Gesunde gesund erhalten |
30.04.2012 18:44 Uhr |
In Zukunft könnten Apotheker, Ärzte und andere Leistungserbringer pro Versichertem ein Budget erhalten, statt möglichst viele Patienten zu behandeln oder Packungen abzugeben, um das Einkommen zu sichern. Das prognostizierte Professor Dr. Ferdinand M. Gerlach, stellvertretender Vorsitzender des Sachverständigenrats zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen. Hintergrund sind sogenannte Megatrends.
Zu diesen Megatrends zählen die demografische Entwicklung, die Zunahme von Chronikern und multimorbiden Patienten in allen Industrienationen sowie deutsche Besonderheiten, zum Beispiel mit einer auffällig hohen Zahl von Arzt-Patienten-Kontakten. »An einem durchschnittlichen Montag sitzen 8 Prozent der Bevölkerung in einem Wartezimmer«, verdeutlichte Gerlach. Ineffizienzen wie diese könne man sich in Zukunft nicht mehr leisten.
Professor Dr. Ferdinand M. Gerlach, stellvertretender Vorsitzender des Sachverständigenrats zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen, stellte Megatrends im Gesundheitsmarkt vor.
Der unabhängige Sachverständigenrat schlägt daher eine radikale Änderung des Versorgungssystems vor. Allerdings keine zentralstaatliche Lösung, sondern eine Vielzahl von Änderungen, die regional angepasst werden müssen. Gerlach stellte das Konzept der »primärversorgenden Praxis« vor. Hier schließen sich mehrere Ärzte zusammen, die vermehrt Koordinations- und Managementaufgaben übernehmen, zum Beispiel wenn nötig die Patienten an Fachärzte oder an den klinischen Sektor überweisen. »Im Moment flippern Patienten wie Kugeln durch das Gesundheitssystem«, kritisierte Gerlach. Er stellt sich die primäversorgenden Praxen als »Gatekeeper« vor. Insgesamt soll es zu weniger Arzt-Patienten-Kontakten kommen, Krankenhausaufenthalte sollen reduziert und verkürzt, Chroniker besser betreut und Gesunde gesund gehalten werden.
Eine sektorübergreifende Kooperation, auch mit Apotheken, hält Gerlach für entscheidend, zum Beispiel Spezialsprechstunden mit Fachärzten oder Patientenschulungen durch Apotheker. Zusätzlich müssten fortgebildete medizinische Fachkräfte die Ärzte entlasten und mehr bei der Patientenbetreuung mitwirken, zum Beispiel Hausbesuche übernehmen.
Solche kooperativen Konzepte sollen auch dem heilberuflichen Nachwuchs entgegenkommen. Dieser sei vor allem weiblich, oft mit einem Akademiker liiert, der selbst örtlich flexibel bleiben muss, und daher städtisch orientiert. Auch der Wunsch nach flexiblen Arbeitszeiten oder Teilzeitstellen werde immer größer. Dies ließe sich in Verbünden von Praxen und Apotheken besser umsetzen.
Das Vergütungssystem muss laut Gerlach angepasst werden. Dazu müssen sich die Versicherten zum Beispiel bei einer Praxis einschreiben. Eine Region erhält nun je nach vorhandener Versichertenstruktur eine kontaktunabhängige Bezahlung in Form von Budgets prospektiv, also bevor Leistungen erbracht werden. Daran könnten auch die Apotheken beteiligt werden, statt pro abgegebener Arzneimittelpackung bezahlt zu werden. Apotheken sollten noch mehr Verantwortung für die Qualität und Wirtschaftlichkeit der AM-Auswahl übernehmen.
Nach Meinung des Sachverständigenrats sind für die Primärversorgung folgende Faktoren entscheidend: Zugänglichkeit für alle Versicherten, kontrollierte Qualität, Effizienz, Kontinuität in der Betreuung, Bevölkerungsbezug und eine Angemessenheit der Maßnahmen.
In ländlichen Bereichen könnte es sowohl eine zentrale Hausarztversorgung in den größeren Städten geben, aber auch kleine Standorte in jeder Gemeinde, solange diese sich besser vernetzen. Die Vergütung könnte hier an die Bevölkerungsdichte angepasst und entsprechend subventioniert werden. Gerlach sah keinen wesentlichen Bedarf für Gesetzesänderungen, da viele Bausteine des Konzeptes schon möglich seien und sogar schon durchgeführt würden. Allerdings müsse das Vergütungssytem komplett neu ausgestaltet werden.