GMP und Co. an der Karibikküste |
28.06.2007 14:20 Uhr |
<typohead type="3">GMP und Co. an der Karibikküste
Von Henning Hintzsche, Caracas
Schon früh stand für mich fest, dass ich eine Hälfte meines Praktischen Jahres im Ausland absolvieren möchte. Die Vorbereitungen haben viel Energie und Zeit gekostet. Anfang Januar war es so weit und ich flog nach Caracas, um mein Praktikum bei Bayer HealthCare zu beginnen.
Alle, die darüber nachdenken, im Rahmen des Praktischen Jahres Auslandserfahrung zu sammeln, kann ich nur dazu ermutigen, die langen und oft nicht ganz leichten Vorbereitungen auf sich zu nehmen. Das Leben in einer fremden Kultur ist eine enorme Bereicherung. Auch in fachlicher Hinsicht ist dieser Blick über den Tellerrand sehr lehrreich.
Zunächst sind bei der Planung zwei grundlegende Fragen zu beantworten: In welchem Land soll das Praktikum stattfinden? Und in welcher Institution? Beides kann prinzipiell frei gewählt werden. Die Approbationsordnung führt in dieser Hinsicht keine Vorgaben auf. Die meisten Praktikanten zieht es in die pharmazeutische Industrie oder Universitätsinstitute. Vor allem in Ländern, in denen die Klinische Pharmazie weiter entwickelt ist als in Deutschland, bietet sich auch ein Praktikum in einer Krankenhausapotheke an. Ebenso kann ein Einblick in die Offizinapotheke anderer Länder sehr interessant sein. Allerdings könnte sich hier der Nachweis der Äquivalenz zur praktischen Ausbildung in Deutschland unter Umständen schwierig gestalten.
Vorteilhaft für ein Praktikum im Ausland ist, die jeweilige Landessprache zu beherrschen. Vielerorts wird man mit Englischkenntnissen auskommen, in Lateinamerika ist man jedoch ohne Spanischkenntnisse selbst in der Industrie oder an einer Universität häufig recht hilflos.
Lange Vorbereitungszeit einplanen
Der erste Schritt der Vorbereitungen besteht darin, Kontakt zu möglichen Arbeitgebern aufzunehmen und Bewerbungen zu schreiben. Damit sollte man spätestens ein Jahr vor dem geplanten Auslandsaufenthalt anfangen. Oft liest man in Erfahrungsberichten, dass Arbeitgeber im Ausland mit dem Begriff Pharmaziepraktikant nichts verbinden können. Dies kann ich für Lateinamerika nicht bestätigen. Viele Unternehmen hatten schon fertige Arbeitspläne für Praktikanten. In Venezuela muss das Praktikum wie in Deutschland nach dem Studium absolviert werden. Obwohl in Venezuela nur vier Monate obligatorisch sind, ist es vor allem in der Industrie üblich, dies auf ein halbes Jahr auszudehnen.
Die pharmazeutische Industrie in Deutschland vermittelt in der Regel keine Praktikanten an ihre Niederlassungen im Ausland. Dafür ist also eine direkte Kontaktaufnahme erforderlich. Per Internet lassen sich mühelos Kontaktadressen herausfinden, auch von öffentlichen Apotheken. Eine sehr hilfreiche Anlaufstation kann zudem die jeweilige Auslandshandelskammer sein. Für einen Aufenthalt an einem Universitätsinstitut ist es natürlich empfehlenswert, bestehende Kontakte des eigenen Instituts zu nutzen.
Spätestens wenn der Praktikumsplatz zugesagt ist, sollte man sich auch um die Finanzierung Gedanken machen. Das gilt vor allem dann, wenn das Praktikum gar nicht oder nur schlecht bezahlt wird. Zur Finanzierung kommen auch Stipendien infrage. Neben Institutionen wie den parteinahen Stiftungen oder dem Deutschen Akademischen Auslandsdienst (DAAD) gibt es eine Vielzahl an Stiftungen, die auch Pharmaziepraktikanten fördern.
Blutabnahme schwer gemacht
Obwohl ich bereits etwa eineinhalb Jahre vor Praktikumsbeginn die ersten Bewerbungen geschrieben hatte, waren meine Vorbereitungen selbst kurz vor dem Abflug noch nicht abgeschlossen. Grund war, dass sich die Ausstellung des Visums verzögert hatte. Nach vielen Telefonaten und langem Warten konnte ich Anfang Januar meine Reise nach Südamerika endlich antreten.
Anfangs waren bei Bayer viele organisatorische Dinge zu erledigen. Lange wird mir die Ausstellung eines Gesundheitszeugnisses im Gedächtnis bleiben. Hier zeigte sich deutlich, dass das öffentliche Leben in Venezuela nicht sehr gut organisiert ist. Es stellten sich immer neue Schwierigkeiten in den Weg und obwohl nur eine Blutabnahme und das Ausfüllen eines Fragebogens nötig waren, musste ich bei vier verschiedenen Dienststellen vorsprechen und jedes Mal mehrere Stunden Schlange stehen.
Von meinen Kollegen wurde ich sehr freundlich aufgenommen, vom ersten Tag an habe ich mich als Teil des Teams gefühlt. Allgemein sind die Menschen in Venezuela sehr offen und kommunikativ, sodass man nirgends Schwierigkeiten hat, ins Gespräch zu kommen.
Mein Praktikum ist in drei Teile von jeweils etwa zwei Monaten gegliedert. Zunächst bekommt man einen Überblick in die Laborarbeit, indem man in allen Bereichen jeweils ein bis zwei Wochen mitarbeitet. Danach wird jeder Praktikant in der GMP-Abteilung eingesetzt und schließlich bearbeitet man eigenständig ein Projekt.
Praktikums-Stationen bei Bayer
Meine erste Station war die Mikrobiologie. Hier werden zum einem die Ausgangsstoffe und Endprodukte hinsichtlich ihrer mikrobiologischen Qualität untersucht, zum anderen wird als eine Form der Gehaltsbestimmung die Potenz von Antibiotika bestimmt. Zudem wird regelmäßig untersucht, ob die Produktionsanlagen, die Umgebungsluft und das destillierte Wasser keimarm beziehungsweise -frei sind.
Als Nächstes lernte ich die Qualitätskontrolle der Verpackungsmaterialien kennen. Dieses Gebiet ist deshalb sehr interessant, weil es im Pharmaziestudium gar nicht vorkommt, und für mich also vollkommen neu war. Hier werden Primärpackmittel wie Tuben, Blister und Flaschen, Faltschachteln und Packungsbeilagen überprüft.
Der dritte Bereich war die Kontrolle der Endprodukte. Wichtigste analytische Methode stellt hier die HPLC dar, womit auf Identität, Reinheit und Gehalt geprüft wird. Daneben werden Auflösungsgeschwindigkeit, pH-Wert, Freisetzungskinetik, Viskosität und andere Größen untersucht. Neben der Prüfung direkt nach dem Herstellungsprozess werden im Rahmen von Stabilitätsuntersuchungen auch Prüfungen von Rückstellmustern durchgeführt, um zu belegen, dass die Arzneimittel während ihrer Haltbarkeitsdauer ihre Eigenschaften nicht signifikant verändern.
Zuletzt lernte ich die Ausgangsstoffprüfung kennen. Hier konnte ich am schnellsten eigenständig arbeiten, da dieses Gebiet im Studium sowohl theoretisch als auch praktisch umfassend behandelt wird. Die Prüfvorschriften orientieren sich weitgehend an der USP. Gelegentlich wird aber auch das Europäische Arzneibuch zugrunde gelegt. Danach verbrachte ich einige Wochen in der GMP-Abteilung und befasste mich mit Validierung, Qualifizierung und Dokumentation.
Die Probenentnahme der Ausgangsstoffe findet in einem abgetrennten Raum statt, der bestimmten Reinheitskriterien genügen muss. Hier wird direkt nach der Entnahme die Identität der Stoffe mithilfe eines NIR-Spektrometers und angeschlossener Software geprüft. Dieses System wird nun ausgetauscht und meine Projekt-Aufgabe besteht darin, Installation, Qualifizierung und Validierung zu koordinieren und durchzuführen.
Pharmazie in Venezuela
Im Gegensatz zu Deutschland gibt es in Venezuela große Apothekenketten. Diese sind jedoch bezüglich des Sortiments eher mit Drogerien vergleichbar und haben in der Regel nur einen sehr kleinen, abgetrennten Bereich, in dem Arzneimittel abgegeben werden. Obwohl mehr als 60 Prozent der Apotheken inhabergeführt sind, sieht man in den Städten fast ausschließlich Filialen der großen Ketten.
Es gibt in Venezuela drei Universitäten, an denen man Pharmazie studieren kann. Ich hatte die Möglichkeit, zwei davon zu besuchen, um mir ein Bild von der Ausbildung der Apotheker hierzulande zu machen. Dabei fiel mir vor allem der große Unterschied der Ausstattung zwischen einer staatlichen und einer privaten Hochschule auf. Die Lehrpläne sind jedoch sehr ähnlich und mit den deutschen vergleichbar.
Kuckucksuhren in Südamerika
Nach Feierabend bleibt noch Zeit, Land und Leute kennenzulernen. Anfangs war ich an den Wochenenden damit beschäftigt, Caracas zu besichtigen. Diese Metropole hat wesentlich mehr zu bieten, als auf den ersten Blick zu sehen ist. Zunächst nimmt man nämlich nur viele hässliche Gebäude, überall Müll auf der Straße und ein Verkehrsaufkommen, dem die Infrastruktur vor allem zu den Stosszeiten nicht gewachsen ist, wahr. Dazu kommt noch das allgegenwärtige Kriminalitätsproblem. Auch ich hatte am Anfang eher einen negativen Eindruck von dieser Großstadt; wenn man sich davon aber nicht abschrecken lässt, kann man sehr interessante Orte entdecken.
Es gibt mehrere schöne Parks, einen kleinen Stadtkern, in dem noch historische Gebäude im Kolonialstil erhalten geblieben sind, und viele Museen, deren Besuch in der Regel kostenfrei ist. Eines der Wahrzeichen der Stadt ist der Pico Avila. Mit 2159 Metern ist es die höchste Erhebung des Gebirgsmassivs, das Caracas vom Karibischen Meer trennt. Oben angelangt, hat man einen beeindruckenden Blick auf die Stadt und zur anderen Seite auf das nah gelegene Meer.
Einmal im Jahr wird bei Bayer ein Betriebsausflug durchgeführt. Dieser führte dieses Jahr an einen der vielen Strände mit weißem Sand und kristallklarem Wasser. Weitere Ausflugsziele sind die Colonia Tovar, eine Ortschaft deutscher Siedler, die sich ihre Schwarzwaldtraditionen über mehr als 150 Jahre bewahrt haben und der Nationalpark Canaima mit dem Salto Angel, dem höchsten Wasserfall der Welt. Unbeschreiblich war auch der Ausblick vom 4765 Meter hohen Pico Espejo.
Meine Praktikumszeit in Venezuela ist eine sehr interessante Erfahrung für mich. Fachlich habe ich viel dazugelernt. Von den Menschen wurde ich sowohl bei Bayer als auch außerhalb immer freundlich aufgenommen. Zudem habe ich die Möglichkeit, ein Land, das sich in vielen Aspekten deutlich von Deutschland unterscheidet, kennenzulernen.