Regierung plant Rolle rückwärts |
21.07.2006 13:54 Uhr |
<typohead type="3">Regierung plant Rolle rückwärts
von Hartmut Morck und Daniel Rücker, Berlin
Die Eckpunkte zur Gesundheitsreform, das Gutachten der Monopolkommission und die illegale Betriebserlaubnis für eine DocMorris-Filiale in Saarbrücken haben die Apotheker beunruhigt. Für die ABDA und ihren Präsidenten Heinz-Günter Wolf bedeutet dies für die nächsten Wochen viel Arbeit.
PZ: Was haben Sie in den nächsten Wochen vor? Fahren Sie in Urlaub?
Wolf: Ganz sicher nicht. Für die ABDA-Spitze fällt der Urlaub aus und auch zum Kongress der FIP Anfang September werden wir keine Delegation nach Sao Paulo entsenden. Wir werden uns in den nächsten Wochen dafür einsetzen, dass die Eckpunkte nicht in das Reformgesetz übernommen werden. Wenn es unseren Kollegen an den Geldbeutel geht und zudem die Struktur der Arzneimittelversorgung zur Disposition gestellt wird, ist es die Pflicht der gewählten Vertreter der Apothekerschaft, sich mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln dagegen zu wehren.
PZ: Was sind aus Ihrer Sicht die übelsten Passagen der Eckpunkte?
Wolf: Das Schlimmste ist, dass die Politik offensichtlich eine Rolle rückwärts plant. Die letzten Reformen, ich denke da vor allem an die Änderung der Arzneimittelpreisverordnung und das Rabattverbot, haben den Apotheker als Heilberufler und Patientenberater gestärkt, kaufmännische Aspekte wurden bewusst zurückgedrängt. Mit den Eckpunkten will die Bundesregierung die Apotheker wieder zu Arzneikaufleuten machen. Wir sollen bei der Industrie Rabatte für die Krankenkassen aushandeln, sollen den Kassen selbst niedrigere Preise machen. Der Heilberufler ist plötzlich nicht mehr gefragt.
Das Ganze ist auch aus einem zweiten Grund grotesk. Wir sollen mit der Industrie Preise aushandeln, obwohl die Apotheker bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln überhaupt keine Nachfragemacht haben. Das kann nicht funktionieren.
PZ: Deshalb hat die Regierung ja auch schon festgelegt, dass die Apotheker 500 Millionen Euro selbst bezahlen müssen, wenn es ihnen nicht gelingt, diesen Betrag als Industrierabatt auszuhandeln.
Wolf: Dies ist allerdings eine Katastrophe. 500 Millionen Euro sind rund ein Achtel der Apothekervergütung innerhalb der GKV. Heute kostet der Vertriebsweg Apotheke die Krankenkassen 3,9 Milliarden Euro. Wenn man davon 500 Millionen Euro abzieht, kommen viele Kollegen in große Schwierigkeiten. Wir müssen deshalb unbedingt verhindern, dass die 500 Millionen Euro ins Gesetz kommen.
PZ: Falls Ihnen dies nicht gelingt - halten Sie es für möglich, dass die Apotheker tatsächlich nennenswerte Rabatte mit der Industrie aushandeln?
Wolf: Unter den aktuellen Bedingungen, mit einer sehr schwachen Aut-idem-Regelung auf keinen Fall. Warum sollte die Industrie uns Rabatte gewähren, wenn wir keinen Einfluss auf die Abgabe ihrer Medikamente haben. Mit einer weiten Aut-idem-Regelung sähe die Sache schon anders aus. Dann wären wir ein ernst zu nehmender Verhandlungspartner für die Industrie und könnten die Nachfrage steuern. Allerdings halte ich es für unsinnig, wenn einzelne Apotheken mit der Industrie verhandeln. Das können aus meiner Sicht nur die Landesapothekerverbände oder der DAV. Das geht nur über Kollektivverträge.
PZ: Die Krankenkassen können schon seit dem GKV-Modernisierungsgesetz Rabatte mit der Industrie aushandeln. Sie haben sich dabei allerdings nicht sehr geschickt angestellt. Werden die Apotheker nun für die Unfähigkeit der Kassen bestraft?
Wolf: In der Tat. Ich glaube nicht, dass diese Regelung in die Eckpunkte gekommen wäre, wenn die Kassen auf diesem Feld erfolgreicher agiert hätten.
PZ: Wie wollen Sie die Politik davon überzeugen, dass es intelligentere Möglichkeiten gibt, Geld zu sparen?
Wolf: Es wäre zum Beispiel möglich, wie in England die Arzneimittelpreise auszuschreiben. Dafür wären die Krankenkassen zuständig. Einige Politiker denken darüber auch nach. Hersteller und Krankenkassen sollten in Zukunft nicht nur über Rabatte reden dürfen, sondern auch über modifizierte Herstellerabgabepreise. Dabei können wir Apotheker sehr gut helfen, wenn wir eine erweiterte Aut-idem-Regelung haben.
Wenn es bei den 500 Millionen bleibt, dann müssen in jedem Fall die Kassen verpflichtet werden, ihrerseits Verträge mit den Apothekern zu machen. Es kann nicht sein, dass die Kassen sich zurücklehnen dürfen und sagen: »Nun macht mal schön, wir haben unsere 500 Millionen Euro sicher«.
PZ: Letztlich liefe es dann auf Lösungen hinaus, die sehr an die Rabattverträge im Barmer-Vertrag erinnern.
Wolf: Ja, wir hatten jetzt zwei Jahre Zeit, solche intelligenten Verträge zwischen Barmer und Industrie, flankiert über Verträge zwischen Barmer und Apothekern, zu üben. Wir können das jetzt und es ist der richtige Weg, wie wir die Arzneimittelkosten in den Griff bekommen.
PZ: Sie gehen aber auch davon aus, dass die Einsparungen ausschließlich bei patentfreien Arzneimitteln eingespielt werden können.
Wolf: Zumindest, was uns Apotheker betrifft. Einsparungen bei innovativen Medikamenten könnten eher Krankenkassen oder Ärzte realisieren.
PZ: Neben Rabattverhandlungen mit der Industrie sehen die Eckpunkte auch die Umstellung der Arzneimittelpreisverordnung auf Höchstpreise vor. Allerdings sind die Formulierungen so schwammig, dass nicht ganz klar ist, was die Regierung meint. Haben Sie in Gesprächen mit Politikern Details erfahren?
Wolf: Nein. Das ist weiterhin völlig unklar. Wir sind der Auffassung, dass es nur darum gehen kann, kollektive Einkaufsvorteile bei der Industrie an die Krankenkassen weiterzugeben. Nur der Herstellerabgabepreis wird frei kalkuliert, deshalb ist auch nur er verhandelbar. Die Apothekenspanne ist festgelegt, sie darf nicht in Verhandlungen einbezogen werden.
PZ: Welche Probleme gäbe es, wenn in der Integrierten Versorgung die Arzneimittelpreise frei ausgehandelt würden?
Wolf: Ein Grund spricht massiv dagegen: Zum einen wären die Kassen bestrebt, alles zur Integrierten Versorgung zu machen, weil dann die Arzneimittel angeblich preiswerter werden. Hier wäre dem Missbrauch Tür und Tor geöffnet. Die Regelversorgung würde dann nicht mehr stattfinden.
PZ: In den Eckpunkten spricht die Regierung auch von der Versorgung mit Nicht-Fertigarzneimitteln und von der Abgabe besonders kleiner Arzneimittelmengen. Wie steht die ABDA dazu?
Wolf: Ich weiß nicht, wo hier der Nutzen liegt. Seit der Novellierung der Packungsverordnung, bietet die Industrie bereits Kleinstmengen, etwa drei Tabletten eines Antibiotikums, an. Damit sind die Probleme gelöst. Ich glaube auch nicht einmal, dass die Bundesregierung mit dieser Passage der Firma Assist einen Gefallen tun wollte. Die meisten Fachpolitiker halten nicht viel vom industriellen Verblistern. Das bedeutet aber nicht, dass wir uns grundsätzlich gegen die Abgabe kleinerer Packungen stellen. Wenn die Politik das will, muss sie uns sagen, wie dies gehen soll. Dann sind wir gerne bereit, ein gemeinsames Konzept zu entwickeln. Eine »Packungsbeilage light« wie sie für ausgeeinzelte Medikamente diskutiert wird, lehnen wir allerdings strikt ab.
PZ: In den letzten Jahren hat sich gezeigt, dass nicht nur von Gesetzesinitiativen Gefahr für die Arzneimittelversorgung ausgehen kann, sondern auch von Marktentwicklungen. Ein aktuelles Beispiel dafür ist die widerrechtliche Genehmigung einer DocMorris-Filiale in Saarbrücken. Denkt man dann noch an das Vertragsverletzungsverfahren gegen Italien, Österreich und Spanien wegen des Fremdbesitzverbotes und dem merkwürdigen Gutachten der Monopolkommission, dann könnte man fast eine konzertierte Aktion pro Fremdbesitz vermuten.
Wolf: Ich halte nicht viel von Verschwörungstheorien. Hinzu kommt, dass mir Politiker beider Regierungsparteien mehrfach versichert haben, dass der Fremd- und Mehrbesitz für die Regierung kein Thema ist. Dort weiß man, dass Apothekenketten selten preiswerter sind als inhabergeführte Apotheken. Außerdem besteht die Sorge, ein Oligopol wie im Gas- und Strommarkt aufzubauen. Und vielen Politikern ist auch klar, dass Apothekenketten die flächendeckende Versorgung gefährden könnten. Das Vorgehen des saarländischen Gesundheitsministers Hecken ist ganz offensichtlich ein Alleingang.
PZ: Dennoch kann der Vorgang im Saarland der ABDA doch nicht egal sein.
Wolf: Natürlich nicht, das ist ungeheuerlich. Wir haben alle Gesundheitsminister der Länder angeschrieben und ihnen die Fakten und unsere Argumente dargelegt.
PZ: Ist auch ein juristisches Vorgehen geplant oder will die ABDA erst einmal den Ausgang des Verfahrens einiger Apotheker gegen Hecken abwarten, das von der Kanzlei Oppenheimer betreut wird?
Wolf: Wir werden selbst juristisch aktiv. Aktuell bereiten wir unsere Klage dezidiert vor. Wir werden in jedem Fall direkt klagen, auch wenn dies schwierig ist. Die Angelegenheit ist sehr kompliziert konstruiert. Aber wir können uns dieses ministeriale Vorgehen definitiv nicht bieten lassen.
PZ: Ist ein Verfahren nicht auch gefährlich? Für wie wahrscheinlich halten Sie, dass Fremdbesitz auf diesem Weg Gegenstand der öffentlichen Diskussion wird?
Wolf: Natürlich wollen Hecken und DocMorris, dass wir sie verklagen. Denen wäre am liebsten, der Europäische Gerichtshof würde eingeschaltet. Auf der anderen Seite können wir aber doch nicht zusehen, wie widerrechtlich Fakten geschaffen werden. Das wäre noch gefährlicher.
PZ: Zum Schluss noch eine Prognose. Wie könnte nach Ihrer Einschätzung die Gesundheitsreform aussehen?
Wolf: Das wäre reine Kaffeesatzleserei. Heute können wir noch überhaupt nicht absehen, was am Ende im Gesetz steht. Wir werden alles dafür tun, dass die Arzneimittelversorgung in heilberuflichen Händen bleibt. Eine Prognose würde ich heute aber nur zum Termin abgeben, wann der Gesetzentwurf präsentiert wird. Hier wird die Regierung ihren Zeitplan einhalten und den Entwurf pünktlich zum Apothekertag Mitte September präsentieren.