Arzneimittel in der Pipeline |
12.06.2007 14:52 Uhr |
<typohead type="3">Arzneimittel in der Pipeline
Von echten Innovationen bis zum Life-Style-Medikament reichte die Palette der Arzneistoffe, die Professor Dr. Manfred Schubert-Zsilavecz, Frankfurt am Main, vorstellte. In der Regel liegen für die noch nicht zugelassenen Stoffe keine Langzeitstudien mit harten Endpunkten vor.
Nach etwa 20-jähriger Forschung an Renin-Inhibitoren (»Kirene«) steht mit Aliskiren erstmals ein Kandidat vor der Marktreife. Der Wirkstoff greift am Anfang der Renin-Angiotensin-Aldosteron-Kaskade ein, indem er das Enzym Renin hemmt, das die Umwandlung von Angiotensinogen in Angiotensin I katalysiert. Dies ist der geschwindigkeitsbestimmende Schritt in der Biosynthese von Angiotensin II, das den Blutdruck erhöht. Aliskiren wird unabhängig von CYP-Enzymen verstoffwechselt. Inzwischen liegen klinische Studien mit mehr als 8000 Patienten vor, berichtete Schubert-Zsilavecz. Das Medikament senkte bei einmal täglicher Einnahme den Blutdruck dosisabhängig und war sehr gut verträglich. »Ein interessanter neuer Wirkstoff mit neuartigem Wirkprinzip«, so das Fazit des Referenten.
Fingolimod soll bei Patienten mit schubförmig-remittierender Multipler Sklerose die Zerstörung des Nervengewebes in Gehirn und Rückenmark aufhalten und die Schubrate reduzieren. Der Wirkstoff ist ein Vertreter einer neuen Klasse von Immunsuppressiva, den Sphingosin-1-phosphat-(S1P)-Rezeptor-Modulatoren. Im Körper wird das peroral bioverfügbare Prodrug zur Wirkform phosphoryliert. Diese bindet an S1P-Rezeptoren auf T-Lymphozyten und verhindert deren Auswanderung aus den Lymphknoten. In der Folge sinkt die Zahl autoreaktiver T-Zellen im Blut. Inflammatorische T-Zellen gelten als mögliche Auslöser für die Zerstörung der neuronalen Myelinscheiden und damit für die beeinträchtigte neuronale Signalübertragung bei MS. Ein interessantes Wirkprinzip, urteilte Schubert-Zsilavecz. Da jedoch negativ chronotrope und atemwegskontrahierende Effekte sowie die Gefahr einer Makuladegeneration beobachtet wurden, werde es sehr auf die Nutzen-Risiko-Abschätzung ankommen.
Hoffnung für Diabetiker bringt Ruboxistaurin. Der Hemmstoff der Proteinkinase Cβ soll diabetische Spätschäden aufhalten. Hintergrund ist die Beobachtung, dass eine Hyperglykämie über mehrere Mechanismen einige Proteinkinase-C-Isoformen aktiviert. In der Folge werden vermehrt Wachstumsfaktoren wie VEGF und TGFβ gebildet, die die Entstehung von Mikro- und Makroangiopathien fördern. In Studien verlangsamte peroral gegebenes Ruboxistaurin (32 mg/d) den Sehverlust bei Patienten mit diabetischer Retinopathie und drosselte die Albuminurie bei Nephropathie. »Die Erwartungen waren höher gesteckt, aber Ruboxistaurin wird dennoch vermutlich auf den Markt kommen.«
Als »Hoffnungsschimmer für Menschen mit Morbus Parkinson« stellte Schubert-Zsilavecz das Xanthinderivat Istradefyllin vor. Dieses wirkt antagonistisch an präsynaptischen Adenosin-A2A-Rezeptoren im Striatum und senkt in der Folge die Freisetzung der Neurotransmitter GABA und Acetylcholin. Dies wirkt Akinesien und Dyskinesien entgegen, unter denen Parkinson-Patienten nach mehrjähriger Behandlungsdauer mit Levodopa leiden. In Studien verlängerte Istradefyllin die »On-Zeiten«, in denen sich der Patient ohne Dyskinesien normal bewegen kann, statistisch signifikant, während die »Off-Phasen« zurückgingen.
Osteoklasten und Osteoblasten wirken eng zusammen. So tragen die aufbauenden Osteoblasten unter anderem das Protein RANK-Ligand. Dieses bindet an RANK (receptor activator of nuclear factor κB) auf Osteoklasten-Vorstufen und aktiviert damit die Differenzierung der knochenabbauenden Osteoklasten. Diesen Prozess stört der humane monoklonale Antikörper Denosumab, der hoch spezifisch an RANK-Ligand bindet. Er wird alle drei bis sechs Monate subcutan gespritzt. In einer zwölfmonatigen Studie stieg die Knochendichte vergleichbar gut wie unter Alendronat, es gibt aber noch keine Daten zum Frakturrisiko. Zudem wurden sechs Fälle von Neoplasien beobachtet. »Hier sind dringend Sicherheitsdaten notwendig«, fasste Schubert-Zsilavecz zusammen.
Bei der FDA liegen bereits die Zulassungsdossiers für Maraviroc vor, ein neuer Wirkstoff für HIV-Patienten. Der Wirkstoff gehört zu den Entry-Inhibitoren, die das Eindringen des HI-Virus in die Wirtszelle verhindern sollen. Maraviroc bindet an CCR5-Corezeptoren, die die sogenannten R5-Viren (neben dem Hauptrezeptor CD4) für den Eintritt in die Wirtszelle benutzen. Unter ein- bis zweimal täglicher Gabe von 300 mg Maraviroc sank die Viruslast deutlich. Unklar ist aber, ob sich die Viren unter der Therapie vom R5- zum X4-Typ verändern können, der einen anderen Corezeptor benutzt. Zudem waren andere CCR5-Inhibitoren in früheren Studien lebertoxisch.
Sex sells: Den Ejakulationsverzögerer Dapoxetin, der ein »missglücktes Antidepressivum« sei, stufte der Referent als Lifestyle-Arzneimittel ein. Ein Indiz dafür sei auch die mögliche Kombination mit PDE-5-Hemmern wie Sildenafil. Nicht so eindeutig sei die Wertung bei Flibanserin, das ebenfalls als Antidepressivum vorgesehen war und jetzt als Libido-Enhancer für Frauen mit iatrogen induzierter Menopause entwickelt wird.