Kaum MS-Patienten unter HIV-Infizierten |
05.08.2014 14:50 Uhr |
Von Annette Mende / Eine HIV-Infektion beziehungsweise deren Therapie schützt möglicherweise vor Multipler Sklerose (MS). Das belegen jetzt statistisch signifikant die Ergebnisse einer großen Kohortenstudie.
Bereits Anfang des Jahres sorgte der australische Virologe Professor Dr. Julian Gold vom Albion Centre in Sydney mit der These für Aufsehen, dass HIV-Patienten vor einer Erkrankung an MS geschützt sind, und zwar höchstwahrscheinlich durch die antiretrovirale Kombitherapie (lesen Sie dazu HIV-Therapeutika: HAART gegen Multiple Sklerose? PZ 05/2014). Jetzt legen er und vier Kollegen im »Journal of Neurology, Neurosurgery & Psychiatry« Daten vor, die diese Theorie untermauern (doi: 10.1136/jnnp-2014-307932).
Die Autoren werteten Daten des britischen Gesundheitssystems von mehr als 21.000 HIV-Infizierten und knapp 5,3 Millionen Kontrollpersonen aus, die zwischen 1999 und 2011 in britischen Krankenhäusern behandelt wurden. Um Verzerrungen auszuschließen, stratifizierten sie die Teilnehmer unter anderem nach Alter, Geschlecht und sozioökonomischem Status. Das relative Risiko, als HIV-Patient an MS zu erkranken, betrug im Vergleich zu Nicht-HIV-Infizierten 0,38. Das entspricht einem protektiven Effekt von 62 Prozent. Das relative Risiko sank dabei umso stärker, je mehr Zeit nach einem positiven HIV-Test verstrich.
Als Erklärung für dieses Phänomen vermuten sie, dass mit zunehmender Zeitspanne nach Feststellung der HIV-Infektion die Wahrscheinlichkeit steigt, dass der Patient entsprechende Medikamente erhält. Sie glauben, dass nicht die HIV-Infektion selbst, sondern vielmehr die antiretrovirale Therapie (ART) vor MS schützt. Ihrer Theorie nach spielen humane endogene Retroviren (HER), genetische Überbleibsel lange zurückliegender Virusinfektionen, eine Rolle in der Pathogenese der MS. Mit der ART gegen HIV behandele man quasi aus Versehen die HER gleich mit und verhindere so die MS-Progression.
Das Ergebnis ist – anders als das einer früheren Untersuchung zu dieser Fragestellung – statistisch signifikant. Dennoch lässt sich damit nicht belegen, dass eine ART vor MS schützt. Denn in der Studie wurde nicht erfasst, ob beziehungsweise mit welchen Arzneistoffen die HIV-Patienten überhaupt medikamentös behandelt wurden. Da die HIV-positiven Teilnehmer der Studie im Jahr 1999 identifiziert wurden und zu diesem Zeitpunkt die internationalen Leitlinien zur HIV-Therapie einen möglichst frühen Therapiestart vorsahen, ist es allerdings sehr wahrscheinlich, dass die meisten HIV-positiven Teilnehmer eine ART erhielten. Die Autoren verweisen auf eine laufende Proof-of-Concept-Studie, in der Patienten mit schubförmig remittierender MS mit Raltegravir behandelt werden, von deren Ergebnissen sie sich weitere Erkenntnisse erhoffen. /