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Diabetes

Neue Wirkstoffe in Aussicht

10.07.2012  16:17 Uhr

Von Daniel Merk und Manfred Schubert-Zsilavecz / Nach der Marktrücknahme von Rosiglitazon und der weitgehenden Verordnungseinschränkung für Pioglitazon gibt es aktuell keinen weiteren zugelassenen Arzneistoff mehr, der über den Peroxisomen-Proliferator-aktivierten Rezeptor γ (PPARγ) seine antidiabetischen Effekte entfaltet. Ungeachtet dessen weisen präklinische Daten daraufhin, dass PPARγ und andere nukleäre Rezeptoren auch in Zukunft eine wichtige Rolle bei der Entwicklung innovativer oraler Antidiabetika spielen werden (1).

Glitazone bewirken eine Aktivierung von PPARγ, wodurch vor allem Leber- und Fettgewebezellen empfindlicher auf Insulin reagieren und deshalb verstärkt Glucose verwerten. Neben der insulinsensibilisierenden Wirkung ist die Aktivierung von PPARγ aber auch für die Nebenwirkungen wie Gewichtszunahme und Flüssigkeitsretention verantwortlich. Eine amerikanische Arbeitsgruppe konnte nunmehr zeigen, dass Rosiglitazon und andere PPARγ-Liganden neben ihrer agonistischen Wirkung auch eine Phosphorylierung des Rezeptors durch die cyclin dependent kinase 5 (Cdk5) unterdrücken. Diese Phosphorylierung steht in Zusammenhang mit Diabetes und Übergewicht und eine Hemmung der Cdk5-abhängigen Phosphorylierung von PPARγ könnte eine effektive neue Strategie zur Behandlung von nicht insulinpflichtigem Diabetes darstellen (2).

Mit den beiden experimentellen Wirkstoffen SR1664 und SR1824 konnten bereits erste vielversprechende Ergebnisse erzielt werden. Die Substanzen binden wie die Glitazone an PPARγ, entfalten jedoch keine agonistische Wirkung. Sie aktivieren den nukleären Rezeptor also nicht wie die nebenwirkungsträchtigen Thiazolidindione, sondern bewirken vielmehr eine Konformationsänderung des Rezeptorproteins, wodurch eine Phosphorylierung von PPARγ durch die Cdk5 unterdrückt wird (Abbildung 1). In Tiermodellen mit diabetischen Mäusen zeigten die experimentellen Wirkstoffe antidiabetische Wirkungen ohne die typischen Nebenwirkungen der Glitazone zu verursachen. Momentan werden neue Substanzen mit verbesserten pharmakokinetischen und physikochemischen Eigenschaften entwickelt. Es bleibt abzuwarten, wann die ersten Vertreter dieser potenziellen neuen Wirkstoffklasse in die klinische Entwicklung eintreten (2).

 

Ähnlich vielversprechend ist der Stand der Forschung über den Farnesoid-X Rezeptor (FXR). Dieser nukleäre Rezeptor dient physiologisch als Sensor für Gallensäuren und wird durch diese aktiviert. Die Aktivierung führt zu einem verstärkten Abbau und verminderter Biosynthese von Gallensäuren und trägt so zur Homöostase der Gallensäuren bei. In den vergangenen Jahren wurden zahlreiche Effekte einer FXR-Aktivierung entdeckt und mehrere synthetische Agonisten für FXR entwickelt (Abbildung 2). Aufgrund ungünstiger pharmakokinetischer und toxikologischer Eigenschaften hat jedoch bislang kein FXR-Agonist klinische Relevanz (Phase II/III der klinischen Prüfung) erreicht (3).

 

Hoffnungsvoll, aber noch ein langer Weg

 

Aktuelle Forschungsergebnisse könnten das Interesse an FXR als Target für die Arzneistoffentwicklung weiter beflügeln, insbesondere deshalb, weil In-vitro-Untersuchungen potenziell antidiabetische Effekte einer FXR-Aktivierung erkennen lassen (4).

Durch Behandlung von kultivierten murinen Inselzellen mit Taurochenodesoxycholat (TCDC), einem natürlichen FXR-Agonisten, schütteten die Pankreaszellen in Gegenwart von Glucose deutlich mehr Insulin aus als ohne Stimulation mit TCDC. Ähnliche Ergebnisse wurden auch für den synthetischen FXR-Agonisten GW4064 beobachtet. Dabei war die Zeitspanne zwischen Behandlung der Zellen mit den FXR-Agonisten und der insulinotropen Wirkung zu kurz, als dass genomische Effekte für die Wirkung verantwortlich sein könnten, wie dies für einen nukleären Rezeptor zu erwarten wäre. Experimente mit Inselzellen aus FXR-knockout-Mäusen bestätigten die Wirkung über FXR, da hier keine insulinotropen Effekte durch FXR-Agonisten beobachtet werden konnten. Außerdem wurde die Insulin-freisetzende Wirkung der FXR-Agonisten in Gegenwart des FXR-Antagonisten Guggulsteron gehemmt (4).

Hinweise auf den möglichen zugrunde liegenden Mechanismus der FXR-abhängigen insulinotropen Wirkung gaben Experimente an Inselzellen aus Mäusen, in denen das Gen für den sulfonylurea receptor SUR1 ausgeschaltet wurde (SUR1-KO-Mäuse). SUR1 ist eine Untereinheit eines ATP-abhängigen Kaliumkanals in der Membran von β-Zellen, der an der Regulation der Insulinausschüttung entscheidend beteiligt ist. Über den gleichen Kanal entfalten auch die antidiabetischen Sulfonylharnstoffe ihre Wirkung. Der Öffnungszustand des KATP-Kanals ist abhängig vom Verhältnis zwischen ATP und ADP in der Zelle und ist somit an den metabolischen Status der Zelle gekoppelt. Wird der KATP-Kanal durch hohe ATP-Konzentrationen geschlossen, öffnen sich aufgrund der entstehenden Membrandepolarisation spannungsabhängige Calciumkanäle, sodass Calciumionen in die Zelle einströmen können und Insulin aus der Zelle freigesetzt wird (4).

 

Anders als bei Inselzellen aus Wildtyp-Mäusen zeigten die FXR-Agonisten TCDC und GW4064 keine insulinotrope Wirkung auf Inselzellen aus SUR1-KO-Mäusen. Daher wird vermutet, dass die positiven Effekte der FXR-Aktivierung auf die Insulinfreisetzung zumindest teilweise über den membranständigen KATP-Kanal vermittelt werden, sei es durch eine direkte Interaktion des aktivierten nukleären Rezeptors mit Membranproteinen oder aber durch bisher nicht definierte Signalkaskaden (4).

 

Zweifelsfrei werden diese vorgestellten präklinischen Daten noch einige Zeit brauchen bis sie sich in klinischen Studien widerspiegeln. Dennoch geben sie Anlass zur Hoffnung auf innovative Antidiabetika der Zukunft. / 

Literatur

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Merk D, Schubert-Zsilavecz M: Nuclear receptors as pharmaceutical targets: rise of FXR and rebirth of PPAR? Future Med Chem 2012; 4(5):587-8.

Choi JH et al.: Antidiabetic actions of a non-agonist PPARγ ligand blocking Cdk5-mediated phosphorylation. Nature 2011; 477(7365):477-81.

Merk D, Steinhilber D, Schubert-Zsilavecz M: Medicinal chemistry of farnesoid X receptor ligands: from agonists and antagonists to modulators. Future Med Chem 2012; 4(8):1015-36.

Düfer M et al.: Bile Acids Actually Stimulate Insulin Secretion of Mouse β-Cells via Farnesoid X Receptor Activation and ATP-Sensitive Potassium Channel Inhibition. Diabetes 2012; 61(6):1479-89.

 

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