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Kinderarmut

Schlechter Start ins Leben

08.07.2008  11:27 Uhr

Kinderarmut

<typohead type="3">Schlechter Start ins Leben

Von Christiane Berg, Hamburg

 

Kinderarmut hat in Deutschland eine neue Größenordnung erreicht. 2,5 Millionen Kinder sind arm, also auf Sozialgeld angewiesen, hieß es auf einem Pressegespräch im Hamburger Kinder- und Jugendzentrum »Die Arche«.

 

Gemäß dem »Kinderreport«, den das Deutsche Kinderhilfswerk 2007 veröffentlichte, fällt jedes sechste Kind unter die Armutsgrenze. Kinder von Müttern und Vätern mit niedrigem Bildungsabschluss, mit Migrationshintergrund oder aus Ein-Eltern-Familien seien besonders bedroht. Das höchste Armutsrisiko liege bei Kindern und Jugendlichen, deren Eltern beide arbeitslos sind oder Hartz-IV-Leistungen erhalten. Gemäß Hartz-IV-Satz müssten Kinder unter 14 Jahren mit 1,79 Euro im Monat für Schulmaterialien auskommen, für Nahrung mit 2,72 Euro pro Tag.

 

Bepanthen-Förderung gestartet

 

»Immer noch denken die meisten Menschen bei Kinderarmut nur an Afrika oder andere Entwicklungsländer«, sagte Kai-Uwe Lindloff, Theologe und Geschäftsführender Vorstand des Kinder- und Jugendhilfswerkes »Die Arche«. Dabei sei eine deutliche Zunahme der Kinderarmut bei steigender Tendenz auch in Deutschland zu verzeichnen. »Die Arche« kümmert sich um die Belange benachteiligter Kinder in Hamburg, Berlin und München. Träger ist der Verein »Christliches Kinder- und Jugendwerk«. Dessen Ziel ist es, arme Kinder gesellschaftlich zu integrieren. In den Arche-Häusern erhalten sie nicht nur regelmäßige Mahlzeiten, sinnvolle Freizeitangebote, Hilfe bei den Hausaufgaben oder Sport- und Computerunterricht, sondern auch Zuwendung in persönlichen Gesprächen. »Wir holen die Kinder von der Straße«, sagte Lindloff, »und helfen ihnen, dem Kreislauf von Armut und Minderwertigkeitsgefühlen zu entkommen.«

 

»Die Arche« ist zu 100 Prozent auf finanzielle Unterstützung angewiesen. Daher hat Bayer Vital jetzt die Initiative »Bepanthen-Kinderförderung« gestartet. Mit 40.000 Euro werden in diesem Sommer Ferienfreizeiten für etwa 200 Hamburger und Berliner Arche-Kinder sowie der Bau eines eigenen Ferien-Camps im brandenburgischen Wietstock finanziert.

 

»Kinderarmut ist ein Thema von wachsender Bedeutung«, sagte Dr. Klaus Kluthe, Leiter der Divison Consumer Care, Bayer Vital. »Seelische Verletzungen gehören zum Alltag dieser Kinder. Wir wollen das gesellschaftliche Bewusstsein für Kinderarmut in Deutschland schärfen. Wir wollen zudem zur Förderung der Persönlichkeitsentwicklung und Stärkung der psychosozialen Gesundheit dieser Kinder beitragen.«

 

Bislang sei viel über benachteiligte Kinder gesprochen worden. Sie selbst seien jedoch kaum zu Wort gekommen. Gleichzeitig sei daher die Fakultät für Erziehungswissenschaften der Universität Bielefeld mit der Durchführung der »Bepanthen-Kinderarmutsstudie« beauftragt worden, in der die sozial benachteiligten Kinder zu ihren Empfindungen, ihrer Selbst- und Weltwahrnehmung sowie ihren persönlichen Ängsten, Entscheidungs- und Handlungsspielräumen befragt werden sollen.

 

Mehr als eine warme Mahlzeit

 

»Bisher gibt es kaum systematisch erhobene eigene Aussagen sozial benachteiligter Kinder zu ihrer Lebenssituation«, unterstrich Professor Dr. Sabine Andresen, Universität Bielefeld. »Das wollen wir ändern und so noch besser verstehen, was diese brauchen. Wir wollen neue Ansätze und Impulse in der Kinderförderung identifizieren und so einen substanziellen Beitrag zur Diskussion leisten«, machte die Erziehungswissenschaftlerin deutlich.

 

Fragebogenerhebung, teilnehmende Beobachtung, situative Interviews mit einzelnen Kindern oder Kleingruppen während der Ferienfreizeit: Ausgehend vom aktuellen Forschungsstand sollen Daten zu den psychosozialen Folgen von Kinderarmut durch die Verknüpfung unterschiedlicher wissenschaftlicher Methoden erhoben werden, so Andresen. Die Ergebnisse der Studie sollen Anfang 2009 erscheinen.

 

Bei der Veranstaltung in Hamburg gab Lindloff einen Überblick über die Ursachen und Folgen der Kinderarmut. Gerade in den prekären Randgebieten deutscher Großstädte wüchsen Kinder unter extrem eingeschränkten Bedingungen ohne stabile Netzwerke auf. Sie lebten öfter in beengten Wohnverhältnissen sowie in vernachlässigten Stadtteilen mit wenigen qualifizierten Schulen und unzureichenden sozialen Angeboten. Die fehlenden Bildungschancen führen dazu, dass wichtige Potenziale der Kinder und Jugendlichen verloren gehen und »Armutskarrieren« gefördert werden, so der Theologe.

 

»Benachteiligten Kindern fehlt es nicht nur an materiellen Dingen wie einer regelmäßigen Mahlzeit, Büchern und saisongerechter Kleidung. Sie erfahren zudem kaum Aufmerksamkeit, Zuwendung, Bestätigung und Liebe, die eine gute Entwicklung überhaupt erst ermöglichen. Auch in der Schule werden sie oft ausgegrenzt«, machte Lindloff deutlich. Die finanziell minderbemittelten und meist selbst schlecht sozial integrierten Eltern seien zumeist überfordert, wenn es um die Belange ihrer Kinder geht. Sie hätten zudem selbst nicht gelernt, ihrer scheinbar aussichtlosen Lage aus eigener Kraft zu entrinnen.

 

Armut verschlechtert Gesundheit

 

Erkenntnisse zu den Auswirkungen von Kinderarmut auf die körperliche Gesundheit hat der Kinder- und Jugendgesundheitssurvey (KIGGS) 2007 gebracht. Untersuchungsteams des Berliner Robert-Koch-Instituts prüften dafür von 2003 bis 2006 das gesundheitliche Wohlbefinden von insgesamt 17.641 Kindern und Jugendlichen zwischen 0 und 17 Jahren in 167 Städten und Gemeinden. Demnach weisen Jungen und vor allem Mädchen mit niedrigerem Sozialstatus deutliche Bewegungsdefizite auf: 40,4 Prozent der Mädchen und 36,2 Prozent der Jungen zwischen drei und zehn Jahren mit geringem Sozialstatus treiben weniger als einmal pro Woche Sport. Diese Jungen und Mädchen zeigen auch ein mangelndes  Mundgesundheitsbewusstsein: 39 Prozent der Kinder zwischen 0 und 17 mit niedrigem sozialem Status putzen nur einmal täglich oder seltener ihre Zähne (mittlerer Sozialstatus: 28 Prozent; hoher Sozialstatus: 22 Prozent). Jugendliche aus Familien mit niedrigem Sozialstatus rauchen zudem häufiger als Jugendliche aus sozial höher gestellten Familien. 23,2 Prozent der befragten Kinder aus armen Familien zeigten Hinweise auf psychische Probleme (mittlerer Sozialstatus: 13,4 Prozent; hoher Sozialstatus: 8,1 Prozent). Jedes dritte sozial schlecht gestellt Kind wies 2004 bei seiner Einschulung therapiebedürftige Entwicklungsstörungen oder Verhaltensauffälligkeiten auf.

 

Kinder und Jugendliche aus Familien mit niedrigem sozioökonomischem Status sind mit 27, 6 Prozent fast doppelt so häufig von Essstörungen betroffen wie Kinder aus Familien mit hohem Status (15,6 Prozent). Das Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätssyndrom (ADHS) wurde bedeutend häufiger bei Kindern mit niedrigem sozialem Status als bei Kindern mit höherem Status diagnostiziert.

 

Auch wurde bei Mädchen und Jungen aus armen Familien eine Verdoppelung der Unfallgefahr registriert. Diese tragen bei entsprechenden Sportarten oft keinen Schutzhelm, geschweige denn Protektoren. Bei Kindern mit niedrigem Sozialstatus besteht ein signifikant höheres Risiko für Übergewicht und Adipositas. Sie weisen geringere motorische Leistungsfertigkeiten, also Fähigkeiten zur körperlichen Koordination, Kraft, Ausdauer und Beweglichkeit auf. Und soziale Benachteiligung wurde mit einer höheren Gewaltbelastung und -bereitschaft assoziiert.

 

Aus diesen und mehr Gründen forderte das Kinderhilfswerk Ende 2007 die Bundesregierung auf, ein »nationales Programm zur Bekämpfung der Kinderarmut« vorzulegen. Dabei solle sie steuerliche Nachteile von Familien mit Kindern aufheben und das Kindergeld zu einer Kindergrundsicherung ausbauen. Weiterhin forderte das Kinderhilfswelt ein flächendeckendes, staatlich finanziertes Betreuungs- und Bildungsangebot für Vorschulkinder ab einem Jahr. Und Schwerpunkte in Kindertagesstätten und Schulen sollen auf der Bewegungsförderung und einer gesunden Ernährung liegen. So ließen sich womöglich zumindest gesundheitliche Folgen der Kinderarmut abmildern.

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