Hypertonie schon bei Kindern |
06.10.2008 14:41 Uhr |
<typohead type="3">Hypertonie schon bei Kindern
Schon Kinder können an Bluthochdruck leiden. Jedoch ist die arterielle Hypertonie im Kindesalter viel seltener als bei Erwachsenen. Experten beziffern die Prävalenz mit 1 bis 3 Prozent.
Die Langzeitfolgen können verhängnisvoll sein: Arteriosklerose, koronare und zerebrovaskuläre Erkrankungen, Diabetes mellitus und Niereninsuffizienz. Je jünger ein Hochdruckpatient ist, desto wahrscheinlicher ist eine renale Ursache, erklärte Privatdozent Dr. Thomas Reinehr von der Universitätskinderklinik Witten-Herdecke. Bisweilen liegen auch andere Erkrankungen, beispielsweise ein Tumor oder eine endokrine Störung, zugrunde. Im Gegensatz zu diesen sekundären Hochdruckformen gewinnt die essenzielle Hypertonie, bei der die Ursache bisher unbekannt ist, im Jugendlichenalter an Bedeutung.
Bei Kindern beginnt die arterielle Hypertonie definitionsgemäß ab der 95. Perzentile, wobei Alter, Geschlecht und Körpergröße berücksichtigt werden. Perzentilen sind Prozentangaben. Ein Hochdruck auf der 99,5. Perzentile bedeutet, dass nur 0,5 Prozent der Kinder gleichen Alters, Geschlechts und Größe einen höheren Blutdruck als das betreffende Individuum haben.
Mindestens drei unabhängige Messungen sind notwendig, um die Diagnose stellen zu können. »Um eine Weißkittelhypertonie auszuschließen, ist eine ambulante 24-Stunden-Blutdruckmessung empfehlenswert«, sagte Reinehr. Blutdruckwerte zwischen der 90. und 95. Perzentile sowie Werte über 120/80 mmHg bei Adoleszenten werden als Prähypertonie bezeichnet. Liegen die Werte um mehr als 10 mmHg oberhalb der 95. Perzentile, handelt es sich um eine schwere Hypertonie.
Eine nicht-medikamentöse Therapie ist immer angebracht, denn mitunter kann sie den Blutdruck ausreichend beeinflussen, vor allem bei grenzwertigem Hochdruck (90. bis 95. Perzentile). Wichtig ist, dass die Kinder und Jugendlichen Übergewicht reduzieren, Sport treiben und salzarm und ausgewogen essen. »Ein regelmäßiges Ausdauertraining von einer halben Stunde pro Tag verringert den Blutdruck um etwa 4 bis 9 mmHg«, erklärte Dr. Robert Dalla Pozza von der Ludwig-Maximilians-Universität München. Kann ein übergewichtiges Kind seinen Body Mass Index (BMI: Körpergewicht in kg/(Körperlänge in Metern)2) um 10 Prozent reduzieren, sinkt sein Blutdruck um 8 bis 12 mmHg.
Oftmals beginnen die Ärzte gleich mit der Pharmakotherapie. Dies gilt bei schwerer Hypertonie mit Zeichen von Organschäden, beispielsweise einer linksventrikulären Hypertrophie, sekundärer arterieller Hypertonie und Diabetes mellitus. Ebenso bekommen Patienten mit schwerer Hypertonie unverzüglich eine medikamentöse Behandlung.
Auch wenn die meisten Antihypertensiva nicht für junge Patienten zugelassen sind: »ACE-Hemmer sind Mittel der ersten Wahl bei Kindern«, stellte Dalla Pozza fest. Nur Captopril ist für Kleinkinder zugelassen, Enalapril für Kinder ab 6 Jahren (oder 20 kg Gewicht). Häufig kommt auch Ramipril zum Einsatz. Zu den Nebenwirkungen der ACE-Hemmer zählen vor allem Reizhusten, allergische Hautreaktionen, Kopfschmerzen, Übelkeit und Durchfall. Schwerwiegender sind das selten auftretende akute Nierenversagen, ein angioneurotisches Ödem sowie Leukopenien.
»Treten schwere Nebenwirkungen auf, sollten Angiotensin-1-Rezeptorenblocker wie Losartan oder Irbesartan zum Einsatz kommen«, sagte Dalla Pozza. Reizhusten und Angioödem sind hier seltener. Kein AT1-Rezeptorblocker ist für Kinder zugelassen; diese Stoffe werden off-label verordnet.
Betablocker sind Medikamente der ersten Wahl bei Kindern mit belastungsinduzierter Hypertonie, das heißt einem erhöhten Blutdruck unter körperlicher Belastung, obwohl für diese Altersgruppe keine Zulassung vorliegt. Dalla Pozza empfahl Betablocker auch bei Kindern mit Marfan-Syndrom oder hypertropher Kardiomyopathie. Das Marfan-Syndrom ist eine genetisch bedingte Erkrankung des Bindegewebes mit charakteristischen Veränderungen der Statur, des kardiovaskulären Systems und der Augen. Auch die hypertrophe Kardiomyopathie ist angeboren. Hierbei ist die Herzmuskulatur verdickt, wobei zumeist die linke Herzkammer betroffen ist.
Umstritten ist der Einsatz von Betablockern bei Kindern mit Diabetes, da diese die Stoffwechsellage verschlechtern können: Eine Blockade von β2-Rezeptoren verringert die Insulinsekretion. Zudem verengt sie die Bronchien. Nicht-kardioselektive Betablocker wie Propranolol dürfen bei Asthma daher nicht gegeben werden.
Sind ACE- und AT1-Hemmer sowie Betablocker kontraindiziert, kommen Calciumantagonisten wie Nifedipin oder Amlodipin infrage. Es kann zu Kopfschmerzen und Gesichtsrötungen kommen. Zudem besteht die Gefahr einer zu ausgeprägten Blutdruckreduktion. Diuretika, meist Hydrochloro\-thiazid, Furosemid oder Spironolacton, werden überwiegend kombiniert mit ACE-Hemmern, Betablockern oder Calciumantagonisten. Das Nebenwirkungsspektrum ist spezifisch für die jeweilige Klasse (beispielsweise Schleifendiuretika: Hypokaliämie, Hypercalciurie, Nephrocalcinose; hochdosierte und langandauernde Gabe von Thiaziden: Hyperglykämie, Hyperlipidämie).
»Die Behandlung einer Hochdruckkrise muss im Krankenhaus erfolgen«, erklärte Dalla Pozza. Bei einer hypertensiven Krise kommt es zu einem starken plötzlichen Anstieg des systolischen und meist auch des diastolischen Blutdrucks. Kopfschmerzen, Verwirrtheit, Sehstörungen und Krampfanfälle sind typisch. Zur medikamentösen Therapie werden Nitroprussidnatrium, Diazoxid, Hydralazin, Labelol, Nifedipin und Phentolamin eingesetzt.
Die für ältere Kinder ideale Methode der Blutdruckmessung ist das auskultatorische Verfahren nach Riva-Rocci und Korotkow. Hierbei registriert der Untersucher mithilfe eines Stethoskops die sogenannten Korotkow-Töne.
Bei der Messung sind einige Punkte zu beachten. Wichtig ist, dass das Kind ruhig und entspannt ist. Die Oberarmmanschette soll sich beim liegenden Kind in Herzhöhe befinden. Das sitzende Kind legt seinen Arm auf den Tisch. Die Kleidung darf den Arm nicht einengen. Die Manschette muss den Arm lückenlos umfassen, die Breite der Manschette soll etwa die Hälfte des Armumfangs betragen. Für Kinder gibt es verschiedene Manschettenbreiten von 2,5 bis 12 cm.
Bei Neugeborenen, Säuglingen und jungen Kleinkindern ist die Blutdruckmessung nach Riva-Rocci und Korotkow oft nicht oder nur unzulänglich durchführbar. Es gibt technisch anspruchsvolle Geräte, die mittels Mikrofon am distalen Manschettenrand die in diesem Alter sonst praktisch nicht hörbaren Korotkow-Töne direkt registrieren oder aber mittels Ultraschall und elektronischer Registrierung das Auftreten ruckartiger arterieller Blutströme distal der Manschette als Kriterium der Systole erfassen.