Pharmazeutische Zeitung online

Test soll Antibiotikatherapie optimieren

13.06.2006  14:05 Uhr

Procalcitonin

<typohead type="3">Test soll Antibiotikatherapie optimieren

von Conny Becker, Berlin

 

Resistenzen gegen Antibiotika nehmen auf Grund eines häufig zu unkritischen Einsatzes immer weiter zu. Bei der Entscheidung, wann eine Gabe sinnvoll ist, kann der so genannte Procalcitonintest helfen. In Studien konnte er sowohl die Menge als auch die Dauer der Antibiotikagaben halbieren.

 

Etwa 75 Prozent aller Antibiotika werden bei akuten Atemwegsinfekten verschrieben, obwohl diese in Dreiviertel der Fälle auf virale Erreger zurückgehen. »Erst bei einer Pneumonie kann man mit etwa gleich hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass sie bakteriell bedingt ist, doch schon bei einer Bronchitis verordnet schätzungsweise jeder zweite Arzt ein Antibiotikum«, sagte Professor Dr. Beat Müller, Basel, auf einem von der Firma Brahms ausgerichteten Pressegespräch in Berlin. Mediziner wollten damit häufig »sichergehen« oder aber die Erwartungen des Patienten erfüllen.

 

Um eine bakterielle Ursache zu bestätigen, wird im Blut des Patienten in der Regel auf den Entzündungsmarker C-reaktives Protein (CRP) getestet. Daneben kann aber auch ein Test auf das Hormon Procalcitonin (PCT) helfen, eine bakterielle von einer viralen Infektion abzugrenzen. Denn Bakterien bilden Toxine, die den Körper dazu anregen, Procalcitonin in deutlich höherer Menge zu produzieren als dies bei viralen Infektionen der Fall ist, erläuterte der schweizerische Mediziner. So sei der PCT-Wert verglichen mit Gesunden bei viralen Erkrankungen um den Faktor 10 bis 100, bei bakteriellen Infektionen um den Faktor 1000 bis 100.000 erhöht. In einer Metaanalyse von 2004 schnitt PCT als Marker im Vergleich mit dem gebräuchlichen CRP besser ab: Sowohl hinsichtlich der Sensibilität als auch der Spezifität ließen Procalcitonin-Spiegel zuverlässigere Aussagen über eine bakterielle Infektion zu als die CRP-Konzentrationen (88 versus 75 Prozent beziehungsweise 81 versus 67 Prozent).

 

»Jede Infektion ist viel zu komplex, um alleine mit einem Biomarker abgebildet zu werden«, schränkte der Internist ein. Auch PCT sei »nicht perfekt« und falsch positive und negative Werte kämen bei rund 10 Prozent der Getesteten vor. So seien die Spiegel etwa bei einer Malaria oder einer OP erhöht. Allerdings steige die Wahrscheinlichkeit für eine bakterielle Ursache einer Erkrankung proportional zu den PCT-Werten, weshalb sein Team von der Universität Basel auch Grenzwertbereiche testete, mit deren Hilfe der Antibiotika-Gebrauch gesteuert werden sollte.

 

Antibiotikagabe halbiert

 

In der so genannten ProResp-Studie behandelten Mediziner der Uniklinik Basel 243 Patienten mit akuten Infekten der unteren Atemwege randomisiert entweder nach herkömmlichen klinischen und laborchemischen Kriterien oder zusätzlich anhand des PCT-Wertes. In der Procalcitoningruppe diente der gemessene Hormonspiegel als hauptsächlicher Entscheidungsgrund für einen Antibiotikaeinsatz. Werte unterhalb von 0,1 µg/l galten als klarer Ausschluss für eine bakteriell bedingte Erkrankung, bis zu einem Wert von 0,25 µg/l wurde von einer Antibiotikagabe abgeraten, ab dieser Grenze konnte ein Antibiotikum gegeben werden, was wiederum ab einer Konzentration von 0,5 µg/l deutlich empfohlen wurde.

Resistenz als wachsende Gefahr

»Pneumokokken mit Resistenzen oder Minderempfindlichkeit sind ein globales Problem«, sagte Professor Dr. Winfried V. Kern. Während Deutschland mit 7 bis 8 Prozent Penicillinresistenz noch im unteren Drittel liegt, ist in Taiwan, aber auch Spanien bereits die Hälfte der Keime resistent. In beiden Ländern werden aber auch etwa doppelt so viel Antibiotika verwendet wie hier zu Lande, informierte der Freiburger Mediziner. Die Korrelation zwischen Verbrauch und Resistenz sei klar zu erkennen.

 

Problematisch ist, dass auch die Reservemittel betroffen sind. »Die Penicillinresistenz kann nicht mehr über den Makrolideinsatz kompensiert werden«, sagte Kern. So lagt die Resistenzrate von Erythromycin nach einer Untersuchung der Paul-Ehrlich-Gesellschaft von 2004 bereits bei 20 Prozent, gegen Doxycyclin waren etwa 10 Prozent der Pneumokokken resistent. Als weiterer Problemkeim gilt Escherichia coli, der Haupterreger von Harnwegsinfektionen. Hier liege die Ampicillinresistenz bei etwa 50 Prozent, weshalb es nicht mehr eingesetzt werden sollte. Allerdings sind auch die Resistenzraten für Doxycyclin und Cotrimoxazol in 2004 bereits auf mehr als 30 Prozent gestiegen und selbst gegen Ciprofloxacin weisen rund 22 Prozent der Kolibakterien Resistenzen auf. »Auch hier ist die Versagerquote grenzwertig«, sagte Kern, demzufolge die Resistenzrate unterhalb von 20 Prozent liegen muss, damit die Therapie noch kosteneffektiv ist.

Während in der Standardgruppe 83 Prozent der Mediziner ein Antibiotikum verschrieben, setzten dies nur 44 Prozent der Ärzte in der PCT-Gruppe ein. Dabei erhielten Patienten mit ambulant erworbener Pneumonie in beiden Studienarmen in etwa gleich häufig ein Antibiotikum. Lag jedoch eine akute Exazerbation einer chronischen Bronchitis vor, war die Antibiotikagabe signifikant gesenkt. Der Therapieerfolg, der zwei Wochen nach  Aufnahme in die Notfallstation anhand von Laborwerten, einer klinischen Untersuchung sowie eines Patientenfragebogens erhoben wurde, war in beiden Gruppen gleich. Diese im Fachmagazin The Lancet veröffentlichten und mit dem Pfizerforschungspreis ausgezeichneten Ergebnisse konnte das schweizerische Team in einer weiteren Studie mit 226 Patienten bestätigen. Hier zeigten sie überdies, dass trotz massiven Einsparens von Antibiotika (40 gegenüber 72 Prozent) Patienten beider Gruppen das gleiche Risiko trugen, innerhalb des folgenden halben Jahres erneut ins Krankenhaus zu müssen.

 

Behandlungszeit halbiert

 

Um auf einem weiteren Weg Antibiotika einsparen zu können, nahmen die Schweizer jüngst auch die Dauer der Antibiotikatherapie unter die Lupe. Aktuelle Leitlinien empfehlen eine Gabe über 7 bis 21 Tage, zuverlässige Daten für die Begründung der Dauer fehlten in der Literatur allerdings, sagte Müller. Pneumokokken wären bereits nach wenigen Tagen abgetötet, ab diesem Zeitpunkt erhöhe die weitere Gabe nur die Gefahr, resistente Kolibakterien zu erzeugen und in die Umgebung zu verteilen. Gemäß dieser Hypothese lief in Basel eine weitere, die ProCAP-Studie, in der 302 Patienten mit Lungenentzündung randomisiert behandelt wurden. Während die Antibiotikatherapie sich in der Standardgruppe nach evidenzbasierten Leitlinien richtete, waren in der PCT-Gruppe die Procalcitoninwerte ausschlaggebend für Beginn und Dauer der Behandlung. Der Grenzwert lag erneut bei 0,25 µg/l, gemessen wurde zu Beginn sowie an den Tagen 4, 6 und 8.

 

Verglichen mit durchschnittlich 13 Tagen Antibiotikatherapie in der Kontrollgruppe, erhielten Patienten der PCT-Gruppe im Mittel nur 6 Tage lang ein Antibiotikum. Dabei waren sechs Wochen nach Therapiebeginn gleich viele Komplikationen aufgetreten oder Patienten gestorben, so Müller. Die Studie habe zudem gezeigt, dass im Standard-Arm im Durchschnitt immer gleich lang therapiert wurde, unabhängig davon, ob die Blutkultur positiv oder negativ war oder ob ein niedriger oder hoher Schweregrad der Pneumonie vorlag. In der Procalcitoningruppe dagegen korrelierte die Dauer sowohl mit den positiven Blutkulturen als auch mit dem Schweregrad der Erkrankung. »Die Mediziner taten das, was die Richtlinien schon lange vorschlagen«, kommentierte Müller.

 

Um die Resistenzbildung jedoch in der Breite zu beeinflussen gelte es, den Antibiotikagebrauch der Hausärzte zu senken. Denn 86 Prozent aller in Deutschland verschriebenen Antibiotika werden im ambulanten Bereich verordnet. Daher schloss sich an die drei Proof-of-concept-Studien eine noch nicht veröffentlichte Studie an, die an 460 Patienten die Nicht-Unterlegenheit der PCT-basierten Therapie gegenüber der Standardtherapie beweisen sollte. »Die Mediziner hatten anfangs große Angst, dass eine gezielte Antibiotikagabe gefährlich ist, aber wir hatten das gleiche Outcome«, fasste Müller zusammen. Die Patienten fühlten sich nach zwei Wochen gleich gut betreut. Dabei wurde der Gebrauch von Antibiotika um fast 80 Prozent gesenkt, seine Dauer betrug im Mittel zwei Tage gegenüber sieben in der Kontrollgruppe. Parallel dazu war die Zahl typischer Nebenwirkungen wie Erbrechen, Diarrhö oder Exanthem reduziert.

Die experimentelle KI
von PZ und PTA-Forum
Die experimentelle KI
von PZ und PTA-Forum
Die experimentelle KI
von PZ und PTA-Forum
 
FAQ
SENDEN
Wie kann man die CAR-T-Zelltherapie einfach erklären?
Warum gibt es keinen Impfstoff gegen HIV?
Was hat der BGH im Fall von AvP entschieden?
GESAMTER ZEITRAUM
3 JAHRE
1 JAHR
SENDEN
IHRE FRAGE WIRD BEARBEITET ...
UNSERE ANTWORT
QUELLEN
22.01.2023 – Fehlende Evidenz?
LAV Niedersachsen sieht Verbesserungsbedarf
» ... Frag die KI ist ein experimentelles Angebot der Pharmazeutischen Zeitung. Es nutzt Künstliche Intelligenz, um Fragen zu Themen der Branche zu beantworten. Die Antworten basieren auf dem Artikelarchiv der Pharmazeutischen Zeitung und des PTA-Forums. Die durch die KI generierten Antworten sind mit Links zu den Originalartikeln. ... «
Ihr Feedback
War diese Antwort für Sie hilfreich?
 
 
FEEDBACK SENDEN
FAQ
Was ist »Frag die KI«?
»Frag die KI« ist ein experimentelles Angebot der Pharmazeutischen Zeitung. Es nutzt Künstliche Intelligenz, um Fragen zu Themen der Branche zu beantworten. Die Antworten basieren auf dem Artikelarchiv der Pharmazeutischen Zeitung und des PTA-Forums. Die durch die KI generierten Antworten sind mit Links zu den Originalartikeln der Pharmazeutischen Zeitung und des PTA-Forums versehen, in denen mehr Informationen zu finden sind. Die Redaktion der Pharmazeutischen Zeitung verfolgt in ihren Artikeln das Ziel, kompetent, seriös, umfassend und zeitnah über berufspolitische und gesundheitspolitische Entwicklungen, relevante Entwicklungen in der pharmazeutischen Forschung sowie den aktuellen Stand der pharmazeutischen Praxis zu informieren.
Was sollte ich bei den Fragen beachten?
Damit die KI die besten und hilfreichsten Antworten geben kann, sollten verschiedene Tipps beachtet werden. Die Frage sollte möglichst präzise gestellt werden. Denn je genauer die Frage formuliert ist, desto zielgerichteter kann die KI antworten. Vollständige Sätze erhöhen die Wahrscheinlichkeit einer guten Antwort.
Wie nutze ich den Zeitfilter?
Damit die KI sich bei ihrer Antwort auf aktuelle Beiträge beschränkt, kann die Suche zeitlich eingegrenzt werden. Artikel, die älter als sieben Jahre sind, werden derzeit nicht berücksichtigt.
Sind die Ergebnisse der KI-Fragen durchweg korrekt?
Die KI kann nicht auf jede Frage eine Antwort liefern. Wenn die Frage ein Thema betrifft, zu dem wir keine Artikel veröffentlicht haben, wird die KI dies in ihrer Antwort entsprechend mitteilen. Es besteht zudem eine Wahrscheinlichkeit, dass die Antwort unvollständig, veraltet oder falsch sein kann. Die Redaktion der Pharmazeutischen Zeitung übernimmt keine Verantwortung für die Richtigkeit der KI-Antworten.
Werden meine Daten gespeichert oder verarbeitet?
Wir nutzen gestellte Fragen und Feedback ausschließlich zur Generierung einer Antwort innerhalb unserer Anwendung und zur Verbesserung der Qualität zukünftiger Ergebnisse. Dabei werden keine zusätzlichen personenbezogenen Daten erfasst oder gespeichert.

Mehr von Avoxa