Schlechte Zeiten für Pharmahersteller |
08.05.2012 18:11 Uhr |
Von Daniel Rücker / Der Gesundheitsmarkt ist zwar nur mäßig konjunkturanfällig, den Pharmaherstellern stehen dennoch schwerere Zeiten bevor. Das glauben einer Untersuchung zufolge viele Manager der Unternehmen. Sie haben Zweifel am bisherige Geschäftsmodell.
Die pharmazeutische Industrie steht vor einem tiefgreifenden Strukturwandel. Zu diesem Schluss kommt eine Untersuchung von Booz und Company. Die Beratungsgesellschaft hat weltweit Manager von Pharmaunternehmen nach ihren Erwartungen an die Zukunft befragt und dabei eine »weltweite enorme Unsicherheit« festgestellt. Mehr als zwei Drittel der Befragten glauben nicht, dass ihr Geschäftsmodell noch lange trägt. Verantwortlich machen sie dafür die sich ändernden Rahmenbedingungen.
Sozialsysteme unter Druck
Wegen der demografischen Veränderungen stehen die Sozialsysteme weltweit unter Druck. Auch für neue, patentgeschützte Arzneimittel sind in den meisten Ländern nicht mehr die Margen aus früheren Zeiten zu erzielen. Selbst Staaten mit starker Pharmaindustrie wie die Schweiz sind nicht mehr bereit, die hohen Preise von Innovationen zu bezahlen. Auch in Deutschland wurden den forschenden Hersteller mit dem Start der Kosten-Nutzenbewertung zum Jahresbeginn 2012 Fesseln bei der Preisgestaltung angelegt. Die Erstattungspreise müssen nun mit dem Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherung ausgehandelt werden.
In den meisten anderen Industrienationen haben die Unternehmen ebenfalls deutlich weniger Spielraum als früher. Der Verband forschender Arzneimittelunternehmen sieht in der Festlegung von Erstattungspreisen und anderen regulatorischen Eingriffen einen wesentlichen Grund dafür, dass die Entwicklung von Biopharmazeutika längst nicht so dynamisch verläuft, wie es die Unternehmen ursprünglich erwartet hatten.
Dem steigenden Preisdruck stehen höhere Kosten durch schärfere Zulassungsbedingungen für neue Präparate gegenüber. Zum höheren Aufwand für Forschung und Entwicklung gesellt sich ein steigendes Risiko, mit dem neuen Wirkstoff vor oder bei der Markteinführung zu scheitern. Beispiele der jüngeren Vergangenheit sind der Cholesterinsenker Dalcetrapib von Roche, das Krebstherapeutikum Cetuximab von Merck oder das Orphan Drug Pralatrexat von Allos Therapeutics.
Die Produktpipelines der Unternehmen sind deutlich leerer als vor zehn Jahren. Der Trend hin zu weniger Innovationen spiegelt sich in Deutschland in der sinkenden Zahl neu zugelassener Arzneistoffe wider. Diese schwankt zwar von Jahr zu Jahr. Generell zeigt der Trend aber nach unten. Kamen zu Beginn der 2000er-Jahre in Deutschland in der Regel noch dreißig oder mehr neue Arzneistoffe auf den Markt, so waren es 2010 und 2011 nur noch 21, beziehungsweise 23. In diesem Jahr sind es bislang nur fünf.
In der aktuellen Untersuchung gehen die befragten Pharma-Manager davon aus, dass sich die Situation weiter verschlechtert. Bis zum Jahr 2015 laufen Arzneimittelpatente mit einem weltweiten Umsatz von rund 125 Milliarden Euro aus. Die Unternehmensberatung Booz warnt die Hersteller deshalb vor einer »strategischen Lücke im Produktportfolio«. Den Pharmaunternehmen drohe eine »signifikante Erosion der bisherigen Erträge«.
Booz sieht bei den Unternehmen deutliche Strategiefehler. Fast 60 Prozent der befragten Pharmamanager machten sich erst ein bis drei Jahre vor dem Ablauf eines Patents Gedanken über die weitere Vermarktung des Präparates. Damit verspielten sie die Möglichkeit, Altoriginale Rechtzeitig im Wettbewerb mit Generika zu positionieren.
Fehler sehen die Berater auch bei der Planung der heute in den meisten Ländern obligaten Verhandlungen mit den Kostenträgern. Bei einem Viertel der befragten Unternehmen würden die Gespräche über klinischen Nutzen und Erstattungsbeträge erst während der Phase III der klinischen Tests beginnen. Sogar fast ein Drittel der Unternehmen wartet damit sogar bis zum Abschluss der Phase-III-Untersuchungen.
Neue Geschäftsfelder
Angesichts der größer werdenden Unsicherheiten im Gesundheitsmarkt empfiehlt Booz den Pharmaunternehmen, auf innovative, hochpreisige Medikamente für seltene Erkrankungen zu setzen. Dieser Markt werde bis 2015 um rund 10 Prozent wachsen. Das Kerngeschäft sollte aber ergänzt werden über neue Geschäftsfelder wie Dienstleistungen oder den Einstieg in das Generikageschäft. /