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Depressionen

»Manchmal macht es mich sauer«

15.06.2016  09:12 Uhr

Von Christina Müller, Berlin / Einem Außenstehenden in 78 Minuten zu vermitteln, wie sich eine Depression anfühlt, klingt nach einer fast unlösbaren Aufgabe. Genau dieser Herausforderung stellt sich jetzt der Dokumentarfilm »Die Mitte der Nacht ist der Anfang vom Tag«, der vergangenen Mittwoch in Berlin seine Premiere feierte. Das Werk lässt den Zuschauer nicht ohne Hoffnung zurück – und um eine Perspektive reicher.

Musik ist ihre letzte Zuflucht. Doch wenn die Depression zu stark wird, können auch ihre Lieblingslieder nichts mehr ausrichten. Dann dringt nichts mehr von außen zu ihr durch. »Das ist ein Gefühl, als wäre ich in einem dunklen Keller eingesperrt«, beschreibt eine Betroffene im Film den Zustand, wenn ein Krankheitsschub sie überkommt. Sie lächelt abwesend und streichelt mit der rechten Hand behutsam über den mattschwarzen Bass, der auf ihrem Schoß liegt. Dann beginnt sie zaghaft, darauf zu spielen.

Ein Jahr lang hat das Team um Regisseurin Michaela Kirst und Axel Schmidt, Initiator des Projekts und Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, zwei betroffene Frauen und eine erkrankte Familie begleitet und gefilmt. Das Ergebnis nimmt den Zuschauer mit in ihre Welt. Ohne Schnörkel und mit Mut zur Atempause zeigt der Film das Leben von Menschen mit Depressionen – mit all seinen Höhen und Tiefen.

 

Dabei will das Werk mehr, als nur informieren: Kein Professor im Kittel erläutert die biochemischen Prozesse im Gehirn, die bei der Erkrankung ablaufen. Kein Sprecher aus dem Off berichtet, wie viele Menschen weltweit an Depressionen leiden. Selbst die Hintergrundmusik ist nur punktuell eingestreut. »Wir wollten ausschließlich die Betroffenen und ihr direktes Umfeld zu Wort kommen lassen«, erklärte Schmidt anlässlich der Premiere in Berlin. »Depression ist etwas, das man von außen nicht sehen kann. Wir haben den Dokumentarfilm als Medium gewählt, um die Krankheit aus dem Blickwinkel der Betroffenen zeigen zu können.«

 

Zu den Betroffenen zählt auch eine Familie, die gemeinsam beschlossen hat, ihr Schweigen zu brechen. Mutter, Vater, Kind – alle drei leiden an Depressionen. Die Tochter will bald von zu Hause ausziehen, hinein in eine Wohngemeinschaft mit ihren Freundinnen. Einerseits freut sie sich darauf. Andererseits befürchtet sie, dass diese große Veränderung einen Schub auslösen wird. Auch die Trennung von den Eltern könnte zum Problem werden. Die Erkrankungen ihrer Mutter und ihres Vaters haben ihren eigenen Zustand zeitweise stabilisiert. »Mir ging es immer so lange gut, wie es einem anderen Familienmitglied schlecht ging. Denn dann musste ich ja stark sein.«

 

Mit neun Jahren, erinnert sie sich, hat sie zum ersten Mal gesehen, wie ihre Mutter auf dem Sofa saß und hemmungslos geweint hat. »Ich wusste überhaupt nicht, wie ich damit umgehen sollte.« Kurze Zeit später diagnostizierten Ärzte die Erkrankung auch bei ihr. »Manchmal macht es mich sauer, dass ich mit 19 Jahren schon so viele Erfahrungen mit Depressionen machen musste«, sagt sie unter Tränen. »Ich würde liebend gern ohne die Krankheit leben. Sie ist eine große Belastung – im Beruf, in Beziehungen, in Freundschaften, im Alltag.«

Dass die Betroffenen nach wie vor auch mit vielen Vorurteilen konfrontiert sind, weiß AOK-Chef Martin Litsch. Der AOK-Bundesverband unterstützte die Filmemacher finanziell und plant, den Streifen in eine umfassende Kampagne einzubetten. »Das Thema liegt uns sehr am Herzen«, betonte Litsch. »Filme wie ›Einer flog übers Kuckucksnest‹ oder ›Rain Man‹ haben es geschafft, psychiatrische Erkrankungen und Autismus in das Bewusstsein der Menschen zu rücken. Jetzt wollen wir auch Depressionen enttabuisieren.« Der Dokumentarfilm leiste einen wertvollen Beitrag zu einem offeneren Umgang mit der Krankheit. Litschs Hoffnung teilt auch der Psychiater Professor Ulrich Hegerl, Vorstandsvorsitzender der Stiftung Deutsche Depressionshilfe. Aus seiner Sicht könnte deutlich mehr Menschen geholfen werden, wenn nicht nur die Erkrankung, sondern auch die Therapie in der Öffentlichkeit in ein besseres Licht gerückt würde. »Die negative Haltung gegenüber Psychopharmaka in Deutschland stellt uns bei der Behandlung der Patienten vor große Probleme«, sagte er. Viele Betroffene hätten die unbegründete Angst, von den Medikamenten abhängig zu werden. »Das führt zu Therapieverweigerung, Fehl- und Unterversorgung und letztlich zu vielen unnötigen Suiziden.«

 

Wie positiv das individuell geeignete Psychopharmakon das Leben der Menschen mit Depression beeinflussen kann, macht der Film am Beispiel des Familienvaters deutlich. Das erste Mittel, das er verschrieben bekam, habe ihm nicht geholfen, erzählt er. »Aber dann hat mein Arzt die Therapie umgestellt. Jetzt habe ich endlich die Lust am Kochen wiedergefunden – vor der medikamentösen Neueinstellung hatte ich dafür einfach keine Energie.« Bis an sein Lebensende wolle er die Tabletten dennoch nicht nehmen.

 

Neben der Pharmakotherapie geben ihm auch die Treffen mit seiner Männergruppe viel Kraft, sagt er. Gelegentlich fahren er und seine drei Leidensgenossen gemeinsam in den Wald zum Trommeln. Danach fühle er sich befreit. Zwar ließe sich die Depression nicht heilen, aber die Kombination aus medikamentöser Behandlung und den Sitzungen mit der Selbsthilfegruppe hätten seine Haltung zu der Erkrankung verändert. »Der kanadische Musiker Leonard Cohen hat in einem seiner Songs das Zitat geprägt: ›There’s a crack in everything, that’s how the light gets in‹ – In allem ist ein Riss, so kommt das Licht herein«, übersetzt er und lächelt. Er müsse nur aufpassen, dass aus dem Riss kein breiter Spalt werde. /

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