren für eine Alzheimer-Demenz lassen sich beeinflussen. Einer der wichtigsten ist behandelbar: die Depression. Ebenfalls therapierbar sind Diabetes mellitus, Hypertonie und hoher Blutcholesterolwert. Als weitere Risikofaktoren nannte Köhler Übergewicht, mangelnde körperliche Bewegung und geistige Aktivität, sowie Rauchen, erhöhten Alkoholkonsum und ungesunde Ernährung. »Kurz gefasst gilt: Alles was schlecht für das Herz ist, ist auch schlecht für das Gehirn«, sagte Köhler.

 

Die finnische FINGER-Studie habe den Erfolg der Alzheimer-Prävention gezeigt. In dieser randomisierten placebokontrollierten Interventionsstudie wurde eine Hälfte der Senioren mit erhöhtem Demenzrisiko über zwei Jahre mit einer Kombination aus gesunder Ernährung, Bewegung, Kognitionstraining sowie einer engmaschigen Überwachung vaskulärer Risiken betreut. Eine Kontrollgruppe wurde dagegen lediglich über die positiven Auswirkungen von Lebensstilveränderungen aufgeklärt. In der Interventionsgruppe stiegen die geistigen Fähigkeiten der Probanden im Verlauf der zwei Jahre signifikant stärker an als in der Kon­trollgruppe. /

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