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Bluthochdruck

Evolution hilft Krankheiten verstehen

23.06.2008  11:44 Uhr

Bluthochdruck

<typohead type="3">Evolution hilft Krankheiten verstehen

Von Gudrun Heyn, Berlin

 

Genetisch ist der Mensch heute noch auf der Stufe der Steinzeit, in der er mit Wasser- und Salzmangel zurechtkommen musste. An den heute herrschenden Überfluss hat sich der Körper bislang nicht angepasst. Eine häufige Folge: Bluthochdruck.

 

Rund ein Viertel aller Deutschen leidet unter Hypertonie. In der Altersgruppe der über 65-Jährigen ist sogar die Hälfte der Bundesbürger betroffen. Unbehandelt drohen Schlaganfall, Herzinsuffizienz oder Myokardinfarkt. Doch im Gegensatz zu malignen Tumoren oder Alzheimer-Demenz ist die Hypertonie eine Krankheit ohne Schrecken, da sie sich gut behandeln lässt. Obwohl sie eine komplexe Erkrankung ist, bei deren Entstehung Gene, Umweltfaktoren und Organversagen eine Rolle spielen, sind inzwischen wichtige Prozesse der Pathologie verstanden. So existieren hochwirksame Arzneimittel zur Blutdrucksenkung, und es sind auch einfache Maßnahmen bekannt, die erfolgreich dabei helfen können, einem hohen Bluthochdruck vorzubeugen.

 

»Bei fast keiner anderen Volkskrankheit ist die medizinische Prävention so erfolgreich wie bei der Hypertonie. Sie hat, auch mit Blick auf andere Volkskrankheiten, Modellcharakter«, sagte Professor Dr. Detlev Ganten, Kongresspräsident und Vorstandsvorsitzender der Charité Universitätsmedizin, vor Beginn des internationalen Kongresses Hypertonie 2008 in Berlin. So verhindert eine medikamentöse Therapie deutlich Folgekrankheiten wie Hirnschlag, Nieren- und Herzversagen. »Außerdem bremsen nicht medikamentöse Maßnahmen, wie gesunde Ernährung, ein normales Körpergewicht, Bewegung, wenig Alkohol und der Verzicht auf das Rauchen, die Entwicklung von Bluthochdruck und Organerkrankungen hochsignifikant«, so Ganten. Möglich gemacht haben diese Erfolge unter anderem Erkenntnisse aus der evolutionären Medizin. Auch für die Erforschung anderer Krankheiten hat der Bluthochdruck daher Modellcharakter. Er zeigt, wie eine komplexe Erkrankung mithilfe von Hypothesen zur Frühgeschichte der Menschheit besser verstanden werden kann.

 

Die evolutionäre Medizin liefert einfache Theorien, mit der sich auch sehr komplexe Systeme wie der Blutdruck entschlüsseln lassen. Betrachtet man allein die Regulation des Blutdrucks im Körper, gelingt dies nicht. An ihm sind praktisch alle Organe und alle 200 differenzierten Zellarten mehr oder weniger beteiligt und somit auch alle 30.000 Gene. Der genetische Aspekt spielt bei der Pathogenese eine bedeutende Rolle. So liegt bei etwa 90 Prozent aller Hypertoniker dem Bluthochdruck keine Krankheitsursache wie eine Nierenerkrankung, eine hormonelle Störung der Schilddrüse oder der Nebennieren zugrunde, sodass er vermutlich genetisch bedingt ist.

 

Der Blick zurück in die Vergangenheit hilft jedoch, den menschlichen Körper mit seinen genetisch gesteuerten Mechanismen und Prozessen besser zu verstehen. »Heute lebt der Menschen in einer völlig anderen Umgebung als seine Vorfahren«, sagte Ganten. Als er sich vor mehreren Millionen Jahren von den Affen getrennt hat, war er in den Savannen Afrikas zu Hause. Sein Körper musste mit Hitze und Wasserknappheit zurechtkommen. Mangel gab es aber auch beim Salz, das mit der Nahrung nur in geringen Mengen zur Verfügung stand. Täglich verdiente der frühe Mensch seinen Lebensunterhalt als Jäger und Sammler. Weil aber das Jagen mühsam war, hat sich der menschliche Körper vor allem auf die Aufnahme von Obst und Gemüse eingestellt. Auch heute noch wirken sich diese Lebensumstände darauf aus, wie der Körper seinen Wasser-, Salz- und Energiehaushalt steuert. Motorisch musste der Vorfahre von Büromenschen und Dienstleistern zudem täglich sehr viel aktiver sein und sich körperlich wesentlich mehr anstrengen. Einen besonderen Vorteil hatten daher Menschen, deren Blutdruck leicht erhöht war. »Er bewirkt eine bessere Durchblutung von Organen und kann sich in jungen Jahren durchaus positiv auf die Leistungsfähigkeit auswirken«, so Ganten.

 

Normalerweise passt sich jeder Organismus durch genetische Selektion an die langfristig herrschenden Bedingungen in seiner Umwelt an. Doch dies braucht Zeit und die Zeitspanne, in der sich Menschen etwa mit Autos, Bus und Bahn fortbewegen und ihren Lebensunterhalt überwiegend sitzend erarbeiten, ist aus Sicht der Evolution noch sehr kurz. Kaum möglich ist die natürliche Auslese zudem bei Erkrankungen, die in die zweite Lebenshälfte fallen und somit in die nicht-reproduktive Phase. »Hierzu gehört auch der hohe Blutdruck, denn das damit verbundene erhöhte Risiko von Herzversagen und Schlaganfall tritt in der Regel erst im höheren, postreproduktivem Lebensalter auf«, sagte Ganten. So kommt es, dass auch heute noch der menschliche Körper weitgehend auf die Lebensumstände und Mangelbedingungen der Steinzeit eingestellt ist.

 

Da mit der Nahrung damals kaum Wasser und Salze zur Verfügung standen, hat er Systeme entwickelt, die darauf ausgerichtet sind, Salze und Wasser zurückzuhalten. Eines der wichtigsten hierzu ist das Renin-Angiotensin-System. Doch das System, das jetzt noch so funktioniert als müsste ein Mangel an Salz und Wasser reguliert werden, ist nun mit einer völlig andersartigen Umgebung konfrontiert. Während unsere Vorfahren pro Tag mit maximal 6 Gramm Salz auskommen mussten, essen wir heute sogar bis zu 35 Gramm täglich. So kommt es, dass der heutige hohe Salzkonsum den Blutdruck in die Höhe treiben kann. Allerdings hat die Kenntnis des Renin-Angiotensin-Systems auch zur Entwicklung hochwirksamer Medikamente beigetragen, wie den ACE-Hemmern, den Sartanen und den Inhibitoren des Renins.

 

Fett erhöht den Blutdruck

 

Auch die heutige sehr viel fettreichere Ernährung ist für den genetisch auf Steinzeitniveau stehenden Menschen ungesund. So kann fettreiche Nahrung die Insulinempfindlichkeit schon bei gesunden normalgewichtigen Menschen reduzieren. Bei Personen mit solch einer Insulinresistenz kommt es zu einem Insulinüberschuss, was nicht nur die Entstehung von Diabetes mellitus Typ 2 fördert, sondern auch dazu führt, dass die Nieren weniger Salz und Wasser ausscheiden. Auf diese Weise fördert auch eine fettreiche Ernährung einen erhöhten Blutdruck. Reichert sich in der Folge zu viel Fettgewebe im Bauchraum an, kann dies zusätzlich das Herz-Kreislauf-System weiter belasten. So schädigen Entzündungsfaktoren, die das Fettgewebe produziert, auch Blutgefäße.

 

Große Unterschiede gibt es zudem in der täglichen motorischen Aktivität und körperlichen Anstrengung zwischen modernen und frühen Menschen. Da sportliche Aktivität zahlreiche Gentranskriptionsprozesse reguliert, die für verschiedene metabolische Prozesse entscheidend sind, beeinflusst auch dies den Blutdruck. Zudem führt die mangelnde Verbrennung von Nährstoffen zu erhöhtem Blutzucker und Übergewicht.

 

»Durch die klassische pharmakologische Therapie einer Hypertonie und durch die Einhaltung von Präventionsmaßnahmen, können daher eine Reihe anderer Erkrankungen gleich mitbehandelt werden«, sagte Ganten. So verhindern eine natürliche Ernährung mit viel Obst und Gemüse sowie mit kalorienarmen Getränken heute Zivilisationskrankheiten. Jedes Kilogramm, das abgenommen wird, senkt den systolischen Blutdruck um etwa 2,5 mmHg und den diastolischen Blutdruck um etwa 1,5 mmHg und damit die Gefahr von Folgeerkrankungen wie Demenzen oder Nierenversagen. Parallel reduziert sich das Diabetesrisiko erheblich. Auch leistungsangepasster Sport beeinflusst das Diabetesrisiko positiv und ist zugleich die beste Therapie gegen Depressionen. Durch Nichtrauchen werden Gefäßschäden vermieden, durch Alkoholverzicht das Risiko von Leberschäden reduziert. Gleichzeitig sind diese Maßnahmen die beste Krebsprophylaxe, so Ganten.

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