Wachstum ist nicht alles |
03.06.2008 16:30 Uhr |
<typohead type="3">Wachstum ist nicht alles
Von Werner Kurzlechner
Nicht jeder hofft derart euphorisch auf ein Wachstum des Gesundheitssektors wie CDU-Politiker Friedrich Merz. Immerhin bietet er als Herausgeber eines brandneuen Buches Stoff für Kontroversen. Die Pharmafirma Daiichi Sankyo bot dazu den Rahmen.
Über den Gesundheitsmarkt als »Wachstumsmotor« lässt sich trefflich streiten. Das beginnt schon mit der Frage, ob ein höherer Anteil des Sektors am Bruttoinlandsprodukt als die aktuellen gut zehn Prozent wünschenswert ist.
Während einer Podiumsdiskussion in Berlin gerieten vergangene Woche in dieser Frage Daniel Bahr, gesundheitspolitischer Sprecher der FDP im Bundestag, und SPD-Gesundheitsexperte Prof. Dr. Karl Lauterbach aneinander. »Der Anteil muss größer werden«, forderte Bahr. Das ging gegen das vorherrschende gesundheitspolitische Ziel, die Ausgaben in Zaum zu halten. Bahr findet das falsch. Man müsse sich einmal vorstellen, die Politik hätte vor einigen Jahren dem Markt für Informationstechnologie einen vergleichbaren Deckel verpasst. »Wir hätten die Entwicklung komplett verschlafen«, so Bahr.
Merz trifft einen Nerv
Lauterbach hingegen hält es für absurd, den Branchenumsatz ernstlich als Richtschnur zu verwenden. In die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung fließe ja nicht nur der Wert innovativer Medizintechnologie oder Pharmaforschung ein. Jeder Schlaganfall vergrößere den Marktanteil, die anschließende Reha-Therapie schaffe oft mehr Arbeitsplätze als der sinnvolle Einsatz blutdrucksenkender Medikamente vorab. Lauterbachs skeptisches Credo: »Wachstum hat nichts mit der Qualität der Versorgung zu tun.« Zweifelsohne trifft der einstige CDU-Fraktionsvorsitzende Friedrich Merz wieder einmal einen Nerv, indem er jetzt, wenngleich als Gesundheitsfachmann nun nicht eben profiliert, ein Buch mit dem Titel »Wachstumsmotor Gesundheit. Die Zukunft unseres Gesundheitswesens« herausgibt. Auf den rund 400 Seiten geht es ebenso kontrovers zu wie im Verlauf der Diskussion zur Präsentation des Werks, zu der das japanische Pharmaunternehmen Daiichi-Sankyo eingeladen hatte.
Die Firma mit Sitz in Tokio und der Europazentrale in München zählt sich zu den führenden 20 Pharmaunternehmen der Welt. Sie widmet sich der Erforschung und dem Vertrieb von innovativen Arzneimitteln. Schwerpunkte sind die Felder Herz/Kreislauf, Hämatologie, Diabetes, Antiinfektiva und Krebs.
Der Herausgeber des vorgestellten Buches Merz legte seinen Standpunkt zwar nur in einer vierminütigen Videobotschaft dar: »Wir haben das Thema bisher zu sehr unter Kostengesichtspunkten diskutiert.« In Bahr, der nicht am Buch mitschrieb, fand Merz indes einen geeigneten Verstärker seiner marktliberalen Thesen.
Ebenso übrigens in Reinhard Bauer, Europachef von Daiichi-Sankyo, der leidenschaftlich für einen marktwirtschaftlichen Umbau des Gesundheitswesens plädierte. Bauer sattelte sozusagen auf die Aufsehen erregende Diskussion vom jüngsten Ärztetag auf und sprach sich für eine stärkere Eigenbeteiligung der Patienten aus. Die Gemeinschaft der Versicherten sollte demnach nur noch für die Grundversorgung aufkommen. Mündige Patienten entscheiden in Bauers Zukunftsvision selbst, welche Arzneimittel sie kaufen wollen. Das würde schon funktionieren, schließlich achteten sie als Joghurtkäufer ja auch auf die Kalorienangaben. Als Wachstumsbremse machte Bauer wenig überraschend die Politik aus, die geistiges Eigentum immer schlechter schütze: »Wir schaffen Patente ab, in Indien führt man sie gerade ein.«
Kosten und Nutzen abwägen
Wasser in den von liberalem Optimismus gesüßten Wein kippte neben Lauterbach Prof. Dr. Herbert Rebscher, Vorsitzender der Deutschen Angestellten-Krankenkasse. »Ich wundere mich oft darüber, wie die beiden Begriffe Effizienz und Innovation verwendet werden«, stellte Rebscher gleich eingangs klar.
Effizienz beinhalte nicht nur eine Senkung der Kosten, sondern als weitere Komponente den qualitativen Nutzen. Ob ein als »Innovation« in den Markt eingeführtes Medikament dieses Versprechen auch tatsächlich halte, müsse eine intensivierte Versorgungsforschung hinterher erst einmal klären. Dann legte Rebscher dar, warum es allen Hoffnungen auf einen Wachstumsmotor Gesundheit zum Trotz keine Alternative zu kollektiven Systemen gebe.
Ein einzelner Gesunder habe nie einen Anreiz, die Versorgung Kranker mitzubezahlen, ein 25-Jähriger verschwende aus guten Gründen keinen Gedanken etwa an geriatrische Rehabilitation. »Wir brauchen als Vertrauen stiftendes Gut ein System, das über die individuelle Rationalität hinausgeht«, so Rebscher. Deshalb ist ihm eine verlässliche Systemarchitektur offenbar wichtiger als ein entfesseltes Wachstum des Gesundheitssektors.