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Gesundheitsreform

Große Koalition will Landschaft revolutionieren

04.07.2006  18:30 Uhr

Gesundheitsreform

<typohead type="3">Große Koalition will Landschaft revolutionieren

von Thomas Bellartz, Berlin

 

Drei Monate Konsultationen hinter verschlossenen Türen, dann noch einmal zehn Stunden Verhandlungsmarathon im Kanzleramt und schließlich ein nicht enden wollendes Wegducken vor der der ruppigen Kritik aus allen Ecken und Enden des Landes: Die Eckpunkte zur Gesundheitsreform sind da. Und die Apotheken zählen zu den Verlierern.

 

Die Geheimnistuerei wird immer noch kein Ende haben, das war spätestens am Dienstag nachmittag klar. Kurz bevor die Bundeskanzlerin den Jet Richtung WM-Halbfinale in Dortmund nahm, versuchte sie 200 Journalisten in der Bundespressekonferenz die Inhalte der Eckpunkte der Gesundheitsreform zu verkaufen.

 

Angela Merkel mag bisweilen eine beinharte Politikerin sein, partei- und außenpolitisch erfolgreich. Und doch ist sie keine gute Verkäuferin. Vielleicht aber könnte sie besser verkaufen, wenn das Produkt, das sie an Mann und Frau bringen muss, nicht ganz so schlecht wäre. Nimmt man den Orkan im Blätterwald, dann wird schnell deutlich, dass das Produkt schlecht ist, deutlich weniger als der kleinste großkoalitionäre Nenner. Die Gesundheitsreform von Schwarz-Rot, von der Koalition selbst als deren wichtigstes Werk bezeichnet, bekommt schlechte Noten. Und das ohne jede Ausnahme.

 

Am Dienstag gab es Schulzeugnisse im Stadtstaat Berlin. Merkel erfreute sich auf Nachfrage regelrecht daran, dass sie nicht mehr zur Schule gehe und deswegen auch keine Noten bekomme. Aber sie merkte immerhin an, die Koalition habe das Bestmögliche getan. Ob das für eine eins oder ein mangelhaft reichte, blieb offen.

 

Merkel wird keinesfalls entgangen sein, wie viele Fragezeichen und Stirnrunzeln sie hinterlassen. Nachdem sie am Montag morgen um 5.34 Uhr gemeinsam mit dem SPD-Vorsitzenden Kurt Beck und CSU-Chef Edmund Stoiber im Kanzleramt die kurzatmig vorgetragene Einigung verkündet hatte, stellte sich der Sturm der Entrüstung ein. Bereits Ende vergangener Woche hatte in Berlin das 56-seitige Eckpunktepapier die Runde gemacht. Nur wenige Passagen wurden in der Nacht geändert. Angesichts der überraschenden Bedeutungslosigkeit mancher Elemente, wundern sich nicht wenige Beobachter, warum die Parteichefs und deren gesundheitspolitische Adjunten Ulla Schmidt (SPD) und Wolfgang Zöller (CSU) solange die Köpfe zusammen gesteckt hatten.

 

Das Konzept sei »ein Durchbruch in zwei Richtungen« erklärte Merkel unverdrossen. Man setze auf eine Neuordnung bei der Versicherung von Kindern und gleichzeitig auf mehr Wettbewerb und Transparenz. Das System sei »in hohem Maße undurchsichtig«. Das werde man verbessern. Man wolle das »Schubladendenken« überwinden und sich neuen Chancen, beispielsweise durch die Einrichtung eines Fonds, zuwenden. Über die Details von Finanzierungen ließ sich die Kanzlerin nur selten aus.

 

Kurt Beck signalisierte, die SPD sei ein verlässlicher Partner bei der gesetzlichen Umsetzung der Eckpunkte. Die Koalition habe »Handlungsfähigkeit bewiesen«. Edmund Stoiber beschrieb die »schwierigen Prozesse«, die man miteinander durchgestanden habe und richtete die Frage an sich selbst »Wozu machen wir das überhaupt?« Am Dienstag waren die Verhandlungsführer und Fachleute Wolfgang Zöller und Ulla Schmidt zu sprachlosen Beisitzern degradiert.

 

Was er sich bei der Einigung eigentlich gedacht habe, hatte sich Beck in seiner SPD-Fraktion fragen lassen müssen. Am Dienstag hieß es, er habe mindestens indirekt mit seinem Rücktritt gedroht für den Fall, dass Koalitionsvereinbarungen nicht eingehalten würden oder eine ausufernde innerparteiliche Debatte drohe. Vor wenigen Monaten war Becks Vorvorgänger Franz Müntefering ähnlich gescheitert.

 

Wortbruch und Mogelpackung

 

Die Kritik an dem Konzept (siehe hier) ist fundamental. Die Reform sei ihren Namen nicht wert, heißt es allerorten. Es ist die Rede vom »Reförmchen«, von einer »Mogelpackung« und vom »Wortbruch«. Letzteres kam ausgerechnet aus dem Munde von SPD-Fraktionschef Peter Struck. Der hatte nach einer Sondersitzung der Fraktion der Kanzlerin vorgeworfen, sich nicht an Vereinbarungen mit dem Koalitionspartner gehalten zu haben. Merkel ging darauf zwar nicht ein; ihr war aber anzusehen, wie sehr sie der neuerliche Disput mit dem SPD-Frontmann trifft.

 

Auch Beck dürfte sich nicht darüber freuen, dass der Gegenwind aus der eigenen Partei zunimmt. Schon in den vergangenen Tagen hatte die SPD-Linke zum Angriff auf die Minimalreform geblasen. Merkel hatte sich zwar als starke Verhandlungspartnerin bewiesen, musste allerdings in den eigenen Reihen Federn lassen. Der von der SPD mit Nachdruck geforderte Einstieg in eine kräftige Steuerfinanzierung blieb auf Druck der CDU-Ministerpräsidenten, allen voran Roland Koch und Stoiber aus.

 

Es werden viele Worte gemacht um die Eckpunkte, von denen manche teilweise seit Wochen durchgesickert waren, andere kamen eher überraschend. Für den Arzneimittelmarkt überraschend ist die Heftigkeit der Eingriffe in das bestehende System. Was Merkel am Dienstag als «große Freiheit für Kassen, Hersteller, Lieferanten und Apotheker« bezeichnete, wird äußerst kritisch betrachtet. Merkels Ankündigung man werde die »Landschaft revolutionieren« wurde zurückhaltend aufgenommen.

 

Die Kommission und im Anschluss auch die Koalitionsspitze haben sich darauf verständigt, aus der bisherigen Preisverordnung eine Höchstpreisverordnung zu machen. Zudem wollen sie mehr Wettbewerb auf der Preisebene. Krankenkassen sollen mit Arzneimittelherstellern Sonderkonditionen vereinbaren. Die Regierung will so 500 Millionen Euro einsparen. Ansonsten sollen die Apotheken bluten.

 

Weder in den Medien noch in der politischen Debatte in Berlin wurden diese für Apotheken gravierenden Veränderungen gewürdigt. Nur wenige Medien erkannten, in welchem Maß in die Apothekenlandschaft eingegriffen wird. Sowohl die SPD als auch die Vertreterinnen und Vertreter von CDU und CSU übergehen das Thema geflissentlich. Irgendwo zwischen Steuerfinanzierung, Kinderversicherung, privater Krankenversicherung und Piercingnarben ist die Apotheke in die Mühlen der Politik geraten - und zunächst hängen geblieben. Nicht wenige Experten gestanden bereits am Montag, dass die Formulierungen in den Eckpunkten mehr als überraschend sind; insbesondere, weil die Regelungen des Arzneimittelverordnungs-Wirtschaftlichkeitsgesetzes (AVWG) deftig konterkariert werden. Es riecht nach handwerklichen Mängeln.

 

Schuldenfrei ins neue System

 

Die ABDA reagierte bereits am Montag morgen und kritisierte die Eckpunkte heftig. Viele Verbände, Gewerkschaften und Krankenkassen äußerten sich ebenfalls kritisch. Die Kassen selbst und die Grünen warnten, der Beitragsaufschlag von 0,5 Prozentpunkten werde nicht ausreichen, die Finanzlücke zu schließen. Ministerin Schmidt verteidigte die Erhöhung der Kassenbeiträge. Man brauche das Geld, »denn wir wollen, dass die Kassen schuldenfrei in ein neues System starten können«, sagte sie vor der SPD-Bundestagsfraktion. Unions-Fraktionsvize Zöller (CSU) argumentierte ähnlich. »Die Bevölkerung wird sehen, dass die Reform gar nicht so schlecht ist«, sagte er.

 

In vielen Verbänden und Unternehmen beschäftigten sich Gremien und Arbeitsgruppen mit den Eckpunkten, die kurz vor der Sommerpause des Parlaments veröffentlicht wurden. Nach der letzten Sitzung von Bundestag und Bundesrat am Freitag gehen die Abgeordneten in den mehr oder minder verdienten Urlaub. Im Gesundheitsministerium wird dann am Gesetzentwurf gefeilt. Der soll dann zu Beginn der ersten Sitzungswoche des Bundestags, also am 4. September 2006, zu den Beratungen in die Fraktionen kommen. In den folgenden Wochen wird an dem Werk gefeilt. Aller Wahrscheinlichkeit nach könnte der Bundesrat in seiner letzten Sitzung des Jahres, am 15. Dezember, das Gesetz durchwinken. Am 1. Januar 2007 soll die Minireform in Kraft treten.

 

Auch wenn der Zeitplan bislang eingehalten worden ist, regen sich Zweifel, ob die Koalition die Eckpunkte in ihrer aktuellen Gestalt wird durchbringen können. Die Lobbyisten sind jetzt am Werk und agieren parallel und zuweilen mit der Politik. Neben den Reaktionen aus den eigenen Parteien und Fraktionen, wird sich die Regierung auch den Fragen vieler Wähler stellen müssen. Denn das Ziel ist eindeutig nicht erreicht. Der große Wurf ist der Koalition nicht gelungen.

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