Was simpel klingt, wird hoch dosiert |
11.07.2017 13:20 Uhr |
Von Annette Mende / Der Name eines Arzneimittels sollte mit Bedacht gewählt werden. Denn was einen eingängigen Namen trägt, wird von Anwendern höher dosiert als kompliziert klingende Präparate. Das hat eine aktuelle Studie gezeigt.
Ob Sartan, Statin oder Triptan: Die Namen beziehungsweise Endungen pharmakologischer Wirkstoffe verraten dem Eingeweihten oft schon, welcher Klasse die entsprechende Substanz angehört. Anders sieht es bei den Handelsnamen aus. Getreu dem Motto »Erlaubt ist, was gefällt« scheint die Fantasie der Hersteller hier manchmal keine Grenzen zu kennen.
Empfundene Leichtigkeit
Doch zu einfach sollte die Bezeichnung nicht gewählt werden. Denn der Name eines Arzneimittels beeinflusst systematisch die Dosiswahl von Anwendern, wie Dr. Simone Dohle von der Universität Köln und Amanda Montoya von der Ohio State University jetzt im »Journal of Experimental Psychology: Applied« berichten. Verantwortlich dafür ist ein psychologischer Effekt namens Verarbeitungsflüssigkeit. Er bezeichnet die empfundene Leichtigkeit, mit der eine Information verarbeitet werden kann. Generell hat eine hohe Verarbeitungsflüssigkeit meist positive Folgen. So werden flüssig zu verarbeitende Stimuli als liebenswerter, eher der Wahrheit entsprechend, intelligenter, schöner und wohlschmeckender empfunden.
In zwei Experimenten beleuchteten die beiden Psychologinnen nun erstmals die Kehrseite der Verarbeitungsflüssigkeit (DOI: 10.1037/xap0000131). Sie ließen zunächst 70 Freiwillige selbst die Dosierungen von sechs fiktiven Medikamenten bestimmen. Drei davon trugen einfache Fantasienamen – Fastinorbine, Tonalibamium und Calotropisin –, die drei anderen komplizierte: Cytrigmcmium, Nxungzictrop und Ribozoxtlitp. Die Teilnehmer sollten sich vorstellen, sie hätten eine Magenverstimmung, die sie mit diesen Präparaten behandeln könnten. Die empfohlene Tagesdosis der flüssigen Arzneimittel betrage jeweils 10 bis 20 Milliliter. Nacheinander wurden ihnen Flaschen mit den verschiedenen Präparatenamen präsentiert, aus denen sie in einem Messbecher die selbst gewählte Wochendosis abmessen sollten. Anschließend sollten sie in einem Fragebogen angeben, ob sie fanden, dass der jeweilige Arzneimittelname einfach auszusprechen war und ob sie das Mittel beziehungsweise eine Überdosierung für gefährlich hielten.
Kompliziert klingende Präparate wurden von den Teilnehmern generell als gefährlicher eingestuft als Mittel mit weniger sperrigen Namen. Das führte dazu, dass die Testpersonen sich von Letzteren durchschnittlich 4,72 Milliliter pro Woche mehr genehmigten. Dasselbe Ergebnis brachte ein Online-Experiment mit 332 Teilnehmern, die die fiktiven Medikamente jedoch nicht in flüssiger Form dosieren sollten, sondern als Tabletten – und ohne Angabe zur empfohlenen maximalen Tagesdosis. Außerdem erhielt die Hälfte der Teilnehmer dieses Mal die Information, dass nicht sie selbst erkrankt seien, sondern ein achtjähriges Kind, für das sie die Dosis wählen sollten. Wie in Experiment 1 resultierte hier ein schwieriger Präparatename in einer geringfügig niedrigeren Dosiswahl. Dieses Mal betrug der Unterschied 0,16 Ta-bletten pro Woche. Bei der vorgestellten Behandlung eines Kindes ließen die Teilnehmer zwar generell etwas mehr Vorsicht walten, doch auch hier war derselbe Trend erkennbar.
Für Risiken sensibilisieren
Aus Sicht der Autorinnen sollten diese Erkenntnisse praktische Konsequenzen haben: Diejenigen, die sich die Namen neuer Präparate ausdenken, sollten sich bewusst sein, dass diese sowohl die unwillkürliche Bewertung des Mittels als auch dessen Dosierung beeinflussen. Ein Arzneistoff mit starken Nebenwirkungen und großem Missbrauchspotenzial sollte daher nicht mit einem einfach klingenden Markennamen versehen werden. Auf der anderen Seite könnten sperrige Namen Anwender für die Risiken eines Präparats sensibilisieren.
Eine spannende Frage, der sich künftige Untersuchungen widmen sollten, ist, ob dieser Effekt auch bei Ärzten und Apothekern zu beobachten ist. Sie sind zwar täglich mit Arzneimittelnamen aller Kompliziertheitsgrade konfrontiert. Sollte dieser unbewusste Prozess bei ihnen jedoch genauso ablaufen wie bei Laien, hätte das unter Umständen weitreichende Konsequenzen für die Patienten. /