Die Angehörigen begleiten |
01.06.2016 09:45 Uhr |
Die Begründerin der modernen Hospiz- und Palliativbewegung, Dame Cicely Saunders, hat von Anfang an auf die Bedeutung des sozialen Umfelds von schwer kranken und sterbenden Menschen hingewiesen. Nicht nur der Leidende, auch seine An- und Zugehörigen brauchen Beachtung und Fürsorge.
»Fürs Sterben muss man Kraft haben.« Der Theologe Herrmann Reigber, der die Christophorus-Akademie in München leitet, regte die Zuhörer zum Nachdenken über Fragen am Lebensende an. Der Sterbende müsse Ja sagen zu seinem Leben und zur »Ent-bindung« davon. Die Angehörigen brauchen »spirituelle Wachsamkeit« und Kraft, um den Sterbenden gehen zu lassen. Die Familie (Angehörige) und das weitere soziale Umfeld (Zugehörige) bildeten eine »unit of care«, eine Einheit für die Pflege, die Unterstützung braucht, sagte Reigber. Viele Menschen wünschen sich, zu Hause zu sterben, was neben einer professionellen Versorgung auch die Präsenz von vertrauten Personen erfordere.
Um sterben zu können, müssen Menschen am Ende mit ihrem Leben abschließen. Angehörige müssen den geliebten Menschen gehen lassen.
Foto: Fotolia/Africa Studio
Als ein Element des professionellen Begleitprozesses stellte Reigber die Genogramm-Arbeit vor. In der Arbeit werden die Ursprungsfamilie eines Sterbenden und deren Struktur dargestellt. Mehrere Generationen, Partner und Ex-Partner, aber auch uneheliche oder tot geborene Kinder können eingezeichnet werden. Dies helfe, die Stellung der Menschen zueinander zu erkennen. »Beim Sterben geht es um archaische Beziehungen und Konflikte, und deshalb wird es oft als so bedrohlich empfunden.« Klarheit über die Beziehungen, auch die eigenen, sei essenziell für die professionelle Begleitung Sterbender.
Familie und Wahlfamilie
Anders als das Genogramm zeigt das Soziogramm die Gegenwart: die Wahlfamilie und die aktiven Beziehungsstrukturen des Menschen. Hier werde das Entwicklungspotenzial für die Begleitung deutlich. Der Theologe berichtete aus seiner Erfahrung, dass Menschen zu Hause oder in Hospizen mitunter nicht von Angehörigen, sondern von Freunden, Nachbarn, Kollegen oder Schulkameraden betreut und begleitet werden. Zu den Zugehörigen zähle manchmal auch ein geliebtes Haustier; erst wenn dieses gut versorgt ist, könne der Mensch loslassen.
Eine spezielle Gruppe sind pflegende Angehörige, mit denen auch Apotheken häufig zu tun haben. Frauen pflegten oft die Eltern, Männer meist die Partnerin, berichtete der Palliativexperte. Neben der körperlichen Arbeit stünden psychische Belastungen im Vordergrund, zum Beispiel durch völlige Übernahme der Verantwortung, Überforderung und Isolation. Hochgradig anstrengend sind auch Rollenveränderung (der Ehepartner wird zum Pflegebedürftigen), kritische Kommentare von außen, der Druck, immer wieder Entscheidungen zu treffen und den mutmaßlichen Willen wiederzugeben, sowie die Herausforderung, den Abschied zu gestalten. Auch das gegenseitige Versprechen »Du musst nie ins Heim« könne massiv belastend sein.
Mehr positive als negative Aspekte
»Es gibt keine pauschalen Ratschläge für den Umgang mit pflegenden Angehörigen«, sagte Reigber. Aber es helfe ihnen, wenn ihre Arbeit anerkannt wird – auch im Gespräch in der Apotheke. Die Pflege von Angehörigen habe mehr positive als negative Aspekte, wenn die Rahmenbedingungen stimmen. Dazu gehört die verlässliche 24-Stunden- Sicherheit durch Helfer und Palliativdienste, ein stabiles Vertrauen zwischen Angehörigen und Professionellen sowie ein wertschätzender Dialog über die Pflege und Betreuung.
Hilfreich sei es, wenn Apotheken Broschüren und Listen von Pflege-, Palliativ- und Hospizdiensten sowie von Trauergruppen bereithalten, sagte Reigber. Er empfahl, die Kommunikation mit Trauernden im Team zu besprechen. Wichtig sei es, trauernden Menschen sachte beizustehen und ihnen Zeit zu lassen.