Pharmazeutische Zeitung online

Wahrnehmen, trösten, respektieren

21.05.2010  13:49 Uhr

Das Vertrauensverhältnis zu Stammkunden ist in vielen Apotheken über Jahre hinweg gewachsen. Erkrankt ein Kunde schwer oder stirbt, betrifft dies auch die Apotheke und ihre Mitarbeiter. Wie begegnet man trauernden Menschen in der Offizin?

Die Nachricht vom Tod eines bekannten Menschen stellt die Mitarbeiter in der Apotheke vor eine schwierige Situation. Keiner will ein falsches Wort zu dem Trauernden sagen. Doch welches ist richtig – oder gar keines?

»Auf jeden Fall sollte man die Situation ansprechen und ins Wort bringen. Das hilft den meisten Trauernden«, sagt Her­mann Reigber, stellvertretender Leiter der Christophoros-Akademie, Bereich Psycho­soziale Begleitung, am Klinikum München-Großhadern, im Gespräch mit der PZ. Man könne Anteilnahme und Be­dauern ausdrücken und damit signalisie­ren, dass man ansprechbar ist. Schwei­gen werde oft als Interesselosigkeit inter­pretiert.

 

Dass die Apotheke ein öffentlicher Raum ist, sei kein Grund, sich zurückzuhalten. »Trauer ist ein starkes Gefühl, und star­ke Gefühle gehören in den Mittelpunkt. Wenn andere Kunden im Raum sind, ist die Situation schwierig, aber ich halte ein Gespräch für besser als zu schweigen.« Natürlich müsse die Schweigepflicht, beispielsweise bezüglich Diagnosen, gewahrt bleiben. Aber ein Gespräch über einen Verstorbenen überfordere die Mithörenden nicht. »Schließlich ist der Tod etwas sehr Verbreitetes. Er ist das Einzige, das uns alle trifft.«

 

Zulassen und aushalten

 

Trauernde befinden sich in einer komplexen, oft widersprüchlichen Gefühlslage. Sie erleben eine fundamentale Erschütterung ihres Lebens, erklärt Reigber, der als Theologe, Sozialarbeiter und Krankenpfleger sehr viel Erfahrung mit leidenden und sterbenden Menschen und ihren Angehörigen hat. Das Nebeneinander von Gefühlen, diese Ambivalenz müsse der Gesprächspartner zulassen und aushalten können.

 

In der Apotheke dürfe man trauernde Menschen durchaus fragen, wie es ihnen geht, sagt Reigber, denn Trauernde fühlten sich immer wieder anders. Mitunter bemerken die Mitarbeiter in der Apotheke, wenn sich Angehörige oder Kranke verändern. Das solle man gelegentlich zur Sprache bringen. »Oft öffnen die Menschen selbst ein wenig die Tür, und daran kann man ein Gespräch anknüpfen.«

 

Auch Trost ist eine angemessene Reaktion. Bei sehr vertrauten Kunden mag eine Berührung oder sogar eine Umarmung angebracht sein, bei anderen könne dies die Grenzen verletzen. Der Theologe empfiehlt andere Wege: »Ich halte viel vom Trösten mit Taschentüchern. Die stumme Geste zeigt dem anderen, dass ich ihn wahrnehme und Anteil nehme, dass er weint.« Der Experte nennt dies »beredtes Schweigen«.

 

Weinen löst Mitgefühl aus. Doch wie weit darf dies gehen? Vielen Mitarbeitern ist es peinlich, wenn ihnen das Gespräch so nahe geht, dass ihnen selbst die Tränen aufsteigen. Reigber hat dafür eine klare Antwort: »Dann lässt man die Tränen raus, vor dem Kunden. Das ist nicht unprofessionell. Weinen heißt auch, in Bewegung zu sein. Das ist wie eine Berührung, ohne dass Haut auf Haut ist.« Trauer gehöre zu einem reifen menschlichen Leben dazu – nicht nur, wenn es an die Substanz geht. Sie erinnere an die eigene Sterblichkeit, an die sich verflüchtigenden Möglichkeiten des eigenen Lebens.

Reigber verweist im Gespräch darauf, dass nicht nur der Tod, sondern auch schwere Krankheit Anlass zum Trau­ern gibt. Viele Patienten müssten mit schneidenden Ver­lusten fertig werden. Durch Krankheit und Therapie ver­lieren sie beispielsweise Beweglichkeit, Sprache, Glied­maßen, Haare und dadurch auch vieles Liebgewonnene. Oftmals auch Freunde und Mitmenschen, die sich zurück­ziehen. Für viele alte Menschen sei das Schlimmste am Altwerden die Einsamkeit, wenn Angehörige und Freunde wegsterben. »Das ist eine massive Erfahrung von Trauer, von Schmerz.«

 

»Trauer ist keine Krankheit, und Trauernde brauchen in der Regel keine Tabletten«, betont der Experte. Doch manchmal könne Trauer chronifizieren und in eine De­pression münden. »Wenn die Welt eng und zugleich leer wird, kann dies das Gefühl eines Sogs erzeugen, der in einen Schacht hineinzieht.« Menschen, die immer wieder von solchen Gefühlen erzählen, sollte der Apotheker zu einem Gespräch mit dem Arzt ermutigen.

 

Die Mitarbeiter in der Apotheke könnten dem Kunden menschlich viel geben, nämlich Zuwendung. »Das Wort, das Ohr, manchmal auch Tränen oder ein Händedruck, das ist genau das, was wirkt.« Eine richtige Trauerbegleitung sei in der Apotheke aber nicht möglich. Wenn der Bedarf nach intensiveren Gesprächen besteht, könne der Apotheker auf Trauergruppen, die beispielsweise viele Kirchengemeinden anbieten, oder eine Einzelbegleitung hinweisen. Hilfreich sei es, Prospekte von örtlichen Trauergruppen und Hospizvereinen auszulegen (siehe Linkliste).

 

Für und von Trauernden lernen

 

Reigber empfiehlt, dass Apothekenteams sich auch mit Fragen zum Umgang mit Trauernden auseinandersetzen. Immerhin werde die Zahl der Kunden, die alt sind oder werden und die Angehörige verlieren, immer größer. Man könne das Thema in einer Teambesprechung aufgreifen, sich dazu beraten und schulen lassen.

 

Schließlich ist auch Selbstschutz ein wichtiges Thema. Reigber hat in seiner Zeit im Hospiz die Erfahrung gemacht, wie schwierig es sein kann, sich zu schützen. Manchmal gelinge es erst im Nachhinein. Der Weg von und zur Arbeitsstätte sei ein wichtiger Puffer, um sich von intensiven Begegnungen und Emotionen zu distanzieren. Ein »gewisses spirituelles Fundament« gebe Halt. Der Glaube, dass die Zeit in Gottes Hand liegt und der Mensch darin gehalten ist, bedeute ihm viel, sagt der Theologe.

 

Ein Patentrezept zum Umgang mit trauernden Menschen gibt es nicht. Trauer sei eine tiefe menschliche Fähigkeit, die auch die Liebe zum anderen Menschen ausdrückt. »Wer keine Bindungen aufbaut, kann kein Zerbrechen erleben.« Von Menschen in Trauersituationen könne man viel lernen, zum Beispiel der Kraft seiner Gefühle zu vertrauen. »Trauer trifft das Leben in seiner Polarität, hat eine hohe Wahrheit und hohe Verdichtung.« Diese Verdichtung von Leben sei manchmal unheimlich und auch sehr anstrengend. »Trauernden zu begegnen, erfordert daher als oberste Haltung Respekt!« /

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