Streit um Drug Monitoring |
30.07.2014 11:01 Uhr |
Von Daniela Biermann / Schweres Geschütz gegen Boehringer Ingelheim: Der Pharmakonzern habe für seinen Gerinnungshemmer Dabigatran (Pradaxa®) Versäumnisse bei den Sicherheitsvorkehrungen zu verantworten. Das werfen Wissenschaftler und eine Investigativ-Journalistin dem Pharmaunternehmen im Fachmagazin »British Medical Journal« (BMJ) vor.
Konkret lautet der Vorwurf, Boehringer Ingelheim habe eine interne Analyse verschwiegen, die angeblich belegen soll, dass ein therapeutisches Drug Monitoring die Anwendung des Gerinnungshemmers sicherer machen könnte (doi: 10.1136/bmj.g4670). Das BMJ behauptet, dass damit das Blutungsrisiko gegenüber Warfarin um 30 bis 40 Prozent verringert werden könnte, da eine firmeninterne Auswertung gezeigt habe, dass die Plasmaspiegel von Dabigatran bei gleicher Dosis um den Faktor 5,5 variieren können.
Abbildung 2: Dokumentierte arzneimittelbezogene Probleme in den vorgegebenen 13 Kategorien
Die Autoren fordern den Hersteller sowie die Zulassungsbehörden der EU und der USA auf, sich gemeinsam auf ein therapeutisches Dosisfenster mit Maximaldosis zu einigen und Dosiskorrekturen anhand des Plasmaspiegels des Medikaments durchzuführen (doi: 10.1136/bmj.g4517). Die Behörden sollen entsprechende Bluttests für alle neu eingestellten Patienten empfehlen.
Die Firma sperre sich aus Marketinggründen gegen ein Monitoring, heißt es im BMJ. Die Einnahme fixer Dosen Dabigatran ohne ständige Messung der Gerinnungsfaktoren oder Plasmaspiegel wie unter Warfarin (Coumadin®) und Phenprocoumon (Marcumar® und Generika) gelte als Vorteil des direkten Thrombin-Hemmers.
Laut Boehringer keine Korrelation nachweisbar
Boehringer Ingelheim weist den Vorwurf, Daten unterschlagen zu haben, von sich. Zwar habe die Firma 2012 zusätzliche mathematische Analysen der Daten aus der großen Zulassungsstudie RELY durchgeführt, um eine Dosis-Wirkungs-Beziehung zwischen Plasmaspiegeln und dem Risiko für schwere Blutungen zu ermitteln. »Wir konnten aber keine klare Korrelation finden«, sagte eine Sprecherin gegenüber der Pharmazeutischen Zeitung. Daher habe man die Ergebnisse dieser Analyse auch nicht an die Behörden weitergeleitet, da sich aus Sicht des Herstellers an der Sicherheit und Wirksamkeit des Medikaments nichts geändert hatte.
An der RELY-Studie nahmen mehr als 18 000 Patienten teil, die in drei unverblindeten Studienarmen zweimal täglich 110 mg oder 150 mg Dabigatran oder Warfarin in angepasster Dosis bekamen. Schwere Blutungen traten sowohl bei Patienten mit niedrigen als auch mit hohen Dabigatran-Plasmaspiegeln auf. Entscheidender für die Dosierung seien das Alter, die Nierenfunktion und die Komedikation des Patienten, so die Konzernsprecherin. Zudem habe im Mai 2014 eine umfangreiche Analyse der US-amerikanischen Zulassungsbehörde FDA das positive Nutzen-Risiko-Profil von Pradaxa bestätigt. Dazu wertete die Behörde die Daten von 134 000 Patienten in der klinischen Anwendung aus. Die Blutwerte wurden nicht überwacht.
Test zur Thrombinmessung in EU verfügbar
Dabigatranetexilatmesylat ist seit 2008 in der EU zur Behandlung und Prävention tiefer Venenthrombosen und Lungenembolien zugelassen. 2011 erfolgte die Indikationserweiterung zur Prävention von Schlaganfällen und systemischen Embolien bei erwachsenen Patienten mit bestimmten Formen des Vorhofflimmerns und weiteren Risikofaktoren.
Die Europäische Arzneimittelagentur EMA hat laut BMJ im Gegensatz zur FDA bereits das von Boehringer Ingelheim ermittelte therapeutische Fenster von 48 bis 200 ng/ml in die Produktinformationen aufgenommen. Bei höheren Konzentrationen steigt das Risiko für Blutungen unverhältnismäßig zur Schutzwirkung an. Ein Test zur Messung der Thrombin-Konzentration (Hemoclot®) ist in der EU prinzipiell verfügbar. Zudem ist in der EU im Gegensatz zu den USA die klinisch geprüfte 110-mg-Variante für ältere und besonders gefährdete Patienten erhältlich. Sie soll bei gleicher Schutzwirkung gegen Schlaganfälle weniger schwere Blutungen hervorrufen. Die FDA verweigerte die Zulassung der niedrigeren Dosierung und forderte stattdessen eine Formulierung mit 75 mg, die allerdings nicht klinisch getestet wurde. /