Therapie mit Geweben sicher machen |
| 26.07.2011 17:12 Uhr |
Von Conny Becker / Während die Organspende in aller Munde ist, fristet die Spende von Geweben in den Medien ein Schattendasein. Inzwischen gibt es in Deutschland allerdings mehr Gewebe- als Organ-Transplantationen. Geregelt wird die Gewebemedizin über das sogenannte Gewebegesetz.
Das Gewebegesetz, genauer »Gesetz über Qualität und Sicherheit von menschlichen Geweben und Zellen«, feiert am 1. August dieses Jahres seinen vierten Geburtstag. Es setzt seit 2007 eine EU-Richtlinie um, die EU-weit Qualitäts- und Sicherheitsstandards für die Spende, Beschaffung, Testung, Verarbeitung, Konservierung, Lagerung und Verteilung von menschlichen Geweben und Zellen festlegt. Es soll unter anderem verhindern, dass bei der medizinischen Nutzung von Haut, Knochen, Augenhornhäuten oder Herzklappen auch Krankheiten übertragen werden.
So weit, so klar – doch naturgemäß sind Gesetze komplizierter, als ihre Kurznamen es vermuten lassen. Und dies trifft insbesondere für das Gewebegesetz zu. Denn es besteht in seiner Textform nicht als geschlossenes Ganzes, sondern bildet eine Ansammlung von Änderungen anderer Rechtsvorschriften, vor allem des Transplantations-, Transfusions- sowie des Arzneimittelgesetzes (AMG), aber auch der Arzneimittel- und Wirkstoffherstellungsverordnung, der Apothekenbetriebsordnung sowie der Betriebsverordnung für Arzneimittelgroßhandelsbetriebe.
Das AMG regelt dabei rechtliche Fragen zur Gewebeentnahme und -aufbereitung sowie das Inverkehrbringen. Zudem findet man hier Vorschriften für die Meldung von schwerwiegenden Zwischenfällen im Umgang mit Gewebepräparaten. Paragraf 4 Absatz 30 AMG hält fest, dass Gewebezubereitungen Arzneimittel sind, die selbst Gewebe sind oder aus solchen hergestellt wurden. Vor allem die Unterstellung des Gewebegesetzes unter das AMG hatten Ärzte, Kassen- und Krankenhausvertreter kritisiert und letztlich mehr als 50 Änderungen des ursprünglichen Entwurfs erreicht. So wird nun explizit im selben Absatz des AMG betont, dass menschliche Samen- und Eizellen sowie Embryonen weder Arzneimittel noch Gewebezubereitungen sind.
Im Gegensatz zu Organen werden Gewebe nicht unmittelbar nach der Entnahme verpflanzt, sondern zunächst in sogenannten Gewebebanken aufbereitet und konserviert (Prozessierung) sowie dort zum Teil Monate gelagert, was definierte Qualitätssicherungsmaßnahmen nötig macht. Entnommen werden dürfen Gewebe nur in Gewebeeinrichtungen, die eine Erlaubnis nach § 20b AMG von der zuständigen Landesbehörde haben, oder von entsprechenden mobilen Entnahmeteams. In 2008 betrug die Zahl der dem Paul-Ehrlich-Institut als zuständige Bundesoberbehörde bekannten meldepflichtigen Gewebeeinrichtungen 644, von denen mehr als 100 eigene Gewebebanken besitzen. Die Zahl der meist auf ein Gewebe spezialisierten Gewebebanken mit einer Genehmigung zum Inverkehrbringen (§ 21a AMG) liegt derzeit bei 23.
Handelsverbot festgeschrieben
Spendegewebe unterscheidet sich von Organen auch dadurch, dass es nicht immer eins zu eins transplantiert wird. Es kann be- und verarbeitet werden und somit auch für Forschung und Entwicklung, etwa für Tissue-Engineering, also Gewebezucht, oder Testreihen mit neuen Arzneistoffen dienen. Im Gesetz wurde ein grundsätzliches Handelsverbot für »nicht industriell hergestellte und hinreichend bekannte Gewebezubereitungen« wie Herzklappen oder Augenhornhäute festgeschrieben. Doch erscheinen diese Definitionen und somit die Grenze zu kommerziellen Produkten einigen unscharf.
So spricht die Bundesärztekammer in mehreren Stellungnahmen von einer »unter bestimmten Umständen kommerzialisierbaren Gewebemedizin«. Diese Möglichkeit einer Kommerzialisierung war auch Grund dafür, dass die Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) nach Einführung des Gewebegesetzes die Koordinierung von Gewebespenden an die Deutsche Gesellschaft für Gewebetransplantation (DGFG) abgegeben hat, deren Gesellschafter die Medizinische Hochschule Hannover und die Unikliniken Dresden und Leipzig sind. Doch auch das DGFG-Netzwerk mit rund 50 kooperierenden Krankenhäusern nimmt klar gegen eine Kommerzialisierung Stellung.
Während das Transplantationsgesetz vor 2007 kaum zwischen Organen und Geweben unterschied, so trennt das Gewebegesetz die Bereiche Organtransplantation und Gewebemedizin deutlich voneinander. Dabei haben die Entnahme und Übertragung eines Organs stets Vorrang vor der Entnahme von Geweben. Diese ist laut Gewebegesetz bei einem Organspender erst dann möglich, »wenn eine von der Koordinierungsstelle beauftragte Person dokumentiert hat, dass die Entnahme oder Übertragung von vermittlungspflichtigen Organen nicht möglich ist oder durch die Gewebeentnahme nicht beeinträchtigt wird«.
In der Praxis heißt dies jedoch, dass bei einem Doppelspender auch zweimal so viele Vorschriften zu beachten sind. Zudem ist für die Entnahme von Geweben eine Erlaubnis notwendig, für die von Organen nicht, was ebenfalls zu Problemen führen kann. »Wenn ein Chirurg ein Herz oder eine Leber entnimmt und sich ihm die Vermutung aufdrängt, das Organ eigne sich möglicherweise nur für die Verwendung als Gewebe, müsste er streng genommen das Skalpell fallen lassen. Er ist nämlich nicht mehr zuständig. Jetzt müssten sofort Kollegen von einer nach dem novellierten Arzneimittelgesetz zugelassenen Gewebeeinrichtung zur Stelle sein«, beschrieb Professor Dr. Günter Kirste von der DSO die missliche Situation Ende 2009 in der »Ärztezeitung«. Er befürchtete, dass einige Kliniken daher keine potenziellen Organspender mehr melden würden.
Und tatsächlich war die Zahl der Organspender laut DSO 2007 im Vergleich zum Vorjahr um 10 Prozent gesunken, was die Stiftung auf die unklare Rechtslage zurückführte. Zudem hätten noch Anfang 2009 nur wenig der 1400 DSO-Spenderkrankenhäuser eine Erlaubnis zur Gewinnung von Gewebe innegehabt.
Steigende Spendebereitschaft
Inzwischen scheint sich die Lage der Organ- und Gewebespende jedoch verbessert zu haben. Wie die DGFG mitteilt, stieg die Zahl der Gewebespender 2009 um 37 Prozent und 2010 um 28 Prozent. Vergangenes Jahr wurden im DGFG-Netzwerk 2992 Augenhornhäute, 264 Herzklappen und Blutgefäße sowie 1326 Knochen, Sehnen und Bindegewebe gespendet. Mit der steigenden Spendebereitschaft habe sich auch die Wartezeit verbessert: Etwa ein Drittel aller Patienten auf der DGFG-Warteliste erhalte innerhalb eines Monats ein Hornhaut-Transplantat, die Hälfte innerhalb von 90 Tagen. /