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Arzneimittel-Abhängigkeit

Neuronen-Mobile in Schieflage

04.06.2014  09:42 Uhr

Schätzungsweise 2 Millionen Menschen sind in Deutschland abhängig von Medikamenten. Dabei kommt es nicht nur auf das Suchtpotenzial des Arzneistoffs an, auch viele weitere Faktoren spielen eine Rolle. Diese liegen zum Teil in der Person des Süchtigen selbst, sind teilweise aber auch soziokulturell bedingt.

Sucht ist definiert als Missbrauch mit Abhängigkeit. Bei längerem Gebrauch tritt eine Toleranz auf, für den gleichen Effekt ist dann eine Dosissteigerung notwendig. »Bei einer Substanz-Abhängigkeit wird ein Stoff nicht bestimmungsgemäß angewendet«, erklärte Professor Dr. Felix Tretter vom kbo-Isar-Amper-Klinikum München. Dabei könne die Ansicht, was bestimmungsgemäß ist, in verschiedenen Kulturkreisen durchaus variieren.

 

Viele Faktoren entscheidend

 

Süchtige dürften nicht als willensschwach betrachtet werden, betonte der Psyschiater. Es werde vielmehr ein Netzwerk im Gehirn umgeschaltet. »Die Sucht ist ein erlerntes, änderungsresistentes Verhalten«, so Tretter. Eine Sucht ist nie monokausal, sie entsteht immer durch das Wechselspiel verschiedener Faktoren. Zwar bestimmen physika­lische und chemische Merkmale das Suchtpotenzial einer Substanz, immer kommen bei der Abhängigkeit aber auch physische und psychische Eigenschaften der jeweiligen Person sowie soziale und kulturelle Umweltbedingungen hinzu.

 

Die Medikamenten-Abhängigkeit ist in Deutschland sehr verbreitet, valide Daten sind jedoch schwierig zu bekommen. Schätzungsweise 1,4 bis 2,3 Millionen Personen sind abhängig von Arzneimitteln, 60 Prozent davon sind Frauen. Vor allem Senioren sind betroffen. Bei den Über-60-Jährigen gelten mehr als 20 Prozent als abhängig oder stark abhängigkeitsgefährdet, auch hier ist ein Großteil weiblich, berichtete Tretter. Auslöser der Sucht im Alter seien häufig Arbeitslosigkeit und eine geringe soziale Wertschätzung, das sogenannte Empty Nest Syndrome.

 

Bei den Wirkstoffen stehen psychoaktive Substanzen im Vordergrund, vor allem Sedativa und Hypnotika, deren Verkaufszahlen in den vergangenen Jahren stark gestiegen sind. Aber auch Analgetika, Stimulanzien oder sogenannte Lifestyle-Drogen wie Laxanzien, Anabolika oder Appetitzügler werden häufig missbräuchlich angewendet. Abhängige verfolgten mit der Einnahme immer ein psychotropes Ziel, beispielsweise Sedierung, Stimulation, Analgesie oder einen exzessiven Rausch, so der Referent. Zudem gebe es die Szene der sogenannten Psychonauten, deren Anhänger auf der Suche nach neuen Kicks ständig neue Substanzen austesteten.

 

Abhängige geraten häufig in einen Teufelskreis. »Je mehr Sedativa ich nehme, desto mehr Stimulanzien brauche ich, um über den Tag zu kommen«, beschrieb Tretter. Jedoch sind es nur wenige, die extrem hohe Dosen einnehmen: 10 Prozent der Konsumenten verbrauchen 50 Prozent des Absatzes.

 

Die neurobiologischen Vorgänge der Sucht geben noch viele Rätsel auf. Eine ungeklärte Frage ist zum Beispiel, wa­rum verschiedene Substanzen ähnliche Lustzustände auslösen können. Tretter stellte einen Ansatz vor, bei dem das Gehirn als neurochemisches Mobile verstanden wird. Demnach liegen die Neuro­transmitter in einem labilen dynamischen Gleichgewicht vor. Externe Einflüsse, etwa durch psychoaktive Arzneistoffe, können das Gleichgewicht temporär oder andauernd verändern und so zu einer Schieflage des Mobiles führen.

 

Pregabalin ist angesagt

 

Seit einigen Jahren werde zunehmend der Arzneistoff Pregabalin missbraucht, informierte Tretter. Die Konsumenten aus der illegalen Drogenszene nähmen mindestens die doppelte, teilweise sogar die zehnfache Tagesdosis des GABA-Agonisten ein, was ein Gefühl der Euphorie erzeuge. In Untersuchungen seien zwischen 30 und 60 Prozent der Substitutionspatienten im Urin positiv auf Pregabalin getestet worden. Der Entzug sei sehr schwierig und erfordere ein langsames Ausschleichen. Möglich seien schwere vegetative Entzugs­syndrome, eventuell könne auch eine Enzephalopathie auftreten.

 

Zur Bekämpfung der Sucht hält Tretter kooperative Strategien für erforderlich. Ein großes Problem dabei sei die Risikobewertung des Missbrauchs­potenzials einzelner Substanzen sowie die Risikokommunikation. Wünschenswert, wenn auch schwierig, sei in der Zukunft die Entwicklung von Medikamenten mit geringem Suchtpotenzial. /

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