Fernab vom Kuschelkurs |
22.05.2006 18:27 Uhr |
<typohead type="3">Fernab vom Kuschelkurs
von Thomas Bellartz, Berlin
Eigentlich sollte die Verhandlungstruppe zur Gesundheitsreform am Montag wieder hinter verschlossene Türen. Doch der Termin wurde kurzerhand verschoben. Schwarz-Rot setzt sich selbst unter Druck. In der SPD will man die Leistungserbringer schröpfen.
SPD-Fraktionschef Peter Struck ist beliebt wie gefürchtet für seine markigen Sprüche. In einem Interview hatte er am Wochenende erneut gesagt, dass vor den Beratungen zu einer Finanzreform der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) eine Reform der Ausgabenseite stehe. Struck verlangt den politischen Nahkampf mit der Lobby, geht von enormen Protesten aus und will bei Ärzten, Pharmaherstellern und Apothekern einsparen. Die SPD soll »Mut vor Fürstenthronen beweisen«.
Schlechte Stimmung
Struck wirkt ein wenig wie ein unbewaffneter Soldat, der in den Krieg ziehen muss. Er macht sich Mut für den angeblich großen Kampf und hat noch nicht einmal das erste Gefecht, nämlich das mit dem Koalitionspartner, hinter sich. Und doch passt der Auftritt des SPD-Fraktionsschefs in das Szenario der vergangenen Tage. Parallel zu der deutlichen Stimmungsverschlechterung innerhalb der großkoalitionären Gesundheitspolitik, trommelt alle Welt gegen die bestehenden Strukturen im gesamten Gesundheits-, aber auch spezifisch im Apothekenmarkt.
Die Abstimmung zwischen den Verhandlungsführern der Reformkommission, Ulla Schmidt (SPD) und Wolfgang Zöller (CSU), lässt allem Anschein nach erheblich zu wünschen übrig. Die Union stört sich an den öffentlichen Erklärungen der SPD-Kommissionsmitglieder. In der vergangenen Woche verging kein Tag, an dem nicht mindestens ein, manchmal auch mehrere SPD-Kommissionsmitglieder den Weg in die Medien suchten und fanden. Häppchenweise wird der Öffentlichkeit das unerschöpfliche Ideenpotenzial des Gesundheitsministeriums zum Fraß vorgeworfen. Die Union ist sauer und ließ den für Montag geplanten Sitzungstermin platzen, weil eine Sitzungsvorlage aus dem Gesundheitsministerium erneut sehr spät auf den Tischen der Abgeordneten gelandet war.
Dass sich immer häufiger Außenstehende zum Reformthema äußern, wird die Kommission und auch die Kolaition nicht überraschen. Genau deshalb hatte man den Schwur geleistet, sich bis zum Ende der Beratungen nicht öffentlich über deren Inhalte zu äußern. Professor Dr. Karl Lauterbach war überraschend noch nicht einmal der Erste, der diesem Grundsatz den Rücken kehrte.
Gezielt sickern Indiskretionen aus dem zuständigen Schmidt-Ministerium. Die dann folgenden Dementi sind noch nicht einmal lauwarm. Egal ob eine Erhöhung der Versicherungspflichtgrenze, die Höhe und Frequenz von Zuzahlungen oder die drakonischen Maßnahmen gegenüber Leistungserbringern: Union und SPD ringen öffentlich um jeden Zentimeter. Auf der Siegerstraße sieht sich schon die SPD. Sie wähnt sich in der öffentlichen Wahrnehmung von Ideen und Positionen längst im Vorteil.
Aus dem Umfeld der Verhandlungsgruppe war am Montag klar vernehmbar, dass es bereits in den vergangenen Runden verstärkt um den Arzneimittelbereich und auch um die Apotheken gegangen sei. »Ausdiskutiert ist da aber noch nichts«, hieß es. Nach Angaben von Zöller will sich die Koalition noch in diesem Monat auf Vorschläge für die Ausgabenseite verständigen. Alles, was nicht innerhalb der Gruppe entschieden werden könne, müsse eine Ebene höher, also vom Koalitionsausschuss der Partei- und Fraktionsspitzen, abschließend erörtert und beschlossen werden. Auf dem Bayerischen Apothekertag hatte Zöller bestätigt, dass im Ausschuss »über alles«, also auch über eine weitere Lockerung des Mehrbesitzes gesprochen werde. Er und auch die Union insgesamt hielten eine Ausweitung der aktuellen Regeln jedoch für falsch. Im Juni wollen sich die Gesundheitspolitiker dann mit der Reform der GKV-Finanzen befassen.