Adjuvanter Einsatz kritisch beleuchtet |
22.05.2006 16:35 Uhr |
<typohead type="3">Adjuvanter Einsatz kritisch beleuchtet
von Conny Becker, Berlin
Die Reaktionen auf dem amerikanischen Krebskongress 2005 waren nahezu euphorisch. In Studien hatte Trastuzumab das Rezidivrisiko in der adjuvanten Therapie etwa auf die Hälfte reduzieren können. Während sich nun die Zulassungserweiterung nähert, melden sich aber auch kritische Stimmen zum adjuvanten Einsatz.
Die Hoffnungen, die aus den vor einem Jahr vorgestellten Studien erwuchsen, sind groß. Sie beruhen vor allem auf der so genannten HERA-Studie, in der mehr als 5000 HER2-positive Brustkrebs-Patientinnen nach der OP nur Chemotherapie oder zusätzlich ein Jahr beziehungsweise zwei Jahre lang Trastuzumab adjuvant erhalten hatten. Die Zwischenauswertung der Ein-Jahres-Daten hatte gezeigt, dass die Rezidivrate unter dem monoklonalen Antikörper etwa halb so groß war wie in der Vergleichsgruppe: Gegenüber 220 traten nur 127 »Events«, das heißt Lokalrezidive, Fernmetastasen oder Todesfälle, auf. Auch eine Auswertung zweier amerikanischer Studien ergab eine Risikohalbierung unter Trastuzumab. Zudem war hier die Sterblichkeit um ein Drittel gesenkt: Nach drei Jahren lebten im Trastuzumab-Arm noch 87 Prozent der Patientinnen verglichen mit 75 Prozent im Kontrollarm.
Auf Grund dieser Daten hat Hersteller Hoffmann-La Roche im Februar diesen Jahres eine Zulassungserweiterung für Herceptin® zur adjuvanten Therapie beim Mammakarzinom beantragt. Ende April kam das positive Votum des europäischen Komitees für Humanarzneimittel. Die Zulassung könnte demnach bereits Anfang Juni erfolgen, womit eine neue Therapieoption für etwa 10.000 Brustkrebspatientinnen in Deutschland vorhanden wäre. Denn bei mindestens 20 Prozent der Betroffenen sei der epidermale Wachstumsfaktor HER2 auf den Tumorzellen überexprimiert und man müsse von rund 50.000 Neuerkrankungen pro Jahr ausgehen, sagte Dr. Micheal Wolf, Vivantes-Klinikum Berlin, in einem Gespräch mit der PZ im Rahmen des 2. Interdisziplinären Krebskongresses von Vivantes.
Der Berliner Onkologe hält den Optimismus allerdings für verfrüht. Schließlich seien bislang nur Ergebnisse bis zu drei Jahren veröffentlicht worden, eine abschließende Aussage, etwa zum Überleben, sei jedoch erst nach fünf Jahren möglich. Bis dahin könnten alle, wenn auch kongruenten Studien, nur als deutlicher Trend gewertet werden. Wolf zufolge sei die Euphorie vieler Kollegen inzwischen verflogen. Denn auch die Nebenwirkungen zeichnen sich mit zunehmender Dauer der Therapie stärker ab.
Die Hauptnebenwirkung von Trastuzumab bei Patienten mit vorangegangener Anthracyclin-Therapie ist eine kardiale Dysfunktion. In der HERA-Studie litten 0,5 Prozent der mit dem Antikörper behandelten Frauen nach einjähriger Behandlung unter schweren kardiotoxischen Nebenwirkungen (kongestive Herzinsuffizienz Grad 3/4). Symptome einer Herzinsuffizienz zeigten 29 Frauen (1,7 Prozent) gegenüber einer in der Kontrollgruppe und die linksventrikuläre Auswurffraktion war bei 113 gegenüber 34 Patientinnen verringert. Je länger die Therapie, desto höher scheint die Rate kardialer Nebenwirkungen zu sein. In den beiden Drei-Jahres-Studien betrug die Inzidenz von Herzinsuffizienz Grad 3/4 oder kardial bedingtem Tod unter Trastuzumab schon 4,1 beziehungsweise 2,9 Prozent, zudem starb eine Frau an Kardiomyopathie. Auch eine linksventrikuläre Dysfunktion trat in den amerikanischen Studien vermehr unter der Antikörpertherapie auf, ebenso scheinen neun Fälle von interstitieller Pneumonie in Zusammenhang mit der Behandlung zu stehen.
Eine vierte Studie, die im Dezember auf dem Krebskongress in San Antonio vorgestellt wurde, bestätigt sowohl den deutlichen Vorteil im krankheitsfreien Überleben, aber auch das höhere Risiko kardialer Nebenwirkungen. Die dreiarmige BCIRG006-Studie mit mehr als 3000 Patientinnen weist allerdings darauf hin, dass eine Kombination von Trastuzumab mit Carboplatin verträglicher sein könnte als mit Docetaxel, wenn auch etwas weniger effektiv.
Eine besser verträgliche Kombination zu finden, scheint auch dringend nötig, da die Abbruchraten unter Trastuzumab in den drei bereits veröffentlichten Studien deutlich höher lag als in den Kontrollarmen. In der HERA-Studie etwa brach fast jede dritte Patientin die Therapie vorzeitig ab, jede fünfte auf Grund kardialer Nebenwirkungen.
Die Euphorie lässt bei einigen Medizinern jedoch auch aus einem weiteren Grund nach. »Die Therapie ist finanziell nicht zu schultern«, sagte Wolf. So würden die Ein-Jahres-Therapie für alle HER2-positiven Patientinnen die deutschen Krankenkassen eine halbe bis Dreiviertel Milliarde Euro kosten und entsprechend das Doppelte, wenn der Antikörper für zwei Jahre zugelassen würde. Dies wird Mediziner und GKV vor enorme Probleme stellen. Die Zwei-Jahres-Daten von HERA sollen in zwei Wochen auf dem diesjährigen ASCO vorgestellt werden.