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DocMorris-Urteil

Eine formale Betrachtungsweise

17.07.2007  17:23 Uhr

DocMorris-Urteil

<typohead type="3">Eine formale Betrachtungsweise

Von Michael Jung, Berlin

 

Die Entscheidung des Oberlandesgerichts (OLG) Frankfurt am Main lässt mehr Fragen offen, als sie beantwortet. Statt sich wie das Berliner Kammergericht in seiner (vom OLG zitierten)  Entscheidung vom 9. November 2004 im Einzelnen mit den Anforderungen des niederländischen Arzneimittelrechts an den Versandhandel auseinanderzusetzen und dessen (von § 73 AMG gesetzlich geforderte) Vergleichbarkeit mit den deutschen Sicherheitsstandards zu überprüfen, zieht sich das OLG auf eine rein formale Betrachtungsweise zurück.

 

Während das Kammergericht noch anhand seiner materiellen Prüfung zu dem Ergebnis kam, dass in den Niederlanden keine speziellen Vorschriften für den Versand und keine vergleichbaren Standards wie im deutschen Recht bestehen, sah dies das Bundesministerium für Gesundheit und soziale Sicherung (BMGS) ein gutes halbes Jahr später in seiner Bekanntmachung anders.

 

Detaillierte Gründe dafür hat das BMGS weder öffentlich noch (auf Anfrage des Gerichts) im jetzigen Verfahren vor dem OLG angegeben - in der Bekanntmachung ist nur kryptisch von einer »europaweiten Erhebung« die Rede. Bei wem diese durchgeführt wurde und zu welchen konkreten Ergebnissen sie im Einzelnen geführt hat, wird nicht gesagt - nur das Ergebnis wird mitgeteilt, nämlich dass der Versand aus Großbritannien und den Niederlanden zulässig sein soll.

 

Festzustellen ist jedenfalls, dass sich die materielle Rechtslage in den Niederlanden in der Zeit zwischen dem Kammergerichtsurteil und der Bekanntmachung des BMGS nicht geändert hat. Zweifel an der pauschalen BMGS-Liste müssen also angesichts des gut begründeten Kammergerichtsurteils erlaubt sein.

 

Dem OLG hat diese Liste aber ausgereicht, um die geltend gemachten Unterlassungsansprüche des Deutschen Apothekerverbands (DAV) zurückzuweisen. Es hält die spätere Überprüfung der Liste im Wettbewerbsprozess für nicht erforderlich, da es dem Ministerium unterstellt, es werde sich schon ausreichend mit den Entscheidungsgründen des Kammergerichts auseinandergesetzt haben. Und wenn DocMorris sich dann als Marktteilnehmer auf diese Liste verlasse, könne man ihm das nicht zum Vorwurf unlauteren Verhaltens machen. Schließlich könne auch die »sachgerechte Anwendung allgemeiner Vorschriften« des niederländischen Apothekenrechts zum gewünschten Ergebnis führen. Erkennbare Mühe haben die OLG-Richter im Folgenden, DocMorris den Status einer »Präsenzapotheke« zuzugestehen. Dies rührt schon daher, dass es diesen Begriff im deutschen Apothekenrecht eigentlich gar nicht gibt, sondern dass er erst durch die erwähnte Bekanntmachung des BMGS kreiert wurde. Viel unbestimmter kann ein Rechtsbegriff wohl nicht mehr sein. Das hat aber eine niederländische Aufsichtsbehörde nicht davon abgehalten, in einer schriftlichen Bescheinigung die Kenntnis der Tatbestandsvoraussetzungen zu beanspruchen und DocMorris diesen Status zuzusprechen. Die Beweisaufnahme vor dem Landgericht weckt Zweifel: Da wird beileibe kein Vollsortiment vorgehalten, sondern lediglich eine äußerst dürftige Auswahl an Arzneimitteln. Die Gestaltung der Betriebsräume ist derart minimal, dass sie geradezu darauf angelegt ist, potentielle Kunden fernzuhalten (selbst DocMorris gesteht ein, durch höchstens zwei Kunden pro Tag »belästigt« zu werden).

 

Aber auch dies reicht dem OLG aus. Seiner Meinung nach erfüllt offenbar alles, was über eine »reine Briefkastenapotheke« (Zitat) hinausgeht, die Anforderungen des deutschen Rechts (beziehungsweise des BMGS) an ausländische Versender. Viel deutlicher als mit diesem Urteil kann man kaum herausstellen, wie es um die Arzneimittelsicherheit beim Versand aus dem Ausland bestellt ist. Spricht das Gesetz noch von »vergleichbaren Sicherheitsstandards« wie im deutschen Recht, stehen diese Standards beim Ministerium und den Gerichten nur noch auf dem Papier. Die Realität sieht anders aus.

 

Aber eine Hoffnung bleibt noch: Das OLG hat dem DAV die Möglichkeit eröffnet, Revision zum Bundesgerichtshof (BGH) einzulegen. Der DAV wird in Kürze eine Entscheidung über die Einlegung dieses Rechtsmittels zu treffen haben.

 

Dem Vernehmen nach steht auch die Revision von DocMorris gegen das Kammergerichtsurteil aus 2004 in diesem Herbst zur mündlichen Verhandlung vor dem BGH an. Die höchsten deutschen Zivilrichter werden also wohl entsprechend Gelegenheit finden, sich zu den aufgeworfenen Fragen letztinstanzlich zu äußern. Es ist zu wünschen, dass sie sich dabei weniger an formalen Aspekten orientieren als vielmehr an den erforderlichen Gründen der Arzneimittelsicherheit und des Verbraucherschutzes. Dann werden sie sich voraussichtlich auch mit einer Frage befassen, die das OLG in seinem vorletzten Absatz streift: ob nämlich die Anforderung der §§ 43 AMG, 11a ApoG europarechtskonform ist, wonach der Versand zwingend aus einer öffentlichen Apotheke erfolgen muss. Es ist nicht auszuschließen, dass sich im Zuge dieser Überlegungen der Europäische Gerichtshof auf Ersuchen des BGH erneut mit dem deutschen Apothekenrecht befassen könnte.

 

Bleibt er dabei aber bei seinen den Verbraucherschutz betonenden Grundsätzen aus dem Urteil vom 11. Dezember 2003, kann man einem neuen Urteil wohl mit Zuversicht entgegensehen.

Das Urteil lesen Sie hier.

 

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