Landgericht nimmt sich Zeit |
31.07.2006 13:35 Uhr |
<typohead type="3">Landgericht nimmt sich Zeit
von Daniel Rücker
Es ist eher selten, dass ein Landgericht prüfen muss, ob der zuständige Justizminister offenkundig gegen geltendes Recht verstoßen hat. Peinlich wird es für den Minister, wenn das Gericht auch nach Prüfung der Aktenlage und einer Verhandlung, diesen Vorwurf nicht ausschließt.
Erst am 9. August wird das Landgericht in Saarbrücken seine Entscheidung verkünden, ob es sich bei der Erteilung der Betriebserlaubnis für DocMorris in der Kaiserstraße um einen offenkundigen Fehler handelt. Wie die vorsitzende Richterin Ursula Kratz bei der Hauptverhandlung am Landgericht ausführte, habe die Kammer bereits auf Basis der von beiden Parteien eingereichten Akten über die beantragte einstweilige Verfügung diskutiert, sie seien aber bis dahin zu keinem endgültigen Ergebnis gekommen.
Eigentlich müsste dies schon eine schallende Ohrfeige für den zurzeit im Urlaub weilenden saarländischen Justizminister Josef Hecken sein. Die Betriebserlaubnis für die niederländischen Versender wurde auf sein persönliches Betreiben hin erlassen. Den offenkundigen Verstoß gegen das deutsche Fremdbesitzverbot begründete er mit einem Gutachten von Professor Dr. Rudolph Streinz aus München. Der Jurist hatte in einem Gutachten behauptet, das deutsche Fremdbesitzverbot verstoße gegen das Gemeinschaftsrecht. Heckens Vorgehen hat an vielen Stellen Befremden ausgelöst. So lassen die saarländischen ehrenamtlichen Pharmazieräte bis auf weiteres ihre Arbeit ruhen. Allein die Tatsache, dass überhaupt eine Hauptverhandlung angesetzt wurde und auch nach dieser noch keine Entscheidung gefällt wurde, kann als kleiner Erfolg für die Apotheker gewertet werden. Immerhin braucht das Gericht einige Zeit, um sich davon ein Bild zu machen, ob der eigene Justizminister offenkundig Recht gebrochen hat. Wenn dem so ist, wäre die Betriebserlaubnis damit nichtig.
Rechtsanwalt Dr. Heinz-Uwe Dettling, der die klagende Apothekerin Helga Neumann aus Saarbrücken vertritt, sieht in Heckens Verhalten gleich zwei offensichtliche Verstöße, zum einen gegen das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb und gegen das Verwaltungsverfahrensgesetz. Ein europarechtliches Gutachten reiche nicht aus, um sich über deutsches Recht hinwegzusetzen. Hecken hätte dies nur gedurft, wenn das deutsche Recht eindeutig gegen Europarecht verstoße.
Davon könne jedoch keine Rede sein. Der Europäische Gerichtshof habe häufig überraschende Entscheidungen getroffen. Es sei unmöglich, vorherzusagen, was das Luxemburger Gericht zum deutschen Fremdbesitzverbot entscheiden würde. So hätte auch niemand prognostiziert, der EuGH werde in seinem Urteil zum Versandhandel zwischen Selbstmedikation und verschreibungspflichtigen Arzneimitteln unterscheiden.
Kein Widerspruch zu EU-Recht
Wäre die im Gutachten vertretene europarechtliche Position unumstritten, so hätten die Bundesländer, in denen sich DocMorris ursprünglich niederlassen wollte, dies auch nicht ablehnen können. Dass die dort zuständigen Behörden dies verweigerten, zeigt, dass sie keinen Widerspruch zwischen Gemeinschaftsrecht und deutschem Fremdbesitzverbot sehen.
Der Anwalt ließ keinen Zweifel daran, dass er ein Fremdbesitzverbot aus Gründen der Arzneimittelsicherheit für zwingend notwendig hält. Ein freier Heilberufler als Leiter könne seine Entscheidungen ohne äußeren Druck treffen. Zudem werde unangemessenes Gewinnstreben dadurch verhindert, dass er für alle Fehler mit seinem Privatvermögen hafte und je nach Schwere des Fehlverhaltens auch die Approbation verlieren könne.
Dettling versuchte auch die weiteren Argumente von DocMorris-Anwalt Thomas Diekmann zu entkräften. Dieser hatte angeführt, die EU habe das Fremdbesitzverbot bei griechischen Optikern für nicht EU-konform erklärt. Dettling kann darin keine Parallele erkennen. Brillen bergen weniger Risiken als Opiate, Zytostatika oder Psychopharmaka. Optiker seien keine Heilberufler, sondern Handwerker.
Auch aus dem Vertragsverletzungsverfahren gegen Italien, Österreich und Spanien kann Dettling ebenfalls keinen Beweis ableiten, dass in Deutschland der Fremdbesitz erlaubt werden müsse. Zum einen sei Deutschland nicht verklagt worden und zum anderen gelte auch hier, dass der Ausgang nicht absehbar ist. Gemeinschaftsrecht könne deutsches Recht aber nur außer Kraft setzen, wenn die Rechtslage eindeutig sei. Eine bloße Vermutung reiche nicht aus. Zudem sei es nicht die Sache des Justizministers zu entscheiden, ob das deutsche Apothekenrecht EU-konform sei. Dafür gebe es den EuGH.
Dettling hält eine einstweilige Verfügung gegen die Betriebserlaubnis für zwingend. Heckens Vorgehen erschüttere das Vertrauen der Apotheker und der Bürger in das Rechtsstaatsprinzip. Besonders gravierend sei für das öffentliche Rechtsverständnis, dass hier der Justizminister eines Bundeslandes deutsche Gesetze ignoriere. Zudem gefährde die widerrechtlich erteilte Betriebserlaubnis langfristig das Recht auf eine angemessene und flächendeckende Arzneimittelversorgung.
Auch nach der rund einstündigen Verhandlung konnte das Gericht noch keine Entscheidung treffen. Eine einstweilige Verfügung gegen die Betriebserlaubnis kann es nur erlassen, wenn Heckens Rechtsverstoß offensichtlich und schwerwiegend ist. Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Betriebserlaubnis reichen allein nicht aus.
Rechtsanwalt Dettling war mit dem Verlauf der Hauptverhandlung zufrieden. Es sei gut, dass sich das Gericht in einem wettbewerbsrechtlich schwierigen Fall Zeit nehme. Das anstehende Urteil sei »eine Bewährungsprobe für die Justiz«. Damit spielte der Anwalt auf die nicht unproblematische Situation an, dass das Landgericht über den Justizminister befinden muss. Eine Prognose zum Ausgang des Verfahrens wollte Dettling jedoch nicht abgeben.
Unterdessen gefällt sich Hecken in seiner Rolle als Apothekerschreck immer besser und hofft, auf diesem Weg über die engen Landesgrenzen hinaus bekannt zu werden. Das von ihm gehütete und zum Staatsgeheimnis erklärte Gutachten hütet er zurzeit noch wie seinen Augapfel, aber offensichtlich nur, um es nach seiner Rückkehr mit großem Getöse der Öffentlichkeit vorzustellen.
Erst Staatsgeheimnis, dann in die Medien
Am 9. August, also exakt am Tag der Urteilsverkündung in Saarbrücken, tritt Hecken um 11 Uhr in der saarländischen Landesvertretung in Berlin auf. Für seinen Besuch in der Hauptstadt hat er sich zwei Sekundanten zur Seite gestellt: Professor Dr. Rudolph Streinz und DocMorris-Chef Ralf Däinghaus. Offensichtlich hat Hecken mit DocMorris einen Pakt geschlossen, der dem einen zu mehr Umsatz und dem anderen zu mehr Popularität und politischem Gewicht verhelfen soll.
Dass Hecken die Pressekonferenz nur 90 Minuten nach dem Urteilsspruch ansetzt, gibt natürlich Anlass zu Spekulationen. Offensichtlich ist sich der Minister sicher, dass das Gericht in seinem Sinn entscheidet. Das dürfte er heute aber noch nicht wissen können. Dann pokert er aber hoch, denn am 9. August könnte auch ein Minister vor die Berliner Presse treten, dem das Landgericht in seinem eigenen Bundesland erst vor wenigen Minuten einen manifesten Rechtsbruch attestiert hat.