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Prodrugs

Potente Metaboliten

Datum 10.07.2012  16:17 Uhr

Von Carsten D. Siebert / Prodrugs und ihre Metaboliten rücken im Zuge der aktuellen Diskussion um stratifizierte und individualisierte Arzneimitteltherapien verstärkt in den Fokus. Der vorliegende Beitrag zeigt anhand einiger prominenter Arzneistoffe, an welchen Cytochrom P450-Isoenzymen Biotransformation zu aktiven Metaboliten stattfindet.

Die meisten Arzneistoffe werden in ihrer wirkaktiven Form verabreicht und vom Organismus unverändert oder metabolisiert ausgeschieden. Dabei kommt es in Phase-I-Reaktionen zur Veränderung oder Einführung von funktionellen Gruppen und in Phase-II-Reaktionen zur Kopplung an wasserlösliche Reste, wie Schwefelsäure oder Glucuronsäure. Es gibt jedoch auch inaktive Arzneistoffe, die erst in der Leber zu aktiven Metaboliten biotransformiert werden. Wenn dies ausdrücklich erwünscht ist, spricht man von Prodrugs. Es gibt gute Gründe, einen Arzneistoff in einer Vorläuferform zu verabreichen. So zum Beispiel wenn funktionelle Gruppen, die für eine Bindung am Wirkort benötigt werden, einen Transport bis dorthin verhindern. Ein bekannter Vertreter ist L-Dopa in der Parkinson-Therapie, das anschließend in Dopamin biotransformiert wird, welches im ZNS substituiert werden soll.

 

Bioaktivierung durch Cytochrom P450

 

Im Folgenden wird der hepatische Metabolismus durch den Cytochrom P450-Komplex behandelt. Es gibt Arzneistoffe, die in der Leber bioaktiviert werden, um danach ihre pharmakologische Wirkung entfalten zu können. Aus der Familie der Cytochrom P450-Isoenzyme sind es vor allem CYP3A4, CYP2C9, CYP2C19, CYP2D6 und CYP1A2, die Arzneistoffe abbauen. So wird durch CYP3A4 (Abbildung 1) der Lactonring des HMG-CoA-Reduktase-Hemmers Lovastatin während der ersten Leberpassage hydrolysiert. Die entstehende Lovastatinsäure ähnelt den β-Hydroxysäuren Pravastatin, Cerivastatin und Atorvastatin. Lovastatin ist ein Prodrug und das metabolisierende Organ, die Leber, ist gleichzeitig der Wirkort. Simvastatin ist ein weiteres prominentes Statin, das am CYP-System bioaktiviert wird. Bei Menschen chinesischer Abstammung spielt darüber hinaus ein CYP2D6-Polymorphismus eine Rolle (1).

Ein weiteres Prodrug ist das H1-Antihistaminikum Loratadin mit seinem aktiven Metaboliten Desloratadin (Des­carboethoxy-Loratadin). Bei diesem metabolischen Schritt sind jedoch zwei CYP-Enzyme beteiligt, neben CYP3A4 zusätzlich CYP2D6, die die Ester-Gruppe abspalten (2). Präklinische Bindungsstudien an klonierten humanen H1-Rezeptoren zeigen, dass die Affinität von Desloratadin etwa 200-mal höher ist als die von Loratadin. Für die Hemmung des Histamin-induzierten Calcium-Einstroms in CHO-H1-Zellen wurde eine etwa 40-mal stärkere Wirksamkeit festgestellt.

 

Das Benzodiazepin Diazepam wird über zwei aktive Metaboliten mittels CYP2C19 und CYP3A4 abgebaut. In einem ersten Schritt wird desalkyliert, in einem zweiten Schritt wird hydroxyliert (3) (Abbildung 2). Nordazepam und Oxazepam sind aktive Metaboliten mehrerer Benzodiazepin-Prodrugs wie zum Beispiel Clorazepat, Oxazolam, Prazepam und Chlordiazepoxid. Nordazepam hat eine hohe Rezeptoraffinität (Ki = 16 nmol/l; Rattenhirngewebe gegen Tritium-markiertes Flunitrazepam), wird jedoch am deutschen Markt nicht mehr als Fertigarzneimittel angeboten. Dagegen ist der Metabolit Oxazepam als prominentes Hypnotikum im Handel.

Das Malariamittel Proguanil wird vornehmlich durch CYP2C19 zu Cycloguanil metabolisiert (4). Zu einem geringeren Teil ist wahrscheinlich CYP3A4 an der Umwandlung beteiligt. Formal handelt es sich um eine Dehydrierungsreaktion, bei der ein [1,3,5]Triazin gebildet wird.

 

Das Opioid-Analgetikum Tramadol wird in vitro und in vivo ausschließlich über CYP2D6 zum analgetisch aktiven O-Desmethyl-Tramadol abgebaut (5). Da Tramadol das cis-Racemat ist, werden beide Enantiomere beim Abbau betrachtet, die Reaktion ist stereospezifisch. Das (+)-Enantiomer wird zweimal schneller metabolisiert als das (–)-Enantiomer (6). Ein weiterer wichtiger Metabolit, der allerdings nicht aktiv ist, ist N-Desmethyl-Tramadol, das durch CYP3A4 und CYP2B6 entsteht.

 

Das Antithrombotikum Clopidogrel wird zu 15 Prozent und hauptsächlich durch CYP3A4, CYP3A5 und CYP2C19 biotransformiert. Eine untergeordnete Rolle spielen CYP2B6, CYP1A2 und CYP2C9 (7). Der aktive Mercapto-Metabolit wird durch Oxidation von Clopidogrel zu 2-Oxo-Clopidogrel und nachfolgender Hydrolyse gebildet. Dabei wird der Thiophen-Ring geöffnet, und es entsteht ein Mercaptocrotonsäure-Derivat (Abbildung 3). Im Jahr 2010 hat die FDA darauf hingewiesen, dass bei Patienten mit verminderter CYP2C19-Aktivität damit zu rechnen ist, dass keine ausreichende Thrombozytenaggregationshemmung zu erreichen ist (8).

Ein prominentes Beispiel ist schließlich der beim Brustkrebs eingesetzte selektive Estrogen-Rezeptor-Modulator Tamoxifen. Der Arzneistoff ist, wie man heute weiß, als Prodrug unwirksam und wird erst durch Desalkylierung und Hydroxylierung zum aktiven Wirkstoff Endoxifen umgewandelt (Abbildung 4). Das biotransformierende Isoenzym ist CYP2D6 (9). Dieses Enzym unterliegt einem genetisch bedingten Polymorphismus, sodass es Patientinnen gibt, die auf eine Therapie mit Tamoxifen schlecht oder gar nicht ansprechen.

 

Informationen in der ABDA-Datenbank

 

Bei den vorgestellten Arzneistoffen handelt es sich um eine kleine Auswahl und lediglich um eine Momentaufnahme. Weitergehende Informationen zum Metabolismus, zur Kennzeichnung als Prodrug oder als wirksamer Metabolit finden sich in der ABDA-Datenbank an verschiedenen Stellen, so mit Verweisen aufeinander in der »Pharmazeutischen Stoffliste«, wenn es sich bei dem Pärchen Prodrug/Metabolit um INN-Verbindungen handelt.

In den »Wirkstoffdossiers« werden, soweit bekannt, Plasma-Konzentrationen, Eliminationshalbwertszeiten, Plasmaprotein-Bindung, Resorptionsquote, Verteilung, Ausscheidung und metabolisierende Enzyme nicht nur der Wirkstoffe, sondern auch der Metaboliten genannt. Darüber hinaus wird im Modul »Interaktionen« die kompetitive Beeinflussung von Arzneistoffen am CYP-System berücksichtigt. Nicht zuletzt wäre es auch künftig vorstellbar, den genetischen Polymorphismus biotransformierender Enzyme bei Patienten zu erfassen und in einem Risikocheck zu berücksichtigen, ob beispielsweise ein Patient ein »poor metabolizer« oder ein »fast metabolizer« ist. Dass dies eine Auswirkung auf die individuelle Dosierung des Arzneimittels hat, liegt auf der Hand, jedoch besteht hier noch eine große Nachfrage nach einer gesicherten Daten-Grundlage. / 

 

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