Für den Notfall gut vorbereitet |
12.06.2006 11:42 Uhr |
<typohead type="3">Für den Notfall gut vorbereitet
von Gudrun Heyn, Berlin
Die Weltmeisterschaft ist ein Großereignis nicht nur der sportlichen Art. Auch den Sanitätsdiensten verlangt sie enorme Leistungen ab. Tausende von Helfern haben sich monatelang vorbereitet, um im Not- und Katastrophenfall die Millionen Zuschauer aus aller Welt versorgen zu können.
Für das Deutsche Rote Kreuz (DRK) ist die Fußball-WM 2006 der größte geplante Sanitätseinsatz seiner Geschichte. »Insgesamt 35.000 Rotkreuzhelfer werden in den vier Wochen der Fußball-Weltmeisterschaft im Einsatz sein«, sagte der Leiter des DRK-Führungs- und -Lagezentrums, Joachim Müller auf einer Pressekonferenz in Berlin. Die logistische Herausforderung ist groß, denn in zahlreichen Städten müssen zeitgleich viele Großveranstaltungen betreut werden. So feiern die Fans nicht nur im Stadion, sondern auch auf Fan-Meilen und bei Rahmenveranstaltungen. Aber auch der Normalbetrieb des öffentlichen Rettungsdienstes geht weiter und erfordert auf Grund des deutlich höheren Verkehrsaufkommens mehr Personal.
Im Auftrag des WM-Organisationskomitees der FIFA ist das Deutsche Rote Kreuz als Generalunternehmer in den Stadien verantwortlich für die notfallmedizinische Betreuung. So werden allein in den Fußballarenen 6000 Männer und Frauen des DRK ihren Dienst tun und Fußballstars, Gäste und Zuschauer im Notfall versorgen. Vom Einlass bis weit nach dem Schlusspfiff übernehmen die Helfer die Erstbetreuung von Hilfsbedürftigen und Verletzten, machen sie transportfähig und sorgen für ihren Weitertransport zu Behandlungsstellen und Kliniken. Aber nicht nur bei den 64 WM-Spielen, auch während der vorbereitenden Trainingsspiele der Nationalmannschaften sind die Helfer im Einsatz.
Dabei kann das DRK auf einen großen Erfahrungsschatz zurückgreifen, denn in einigen Fußballstadien wird der Sanitätsdienst schon seit über 30 Jahren von den Helfern in den roten Jacken durchgeführt. So ist es beispielsweise für die Einsatzleitung im Berliner Olympiastadion kein Problem, die Sicherheitsvorgaben der FIFA zu erfüllen, wie Hardy Häusler vom DRK erklärt. Innerhalb von vier Minuten sollen die Helfer in den Stadien jeden beliebigen Einsatzort erreichen können, egal ob Spielfeld, Zuschauertribüne oder VIP-Bereich. »In Berlin sind wir normalerweise schneller«, sagt Häusler. Im Stadion patrouillieren gut sichtbar mobile Streifen, und in jedem Block sind an den Treppenaufgängen Unfallhilfsstellen eingerichtet. Daher muss ein Sanitäter nur mit Rucksack und Defibrillator die Treppen hinuntergehen, wenn ein Zuschauer Hilfe braucht. Zumeist werden im Berliner Olympiastadion umgeknickte Füße versorgt, da die Treppenstufen recht hoch und schmal sind, aber auch Menschen mit Herzstillstand kann so schnellstens geholfen werden.
Gut vorbereitet sind die roten Helfer auch auf die 1,5 Millionen ausländischen Besucher, die in den Fußballarenen erwartet werden. Für medizinische Fachbegriffe gibt es eine Übersetzungshilfe in Englisch, Französisch, Spanisch und Russisch. Reicht dies nicht aus, können die fremdsprachenerfahrenen Spezialisten des DRK-Suchdienstes per Funk als Dolmetscher zugeschaltet werden. Im Katastrophenfall werden die Mitarbeiter der Auskunftsstellen für Personenanfragen aus aller Welt dann auch wieder ihrer normalen Arbeit nachgehen und helfen, vermisste Personen zu finden.
Während bei einem normalen Pokalendspiel, etwa im Berliner Olympiastadion, in der Regel nur drei Notärzte im Einsatz sind, sind es bei der WM gleich bis zu zwölf. Auch die Zahl der übrigen Rettungskräfte in den Stadien, die vom DRK, Malteser Hilfswerk, Arbeiter Samariter Bund und anderen Hilfsorganisationen gestellt werden, ist mit bis zu 145 Personen am Einsatzort auf High-Risk-Spiele eingestellt.
An allen Austragungsorten sind außerdem Polizei, Feuerwehr und Rettungsdienste auf eine Katastrophe vorbereitet, die es bisher bei einem Fußballspiel in der Bundesrepublik noch nie gegeben hat und die auch insgesamt sehr selten sind. Die bisher größten Katastrophen bei Fußballveranstaltungen ereigneten sich 1989 in Großbritannien mit 95 Toten und 200 Verletzten sowie 1996 in Guatemala City mit 80 Toten und 180 Verletzten. Nach den Vorgaben des Nationalen Sicherheitskonzepts von Bund und Ländern müssen bei einem Großschadensfall 2 Prozent der Stadionbesucher medizinisch versorgt werden können. Je nach Größe der Fußballarena betrifft dies bis zu 1500 verletzte oder erkrankte Personen, die evakuiert, notfallmedizinisch behandelt und gegebenenfalls in eine Klinik eingewiesen werden müssen.
Außerhalb der WM-Stadien gibt es daher einen betriebsbereiten Behandlungsplatz mit Containern und Zelten. Dort können in einer Stunde 50 Patienten von Notärzten und Rettungsassistenten medizinisch betreut werden. Kommt es zu einem Großeinsatz, werden innerhalb von 30 Minuten Behandlungsplätze für weitere 200 Personen errichtet. Die Verletzten werden dort auf dem Niveau eines verbesserten Sanitätsdienstes, etwa durch Rettungssanitäter, versorgt. Innerhalb von zwei Stunden können dann weitere Sanitätshelfer angefordert werden, um sich um die verbliebenen Betroffenen zu kümmern.
Entsprechend dem Sichtungsbefund werden Patienten mit schweren Verletzungen unmittelbar in eine geeignete Klinik transportiert. Weniger schwer Verletzte müssen in einem Katastrophenfall zunächst in einer Zwischenstation, wie etwa einer Schule, versorgt werden. Nur so bleiben die Kliniken handlungsfähig.
Damit auch im kleinsten Austragungsort der Fußball-WM genügend Betten zur Verfügung stehen, wurde in Kaiserslautern inzwischen die Krankenhauskapazität mit Hilfe der Bundeswehr verstärkt. Nun gibt es dort neben dem Westpfalz-Klinikum und weiteren sechs Kliniken im Umkreis von 30 Kilometern auch das mobile Krankenhaus der Bundeswehr mit 40 Betten, zwei Intensivpflegeplätzen sowie Platz für zwei Operationsteams und eine Apotheke.
Eine besondere Herausforderung während der Weltmeisterschaft stellen die öffentlichen Veranstaltungen rund um den Fußball dar. Mit etwa 7,5 Millionen Besuchern wird auf den zahlreichen Volksfesten und auf den 800 Public-viewing-Veranstaltungen gerechnet, bei denen die Fans auf Großbildleinwänden das Geschehen auf dem Rasen verfolgen können. Doch keiner weiß, ob nur hundert oder mehrere 10.000 Sportbegeisterte die einzelnen Veranstaltungen besuchen werden. Daher beteiligt sich allein das DRK mit über 15.000 Helfern an der Betreuung der zahllosen Rahmenveranstaltungen. »Nur so können wir bei einer Großschadenslage schnell dabei sein«, sagte Müller.
Seit 2005 wird in allen zwölf WM-Stadien und Austragungsorten der Einsatz geprobt. Bombenanschläge, Massenpanik, Ausschreitungen, extreme Wetterlagen oder die übermäßige Benutzung von pyrotechnischen Artikeln und Brand gehörten mit zum Übungsprogramm. So wurde unter anderem getestet, wie schnell 250 bis 500 Verletzte aus einem Stadion zu den Behandlungsplätzen transportiert werden können. Dabei stellte sich heraus, dass ein Helfer nach dem Transport von drei Patienten völlig erschöpft ist und abgelöst werden muss. Andere Schwachstellen zeigten sich in der Kommunikation und in der Zusammenarbeit der verschiedenen Organisationen und Behörden. So wurden Konzepte und Einsatzpläne überarbeitet, Material und Bereitschaftspersonal ergänzt und Mängel in der Technik behoben. Selbst extreme Situationen, wie der Ausfall von Strom-, Telefon- und Handynetzen kann die Retter nun nicht mehr erschüttern, denn auch darauf sind sie vorbereitet.
Luiz, T., et al., Medizinische Gefahrenabwehr anlässlich der Fußballweltmeisterschaft 2006. Notfall+Rettungsmedizin Nr. 3 (2006) 248.