Ideale unter wirtschaftlichem Druck |
24.08.2010 14:39 Uhr |
Von Uta Grossmann, Berlin / Anke Grabow setzt auf Naturheilverfahren. Nicht nur in ihrer Galenus-Apotheke. Die Apothekerin und Heilpraktikerin hat mitten in Berlin ein Gesundheitszentrum gegründet, um ihre Überzeugung von einer ganzheitlichen Heilkunde zu verwirklichen.
Immer mehr Menschen schwören auf Naturheilverfahren. Sie glauben an ihre Wirksamkeit, auch wenn sie naturwissenschaftlich nicht belegt ist. Wegen mangelnder schulmedizinischer Evidenz eines beliebten Zweiges der Naturheilkunde, der Homöopathie, forderte jüngst der SPD-Politiker und Arzt Karl Lauterbach, Homöopathika nicht mehr von der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) erstatten zu lassen.
»Peinliche« Lauterbach-Debatte
Die dadurch ausgelöste Diskussion lässt überzeugte Naturheilkundler kalt. Die Berliner Apothekerin und Heilpraktikerin Anke Grabow berichtet, ihre auf Naturheilverfahren eingeschworene Stammkundschaft habe die Debatte »peinlich« gefunden und die fehlende Sachkenntnis der Beteiligten beklagt. Zumal die hinter Lauterbachs Forderung stehende Absicht, der GKV Geld zu sparen, gar nicht ziehe: Die meisten Patienten zahlen die (vergleichsweise billigen) homöopathischen Globuli oder andere naturheilkundliche Mittel ohnehin selbst.
Das bestätigt der Gesundheitsdienstleister Insight Health: Von den 48,5 Millionen im Jahr 2009 verkauften Packungen homöopathischer Arzneimittel entfiel mit 2,5 Millionen nur ein kleiner Teil auf die GKV. Nur 4,7 Prozent des Umsatzes mit Homöopathika (10,9 Millionen Euro) gingen zulasten der GKV. 75 Prozent des Umsatzes (171,9 Millionen von 229,1 Millionen Euro) finanzierten die Patienten aus eigener Tasche. Den Rest bezahlten private Krankenversicherungen. Fazit von Insight Health: Der Markt für homöopatische Arzneimittel ist ein typischer OTC-Markt.
Anke Grabow sagt, mit herkömmlichen Studiendesigns sei die Wirksamkeit der Naturheilverfahren tatsächlich schwer nachzuweisen. Die Homöopathie zum Beispiel orientiere sich nicht wie die Schulmedizin an Symptomen, sondern betrachte den gesamten Menschen und suche nach Ursachen der jeweiligen Störung. Da könne ein Kopfschmerz schon mal 20 verschiedene Mittel erfordern.
Die 43-Jährige ist ein Energiebündel, eine Macherin. Sie ist davon überzeugt, dass die Selbstverantwortung des Patienten gestärkt und die Therapiefreiheit und -vielfalt erhalten und ausgebaut werden müsse, um langfristige Heilungserfolge zu erzielen. Nach dem Pharmaziestudium an der Berliner Humboldt-Universität schloss sie eine Heilpraktiker-Ausbildung an. Danach absolvierte sie eine vierjährige Ausbildung in klassischer Homöopathie, beschäftigte sich mit Bachblütentherapie und Kräuterkunde.
Seit 20 Jahren arbeitet sie in der Galenus-Apotheke in Berlin-Mitte, zunächst als Angestellte. Als die damalige Chefin sich zur Ruhe setzte, übernahm Grabow 2004 die Apotheke. 2005 gründete sie hinter der Apotheke den Blütenhof, ein Gesundheitszentrum mit Heilpraktiker- und Arztpraxen, Physiotherapie und Räumen für Yogakurse, Vorträge und Seminare, etwa zur Stressreduktion oder zum eigenverantwortlichen Umgang mit Erkrankungen.
Bildung statt Konsumhaltung
2007 ist eine Weiterbildung zum Ärztlich geprüften Gesundheitscoach dazugekommen, in Kooperation mit der Deutschen Angestellten-Akademie. Sie läuft berufsbegleitend oder für Arbeitsuchende in Vollzeit, mit Unterstützung der Arbeitsagentur. Mit der berufsbegleitenden Ausbildung werden auch Apotheker und Apothekenpersonal angesprochen, die ihre Beratungsleistung stärken wollen. Anke Grabow ist in Kontakt mit der Apothekerkammer, damit es künftig Weiterbildungspunkte gibt.
Die Gesundheitsbildung ist Anke Grabow ein wichtiges Anliegen. Sie möchte die »Konsumhaltung« aufbrechen, die nach ihrer Überzeugung vom Gesundheitssystem, wie es heute ist, gefördert wird. Ihr Interesse an Naturheilverfahren sei durch ihre Kinder geweckt worden, die inzwischen 13 und 15 Jahre alt sind. Sie hat die beiden immer mit naturheilkundlichen Mitteln behandelt.
Mit 14 bekam ihr Ältester nach einer Blinddarmoperation eine Schmerztablette – er wusste nicht, ob er sie lutschen oder schlucken sollte, denn es war seine erste.
In der Apotheke selbst bietet Anke Grabow neben einem breiten Spektrum naturheilkundlicher Produkte auch Ernährungsberatung und naturkosmetische Behandlungen an. Ihr Ansatz, statt Symptome zu behandeln nach den Ursachen für Beschwerden zu suchen, erfordert zeitaufwendige, intensive Beratungsgespräche.
Viel Arbeit für wenig Lohn
Gleichzeitig wächst der wirtschaftliche Druck durch immer neue Gesundheitsreformen und Reglementierungen wie die Rabattverträge. Die Apothekerin erzählt, sie arbeite 50 Stunden in der Woche, dennoch werfe die Apotheke kaum Gewinn ab. Sie musste Mitarbeiter entlassen und eine nahegelegene Filiale wieder schließen. Pharmazeutischer Idealismus und wirtschaftliche Realität lassen sich immer schwerer unter einen Hut bringen.
Anke Grabow hat viel ausprobiert. Sie stellte Absolventen der Gesundheitscoach-Ausbildung für naturheilkundliche Beratung ein, doch die Patienten waren nicht bereit, dafür Geld zu zahlen – schließlich ist die Beratung in der Apotheke sonst auch gratis.
Die Galenus-Apotheke hat ihre Wurzeln im Jahr 1888, doch Anke Grabow weiß nicht, wie lange sie sie noch wird führen können – obwohl sie gut vernetzt ist und viele Ärzte, Heilpraktiker und Therapeuten ihr Kunden schicken. Auf keinen Fall will sie »auf Masse machen, das ist nicht mein Weg«, sagt sie. Das Gesundheitssystem müsse grundlegend reformiert werden. Nötig sei eine »Gegenbewegung zum reinen Sparzwang«. Einzelne Löcher zu stopfen, löse die Probleme nicht. Sie hat sich der Apothekenkooperation Gesine angeschlossen, weil sie davon überzeugt ist, dass Einzelkämpfer keine Zukunft haben. Das Aus der Einzelapotheke sei politisch gewollt, glaubt sie. Inhaltlich möchte Anke Grabow gern stärker auf Prävention setzen, aber wie das wirtschaftlich machbar ist, weiß sie noch nicht. Doch wer die engagierte Apothekerin erlebt, zweifelt nicht, dass sie einen Weg finden wird. /