Perspektiven der Pharmakogenomik |
12.06.2012 17:33 Uhr |
Unter Wissenschaftlern gilt die Pharmakogenomik als vielverprechende Forschungsdisziplin. Wie sehen ihre Chancen und Perpektiven in der Zukunft aus?
Zahlreiche therapeutische Beispiele für eine individuelle Dosisanpassung auf der Basis der genetischen Ausstattung des Patienten seien heute schon bekannt, sagte Professor Dr. Matthias Schwab vom Dr. Margarete Fischer-Bosch-Institut für Klinische Pharmakologie in Stuttgart. Zukünftig werde sie unentbehrlich.
Die Pharmakogenomik zielt darauf, Patientengruppen zu definieren, die von einer bestimmten Therapie profitieren, ohne unerwünschte Arzneimittelwirkungen erwarten zu müssen. Dass der Genotyp zur Vorhersage des Phänotyps, in diesem Fall einer Arzneimittelwirkung, herangezogen werde, sei in vielen Fällen bereits Realität, so Schwab. So habe die US-amerikanische Arzneimittelbehörde FDA 70 zugelassene Arzneimittel, deren Fachinformationen bereits pharmakogenomische Informationen enthalten, auf einer Webseite zusammengestellt (www.fda.gov/Drugs/ScienceResearch/ResearchAreas/Pharmakogenetics). Diese könnten darüber aufklären, ob vor der Therapie ein genetischer Test erforderlich sei, empfohlen werde oder ob er eine zusätzliche Information für einen Patienten mit einem erhöhten Risiko darstelle. Beispielhaft erläuterte der Facharzt für Klinische Pharmakologie die Problematik beim selektiven Estrogenrezeptormodulator Tamoxifen. Der Wirkstoff muss über das Enzym CYP2D6 zu dem wirksamen Metaboliten Endoxifen aktiviert werden. Durchschnittlich 10 Prozent aller Patientinnen bilden dieses Enzym jedoch nicht. Diese sogenannten Poor Metabolizer können daher Tamoxifen nicht in ausreichendem Maße zu Endoxifen umwandeln.
Die Pharmakogenomik zielt darauf, Patientengruppen zu definieren, die von einer bestimmten Therapie profitieren, ohne unerwünschte Arzneimittelwirkungen erwarten zu müssen
Foto: Fotolia/Pona
Eine Studie habe außerdem gezeigt, dass bei 25 bis 30 Prozent dieser Frauen nach neunjähriger Behandlung mit Tamoxifen erneut Brustkrebs auftrat, erläuterte Schwab. In der Gruppe der Frauen, die das Enzym normal exprimieren, waren hiervon nur circa 10 Prozent betroffen. Da diese Ergebnisse jedoch nicht in allen klinischen Studien reproduziert werden konnten, wird in Therapieleitlinien bislang keine routinemäßige CYP2D6-Genotypisierung zur Beurteilung der Wirksamkeit einer Tamoxifen-Therapie empfohlen. So fanden zwei im März 2012 veröffentlichte US-amerikanische Studien keinen Zusammenhang zwischen dem CYP2D6-Genotyp und dem Wiederauftreten der Krebserkrankung. Die Bedeutung der Ergebnisse sei jedoch fragwürdig, bemerkte Schwab, da seiner Ansicht nach Fehler im Studiendesign dieses Ergebnis bedingt haben könnten.
Bei der Beurteilung der Fortschritte der individualisierten Medizin dürften auch andere Spezialgebiete nicht außer Acht gelassen werden, erklärte Schab weiter. Wichtig für die Forschung sei besonders das Gebiet der Epigenomik. Diese Sparte befasst sich mit phänotypischen Ausprägungen von Merkmalen, die nicht durch den Genotyp bestimmt sind. Wird die DNA an bestimmten Stellen durch Methylierung modifiziert, werden diese Gene nicht mehr abgelesen So exprimieren Zellen bestimmte Gene gewebsspezifisch, beispielsweise in der Leber. Auch das Metabolom, das alle Stoffwechselaktivitäten samt Enzymen und Metaboliten einer Zelle zusammenfasst, müsse zukünftig mehr im Fokus stehen, forderte Schwab. .
Ein wichtiges Ziel der Pharmakogenomik sei es, genetische und nicht-genetische Faktoren zusammenzuführen. Hierbei dürften nicht nur einzelne Gene betrachtet werden, vielmehr müsse auch das gesamte Genom mit seinem Einfluss auf die jeweilige Erkrankung verstanden werden, betonte Schwab. Auf dem wissenschaftlichen Gebiet sei bereits viel erreicht worden, nun gelte es, dieses Wissen zu erweitern und zukünftig in der klinischen Praxis umzusetzen.