Krankhafte Furcht |
27.05.2014 09:30 Uhr |
Von Annette Mende, Berlin / Angststörungen sind die häufigsten psychiatrischen Erkrankungen, doch nimmt nur etwa die Hälfte der Patienten professionelle Hilfe in Anspruch. Viele Betroffene leiden erheblich unter ihren Ängsten und entwickeln Vermeidungsstrategien, die sie ins soziale Abseits führen. Das müsste nicht sein, denn Angststörungen lassen sich medikamentös oder psychotherapeutisch gut behandeln.
Angst ist eigentlich eine sinnvolle Emotion, weil sie verhindert, dass Menschen sich in Gefahr begeben. Übertriebene, unrealistische oder schlicht grundlose Ängste jedoch können denjenigen, der sie hegt, lähmen und ihm eine Teilhabe am sozialen Leben unmöglich machen. Die Angststörung selbst oder auch die Scham darüber hindern viele Patienten daran, aktiv Hilfe zu suchen. Stattdessen entwickeln sie mitunter überaus raffinierte Strategien, um die sie ängstigenden Situationen zu vermeiden.
Somatisierung ist häufig
So etwa eine Akademikerin, die es mit Mitte 30 noch nie geschafft hatte, sich auf eine für sie passende Stelle zu bewerben, weil sie an einer ausgeprägten Sozialphobie litt. »Stattdessen trug sie morgens in aller Herrgottsfrühe Zeitungen aus, um ja niemandem zu begegnen. Sie lebte am Existenzminimum«, schilderte Professor Dr. Peter Falkai von der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Ludwig-Maximilians-Universität München den Fall einer seiner Patientinnen.
Falkai sprach in Berlin bei der Vorstellung der neuen S3-Leitlinie »Behandlung von Angststörungen«, an deren Erstellung 20 Fachgesellschaften, Selbsthilfegruppen und Patientenvereinigungen beteiligt waren. Die Empfehlungen der Leitlinie sollen die Versorgung Betroffener verbessern. Hier gibt es einiges zu tun, denn nur jeder zweite Patient mit Angststörung erhält momentan überhaupt eine Therapie, wie Falkai ausführte. Ein Grund dafür sei, dass die Patienten dem Arzt gegenüber meist nicht von ihren Ängsten sprächen, sondern körperliche Symptome schilderten. »Wir erleben oft Patienten, bei denen 30 bis 40 EKGs geschrieben werden, bevor jemand auf die Idee kommt, dass der Patient gar nichts am Herzen hat«, so Falkai.
Mit rund 15 Prozent im Bevölkerungsdurchschnitt sind Angststörungen die häufigsten psychiatrischen Erkrankungen. Laut Falkai machen spezifische Phobien wie Angst vor kleinen Tieren, Blut oder Höhe (siehe Kasten) den größten Teil aus. Doch braucht nicht jeder, der sich vor Schlangen ekelt, deswegen gleich zum Psychologen. »Was uns in der Praxis beschäftigt, sind Panikstörungen, Agoraphobien, generalisierte Angststörungen oder soziale Phobien«, sagte Falkai. Angststörungen also, unter denen Betroffene massiv leiden und die sie in ihrem täglichen Leben erheblich einschränken.
Keine Benzodiazepine
Die Leitlinie empfiehlt, diesen Patienten eine Psychotherapie und/oder eine Pharmakotherapie anzubieten. »Beide Therapieformen sind gleichberechtigt«, sagte Professor Dr. Borwin Bandelow von der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Göttingen. Bei den Medikamenten stehen an erster Stelle selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) wie (Es-)Citalopram, Paroxetin oder Sertralin und Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SNRI) wie Duloxetin oder Venlafaxin. Zweite Wahl ist das trizyklische Antidepressivum Clomipramin, dessen Nutzen-Risiko-Verhältnis aufgrund seiner Nebenwirkungen etwas ungünstiger ausfällt als das der erstgenannten Medikamente. Weitere mögliche Alternativen sind Pregabalin, Opipramol, Buspiron oder Moclobemid. »Wichtig ist, dass Benzodiazepine, die derzeit bei 58 Prozent der Patienten mit Angststörungen zum Einsatz kommen, nur in Ausnahmefällen angewendet werden sollen«, betonte Bandelow. Der Grund ist dafür ist die Gefahr der Abhängigkeitsentwicklung.
Von den psychotherapeutischen Verfahren hat sich die kognitive Verhaltenstherapie am besten bewährt. Dabei kommt es Bandelow zufolge darauf an, dass sich der Patient mit seiner Angst auseinandersetzt: »Das ist wie beim Skifahren: Man wird kein guter Skifahrer, wenn man sich nur Videos über Skifahren ansieht. Man muss raus und mit der Nase in den kalten Schnee fallen.« Um ihre Phobie in den Griff zu bekommen, müssten sich Betroffene den angstauslösenden Situationen aussetzen, zunächst unter Begleitung des Therapeuten. Die psychodynamische Psychotherapie, unter der in der Leitlinie die tiefenpsychologisch orientierte und analytische Psychotherapie zusammengefasst sind, ist ebenfalls wirksam, ist aber laut Leitlinie aufgrund der schlechteren Evidenzlage zweite Wahl nach der kognitiven Verhaltenstherapie.
Wenn Betroffene sich zu einer Therapie entschließen, sind die Erfolgsaussichten relativ gut. »Etwa 70 Prozent der Patienten erleben bereits beim ersten Versuch einer Psycho- oder Pharmakotherapie eine Besserung«, so Bandelow. Bei ausbleibendem Erfolg könne die Therapieform gewechselt oder beide miteinander kombiniert werden. Damit steige die Erfolgsquote auf 85 Prozent. Befürchtungen, dass Patienten unter Medikamenten für eine Psychotherapie schlechter empfänglich seien, sind dem Experten zufolge unbegründet. »Medikamentöse und Psychotherapie zusammen wirken besser als eine allein.«
Bandelow betonte, dass bei der Erarbeitung der Leitlinie die Unabhängigkeit der Empfehlungen höchste Priorität hatte. Alle Beteiligten mussten ihre potenziellen Interessenskonflikte offenlegen und sich in Abstimmungen, bei denen sie als befangen gelten konnten, enthalten. Eine Kurz- und eine Langfassung der Leitlinie sind zu finden unter www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/051-028.html. Demnächst soll auch noch eine Fassung für Patienten in laienverständlicher Sprache erscheinen. /
Insgesamt werden 22 klinische Studien zur Wirksamkeit von zugelassenen Traubensilberkerze-Arzneimitteln einbezogen, darunter die ethanolischen Extrakte BNO 1055 (zwei Studien), Ze 450 (drei Studien), Cr 99 (eine Studie) sowie unbekannte EtOH-Extrakte (drei Studien) und der isopropanolische Spezialextrakt iCR (13 Studien). Alle Studien, die mit zugelassenen Arzneimitteln aus Traubensilberkerze durchgeführt wurden, zeigen im Gegensatz zu den Nahrungsergänzungsmitteln eine zumindest explorative Evidenz für ihre (Placebo überlegene) Wirksamkeit.
Eine besondere Stellung nimmt in allen Punkten der isopropanolische Spezialextrakt iCR ein. Er ist der weltweit am besten in klinischen Studien untersuchte Extrakt und erreicht in der differenzierten und umfangreichen Metaanalyse sowie im Update als einziger Extrakt eine konfirmatorische Evidenz mit einem Evidenzlevel (LOE) von 1b für seine Wirksamkeit und somit einem Empfehlungsgrad (GR) von A. Klinische Studien mit den ethanolischen Cimicifuga-Extrakten BNO 1055 und ZE 450 mit mehr als 500 Studienteilnehmerinnen ergaben einen LOE von 2b mit einem GR von B.
Zur Analyse der Sicherheit von Traubensilberkerze-Präparaten wurden insgesamt 32 klinische Studien mit zugelassenen Arzneimitteln verwendet: BNO 1055 (vier Studien), Ze 450 (zwei Studien), unbekannte EtOH-Extrakte (fünf Studien) sowie iCR (21 Studien). Alle Extrakte weisen eine gute bis sehr gute Sicherheit auf. Die Daten zur Sicherheitslage für den iCR-Extrakt zeigen dabei einen LOE von 1a mit einem GR von A.
Es kommt weder zu einer Beeinflussung von Brust- oder Gebärmuttergewebe noch zu signifikanten Veränderungen von Blutlaborwerten, etwa der Niere oder der Leber, noch zu klinisch relevanten Veränderungen hormoneller Parameter, zum Beispiel Estradiol, FSH oder LH. Im Gegenteil weisen einige Studienergebnisse sogar auf zusätzliche positive Nebeneffekte des iCR-Spezialextrakts hin, etwa eine Verkleinerung von Myomen, eine Osteoporose-protektive Wirkung und eine verlängerte rückfallfreie Überlebenszeit bei Brustkrebs. Aktuell können seit dem Inkrafttreten der GCP-Richtlinie E6 CPMP/ICH/135/95 mehr als 30 klinische Studien mit dem iCR-Spezialextrakt identifiziert werden. An diesen waren mehr als 42 000 Patientinnen beteiligt, von denen mehr als 12 000 eine Zubereitung mit dem iCR-Spezialextrakt einnahmen.
Wirksam und sicher
Zugelassene Cimicifuga-Präparate sind somit eine sichere und häufig wirksame Behandlungsoption bei Wechseljahresbeschwerden. Es sollte in der Beratung darauf hingewiesen werden, dass erste positive Effekte meist nach zwei- bis vierwöchiger Behandlung zu erwarten sind. Bei längerer Behandlungsdauer kann es bis zu sechs Monate lang zu weiterer Verbesserung der Symptome kommen. Eine Kontraindikation für Brustkrebspatientinnen ist nicht gegeben; der behandelnde Arzt sollte lediglich über die Einnahme informiert sein. /
Literatur beim Verfasser
Professor Dr. Wolfgang Blaschek ist ehemaliger Inhaber des Lehrstuhls für Pharmazeutische Biologie am Pharmazeutischen Institut der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel.
E-Mail: wbla@pharmazie.uni-kiel.de