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Abschied von der Analgetika-Niere

29.08.2006  13:36 Uhr

<typohead type="3">Abschied von der Analgetika-Niere

Von Conny Becker

 

Die so genannte Analgetika-Niere könnte schon bald aus den Lehrbüchern verschwinden. Darauf weist eine Studie desjenigen Autors hin, der vor Jahren die histo-pathologische Definition der besonders bei Kombinationsanalgetika gefürchteten Nebenwirkung prägte.

 

Schon seit Anfang des 20. Jahrhunderts ist bekannt, dass Überdosierungen von Analgetika wie ASS, Pyrazolon-Derivaten Phenacetin und Paracetamol die Nierenfunktion in Mitleidenschaft ziehen. Dies gilt allerdings als akute Komplikation. Langzeiteffekte dagegen wurden erst in den 1950er-Jahren beobachtet, nachdem Kombinationsanalgetika Einzug in den Markt gehalten hatten und der Analgetikakonsum (und -missbrauch) in der Bevölkerung bereits weitverbreitet war. Pathologen wie Professor Dr. Michael J. Mihatsch vom Uniklinikum Basel deckten die Entstehung der Analgetika-Niere histologisch bis ins Detail auf, beginnend mit einer Kapillarsklerose und der Nekrose der Nierenpapillen bis hin zur terminalen Niereninsuffizienz oder Nierenkrebs. 1984 schließlich bekam das Kind auch einen Namen: Nach einer Konsensuskonferenz zählte die Analgetika-Nephropathie offiziell zu den Analgetika-assoziierten Krankheiten.

 

Zu dieser Zeit war das Team um Mihatsch ebenso wie Wissenschaftler aus Belgien oder Australien zu alarmierenden Ergebnissen gekommen. In der Schweiz zum Beispiel war die Analgetika-Nephropathie Autopsien zufolge für mehr als jede vierte terminale Niereninsuffizienz verantwortlich, die eine Nierenersatztherapie (Dialyse/Transplantation) notwendig machte. Ferner wiesen schätzungsweise 4 Prozent aller untersuchten Verstorbenen Kapillarsklerosen im Harnleiter (Ureter) auf, was für einen früheren Missbrauch phenacetinhaltiger Analgetika sprach. Da der Übeltäter Phenacetin durch mehrere Untersuchungen überführt war, wurde er in der Schweiz Ende 1983 vom Markt verbannt und auch in Deutschland Mitte der 80er-Jahre aus dem Verkehr gezogen. Mihatsch war dies nach eigenen Angaben allerdings noch nicht genug. »Denn ich favorisierte die Hypothese, dass Paracetamol, der Hauptmetabolit von Phenacetin, in Kombination mit Salicylaten genommen, der Hauptschuldige in der Pathogenese der Analgetika-Nephropathie hätte sein können«, schreibt der Mediziner in einer aktuellen Veröffentlichung. Die anhaltende Kontroverse über das nephrotoxische Potenzial führte dazu, die Untersuchungen von vor 20 Jahren zu wiederholen.

 

Das Team um Mihatsch analysierte zwischen 2000 und 2002 Autopsien von 616 Erwachsenen. Das Ergebnis überraschte vermutlich vor allem den Studienleiter. Die Pathologen fanden zwar eine Reihe von Läsionen, konnten makroskopisch jedoch keine einzige Papillarnekrose oder Analgetika-Nephropathie diagnostizieren. Erst histologische Untersuchungen führten zu einer Patientin mit allen Anzeichen einer Analgetika-Niere. Ansonsten fanden die Forscher nur in fünf weiteren Fällen eine Papillarnekrose. Eine Kapillarsklerose - als erster Marker einer Analgetika-Niere - scheint dagegen innerhalb von 20 bis 30 Jahren nach (bestätigter) Phenacetin-Einnahme wieder zu verschwinden. Die Prävalenz der Analgetika-Nephropathie sank somit von 3 Prozent in 1980 auf 0,2 Prozent in 2000. Daneben konnte das Baseler Team auch einen Rückgang der Krebsfälle bestätigen, den es ebenfalls auf die fehlende Exposition kanzerogener Phenacetin-Metabolite zurückführt.

 

Die Schlussfolgerung der Autoren ist eindeutig: »Die klassische Analgetika-Nephropathie ist gut 20 Jahre nach der Rücknahme von Phenacetin vom Analgetika-Markt verschwunden, obwohl Kombinationsanalgetika mit dem Hauptmetaboliten Paracetamol weiterhin populäre und häufig gebrauchte Medikamente sind.« Mihatsch, bislang Kritiker von modernen Kombinationsanalgetika, gesteht offen ein, dass er mit seiner Hypothese falsch lag und sieht seine Untersuchung als »weiteren Beweis dafür, dass dieser Typ einer chronischen Nierenkrankheit auf nichts anderes zurückzuführen war als phenacetinhaltige Kombinationsanalgetika« (Nephrol Dial Tranaplant (2006) doi: 10.1093/ndt/gfl390).

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