Off-Label-Gebrauch häufiger als gedacht |
25.06.2014 09:37 Uhr |
Von Saba Al-Khadra / Patienten am Lebensende können meist nicht standardisiert behandelt werden. Erfahrungsgemäß kann hier ein zulassungsüberschreitender Einsatz von Medikamenten zielführend sein. Bis zu ein Drittel aller Medikamente werden in dieser besonderen Situation off Label eingesetzt.
Ein komplexes Erkrankungsgeschehen und das nahende Lebensende lassen verunsicherte Patienten und deren Angehörige wenig Vertrauen in rasche Wechsel von Arzneimitteln fassen. Wenn zudem die konkrete Anwendung im Beipackzettel nicht beschrieben ist, wird die Therapie womöglich infrage gestellt. Dies ist insofern problematisch, da der Arzt insbesondere bei lebensbedrohlichen Erkrankungen gesetzlich verpflichtet ist, wirksame Medikamente einzusetzen, auch wenn dies off Label geschieht. Auch besteht ein Anspruch auf Kostenerstattung durch die Krankenkassen, wenn der individuelle Heilversuch vom Arzt plausibel dargelegt wird.
Keine Haftung der Hersteller
Der Off-Label-Gebrauch umfasst dabei alles, was nicht im Beipackzettel steht: die Überschreitung der anerkannten Dosierung oder Dosisfrequenz, den Wechsel auf einen in diesem Anwendungsgebiet nicht zugelassenen Arzneistoff, die Wahl einer dem Patientenwohl angepassten, jedoch nicht zugelassenen Applikationsart sowie die Anwendung außerhalb des zugelassenen Patientenalters. Im weitesten Sinne fällt darunter auch die Anwendung entgegen der Kontraindikationen, eine zu lange Therapiedauer und sogar die Applikation über Mischinfusionen, deren Mischbarkeit in den Fachinformationen nicht aufgeführt ist.
Beim Off-Label-Gebrauch entfällt die Haftung durch den Hersteller. Trotzdem werden schätzungsweise 7 bis 33 Prozent aller Verschreibungen für Patienten am Lebensende off Label oder unlicensed (nicht zugelassenes Arzneimittel) ausgestellt (1, 2). Anders als in der kurativen Onkologie, in der teure, teils patentgeschützten Arzneistoffe zum Einsatz kommen, erfolgt ein Off-Label-Gebrauch am Lebensende fast ausschließlich über preisgünstige Präparate mit bereits abgelaufenem Patentschutz und hohem Erfahrungswert (siehe Tabelle; Quelle: Al-Khadra, Saba, Eichner, Eckhard: Medikamententipps. Informationen für Patienten und Angehörige zu Palliativsymptomen und deren Behandlung. Deutscher Palliativverlag.)
Häufig subkutane Gabe
So kann Midazolam als Rezeptursubstanz in Form eines Nasensprays bei Atemnotattacken und Erstickungsangst helfen. Carbamazepin kann bei Schluckstörungen auch in Form von Rektalkapseln individuell hergestellt werden. Bei schwerem Schluckauf können je nach Situation die Wirkstoffe Baclofen, Haloperidol, Levomepromazin, Metoclopramid oder Nifedipin eingesetzt werden.
Oft ist die subkutane Applikation wünschenswert, wenn auch im Off- Label-Gebrauch. Dies ist möglich bei Amitriptylin, Buprenorphin, Dexamethason, Dimenhydrinat, Haloperidol, Ketamin (akute Hautreizungen möglich), Levetiracetam, Levomepromazin, Metamizol-Natrium (Hautreizungen möglich, besonders bei reduzierter Durchblutung im Rahmen des Sterbeprozesses), Metoclopramid und Midazolam. Eine Zulassung der subkutanen Therapie besteht für Morphin, Hydromorphon und Butylscopolamin in Deutschland, Levomepromazin in Großbritannien, Dexamethason in der Schweiz und Buprenorphin in Frankreich.
Offiziell genehmigte und rechtlich verordnungsfähige Off-Label-Anwendungen sind in den Arzneimittel-Richtlinien der Anlage VI Teil A aufgeführt. Dabei sind diejenigen Pharmafirmen mit aufgeführt, die den Off-Label-Gebrauch als bestimmungsgemäß anerkannt haben und damit die Produkthaftung übernehmen. /
Wirkstoff | Off-Label-Gebrauch |
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Amitriptylin | Juckreiz, Lach-Weinreflex, starker Speichelfluss, chronischer Husten |
Butylscopolamin | Rasselatmung (Wirkung auf Speichel-/Schleimneubildung) |
Dexamethason | Appetitsteigerung bei Kachexie, Leberkapselspannungsschmerz, Antriebssteigerung |
Diazepam | Husten, Übelkeit und Erbrechen |
Ibuprofen | Wirkung auf Lungenfunktion bei Mukoviszidose |
Ketamin | (neuropathische) Schmerzen |
Levomepromazin | Übelkeit und Erbrechen |
Mirtazapin | Schmerzen |
Risperidon | Verwirrtheit |
Literatur bei der Verfasserin
Anschrift der Verfasserin
Apothekerin Dr. Saba Al-Khadra Augsburger Hospiz- und Palliativversorgung e.V. Stadtberger Straße 21, 86157 Augsburg E-Mail: saba.al-khadra(at)gmx.de