Pharmazeutische Zeitung online
Versorgungsmodell

Versorgung chronischer Wunden im Netzwerk

02.05.2011  14:52 Uhr

Von Marc Schmidt1, Martin Storck2, Monika Schindzielorz2 und Hartmut Morck3 / In Deutschland werden jährlich mehr als vier Millionen Patienten mit chronischen Wunden behandelt. Die Behandlungskosten belaufen sich dabei auf schätzungsweise über vier Milliarden Euro pro Jahr. (1) Exakte Zahlen liegen in Deutschland weder über die Zahl betroffener Patienten, noch über die durch chronische Wunden verursachten direkten und indirekten Kosten vor. In Anbetracht der demografischen Entwicklung ist bei einer stetigen Zunahme von Risikoerkrankungen auch mit einem drastisch ansteigenden Auftreten von chronischen Wunden zu rechnen. Vor diesem Hintergrund sind Maßnahmen zur Verbesserung der Behandlungsqualität und zur Kostenreduktion dringend erforderlich. (2)

Chronische Wunden sind Wunden, die über einen definierten Zeitraum hinaus bestehen, ohne eine Heilungstendenz aufzuweisen. Der Übergang von einer akuten in eine chronische Wunde kann in jeder Phase der Heilung vonstatten gehen, und ist meist das Symptom einer chronischen Grunderkrankung (periphere arterielle Verschluss­erkrankung, Diabetes mellitus, chronisch venöse Insuffizienz et cetera). (3)

 

Behandlungskonzept

 

Die Versorgung ist ein komplexes Problem sowohl für den Patienten, als auch für den behandelnden Arzt. Neben der körperlichen Schädigung sind psychische Belastung, erhebliche soziale Folgen und ökonomische Aspekte zu berücksichtigen. Die Therapie führt nur dann zum Heilungserfolg, wenn die Grunderkrankung(en) kausal behandelt wird (werden). (4)

 

Chronische Erkrankungen

 

Die Therapie chronischer Erkrankungen ist in unserem Gesundheitssystem wenig etabliert und zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass es selten monokausale Ursachen gibt, die Verläufe langwierig sind und oft von teuren Interventionen begleitet werden.

Ein optimales Versorgungskonzept fußt auf einer interdisziplinären, multiprofessionellen Konzeption, dem die klassische Fragmentierung unseres Gesundheitswesens und die daraus resultierende mangelnde Koordination und Kommunikation zwischen den beteiligten Sektoren entgegensteht. Trotz ausgeschöpfter finanzieller Ressourcen sind Kosten-Nutzen-Analysen zur gezielteren Steuerung der Geldmittel immer noch nicht in der Alltagsrealität angekommen.

 

Leitlinien

 

Es existiert keine nationale Leitlinie, die die Behandlungspfade und Vorgehensweisen bei der Behandlung chronischer Wunden festlegt.

PZ-Originalia

In der Rubrik Originalia werden wissen­schaftliche Untersuchungen und Studien veröffentlicht. Eingereichte Beiträge sollten in der Regel den Umfang von zwei Druckseiten nicht überschreiten und per E-Mail geschickt werden. Die PZ behält sich vor, eingereichte Manuskripte abzulehnen. Die veröffentlichten Beiträge geben nicht grundsätzlich die Meinung der Redaktion wieder.

Selbst die »best practice«-Methode der feuchten, phasenadaptierten Wundbehandlung gilt als wissenschaftlich nicht erwiesen (Palfreyman et. al.). (5) Das Fehlen standardisierter, Evidenz-basierter Behandlungsformen führt in der täglichen Praxis zu stark unterschiedlichen Behandlungsstrategien mit einer Tendenz zum Polypragmatismus, was erhebliche Kosten verursacht und häufig zu nicht zufriedenstellenden Ergebnissen führt. Trotz erkennbarer Vorteile ist die moderne Wundversorgung nicht flächendeckend eta­bliert. (6)

 

Studien

 

Eine Literaturrecherche ergab, dass es bis zum heutigen Zeitpunkt keine Untersuchung gibt, die die Faktoren Wundausgangsgröße, Diagnose(n), Co-Diagnose(n), Dauer bis zum Wundschluss und Materialkosten berücksichtigt. (7) Die klassischen klinischen Studien (RCT) eignen sich allerdings nur bedingt zur Beweisführung. Zur Untersuchung der Alltagswirklichkeit (»effectiveness«) wurde deshalb eine epidemiologische Studie im Sinne einer NIS organisiert.

 

Neuarchitektur eines Wundkompetenznetzes

 

Im vorliegenden Modell wurde nicht nur der durchgängige Einsatz moderner Wundauflagen realisiert, sondern auch ein festgelegter Behandlungspfad implementiert, der sowohl Differentialdiagnose, Kausaltherapie, strukturierte Überleitung, Behandlung nach Standard und Folgedokumentation umfasst.

 

Zunächst wurde ein Konzept entwickelt, das die Basis zur Übernahme der Steuerungsfunktion im interdisziplinären Netzwerk durch den Apotheker schafft. Einfache Regeln, maximale Transparenz, und lokale Ausrichtung sind tragende Säulen der Konstruktion.

 

Das Wundkompetenznetz Mittlerer Oberrhein

 

Für das Wundkompetenznetz MOR wurden folgende allgemeine Ziele definiert:

 

Nutzen und Qualität der Behandlung steigern und zweifelsfrei belegen

transparente Darstellung der Kosten- (reduktion)

dokumentierte Sicherung der Qualität durch Leitlinien und Standards

 

Ausgangspunkt ist immer der stationäre Sektor: in der Klinik werden die (Differential-)Diagnostik und die nötigen Kausaltherapien sichergestellt. Der Patient wird dann strukturiert übergeleitet. (8) Die Therapiehoheit im ambulanten Bereich liegt beim niedergelassenen Arzt oder Facharzt. Diese Verantwortlichkeit ist nicht übertragbar. Ambulante Dienste, Alten- und Pflegeheime übernehmen die »Durchführungsverantwortung« für die korrekte Einhaltung des Behandlungsstandards (SETI Prinzip) (9) und die Verbandwechsel. Der Apotheker übernimmt die Rolle des Lotsen oder »Case Managers« im Sinne eines »pharmaceutical care«. Dabei nimmt er drei Hauptaufgaben wahr:

 

Behandlungsmanagement (Organisation und Überwachung der Therapie)

Datenmanagement (Generierung und Auswertung der Daten inklusive der Foto­dokumentation)

Sektorenmanagement (Information, transparente Darstellung der Ergebnisse, Fortbildung)

 

Die Ergebnisse sind in der Tabelle aufgelistet.

 

Fazit

 

Mit traditionellen Vorgehensweisen und Maßnahmen zur Behandlung akuter Erkrankungen allein, kann aufgrund der Vielzahl negativer Einflussmöglichkeiten kein optimales Ergebnis bei der Versorgung chronischer Wunden erzielt werden.

 

Neben der Grund- und den Begleiterkrankungen sind weitere Parameter für den Heilungsverlauf von großer Bedeutung. Die resultierenden (Co-)Medikationen, die Auswahl der richtigen Wundauflagen in Abhängigkeit vom Zustand der Wunde, und die Compliance der Patienten haben einen großen Einfluss auf den Therapieerfolg.

 

Durch eine engmaschige, lückenlose (Foto-)Dokumentation hat der Apotheker als »Case Manager« stets neueste Informationen über den Verlauf der Wundheilung und kann so gegebenenfalls zeitnah intervenieren.

 

Die aus der Beurteilung der Gesamtsituation einzuleitenden Maßnahmen folgen nach definierten Leitlinien oder Standards.

 

Allein das optimale Ausnutzen etablierter Behandlungspfade bringt eine signifikante Verbesserung der Versorgung von Patienten mit chronischen Wunden im medizinischen, pflegerischen und wirtschaftlichen Bereich. Dabei ist das Einhalten des dualen Ansatzes (Kausaltherapie, hydroaktive phasenadaptierte Wundversorgung) Grundvoraussetzung.

 

Die Bildung von Preiskorridoren oder generischen Preisgruppen innerhalb der Produktgruppen ist nicht sinnvoll. Nicht die Produkte, sondern die Prozesse müssen verbessert werden. Die Datensammlung ist bundesweit einzigartig, der Grad der Vernetzung beispielhaft. Die dauerhafte Finanzierung sowohl der Therapie als auch der wissenschaftlichen Evaluation wird durch einen IV-Vertrag nach § 140 SGB V gesichert.

 

Eine Ausweitung auf weitere versorgungsrelevante Bereiche wie Schmerz- beziehungsweise Diabetes-Management ist geplant, und kann ebenfalls durch die bestehende Infrastruktur dargestellt werden.

 

Weitere Indikationen, deren Therapiekonzept interdisziplinär angelegt werden muss, können in gleicher Weise organisiert werden. /

Ergebnisse der Untersuchung

Thema Ergebnis
1.) Patientenbezogene Ergebnisse
Anzahl Patienten 2006-2009 450
davon ausgewertete Patienten 300 Patienten/417 Wunden
Anzahl Wunden pro Patient Ø 1,39 Wunden pro Patient (min =1; max = 4)
Alter und Altersverteilung
Wunden sind ein Altersproblem; Ø = 69,3 Jahre (m=Ø 65 Jahre, w=Ø 75 Jahre)
mehr als 80 Prozent sind älter als 60 Jahre, 60 Prozent sind älter als 60 Jahre
Diagnosen/Begleiterkrankungen
Wundpatienten sind multimorbide Menschen Ø = 7 CoDiagnosen (min = 5; max =12)
Etablieren eines »pharmaceutical care« erforderlich
Diagnosen chronischer Wunden
75 Prozent vaskuläre Ursachen; 70 Prozent Diabetiker; 35 Prozent Raucher (Dunkelziffer höher)
Kausaltherapie wichtig für Behandlungserfolg
Bezug Geschlecht-Diagnose
Frauen leiden häufiger an Ulcus Cruris und Decubitus, Männer an pAVK, DFS und sek. OP ­Wunden
bei Männern nimmt der Lebenswandel, bei Frauen das Alter Einfluss auf die Erkrankung
Bezug Alter-Diagnose
Decubitus = Alterserscheinung: Ø 76 Jahre;
sek. OP Wunde = Wohlstandserkrankung: Ø 66 ­Jahre
Diagnosen sind altersabhängig
Geschlechterverteilung Männer sind häufiger betroffen (57 Prozent), weil Wohlstandserkrankungen früher auftreten
Compliance 20 Prozent aller übergeleiteten Patienten sind nicht therapietreu
Non-Compliance
59 Prozent aller nicht adhärenten Patienten sind fremdgesteuert (Arzt/amb. Dienst/Altenheim)
Aufklärung aller Beteiligten steigert Adhärenz und somit den Behandlungserfolg
2.) Ergebnisse, die sich auf die Behandlung beziehen
1. Qualitätskriterium: Wundschlussrate
95 Prozent Wundschluss bei Einhalten des dualen Therapieansatzes und Patienten compliant sind
4 Prozent Amputationsrate; 1Prozent stabile Wundverhältnisse
Wundauflagen

hydroaktiv, phasengerecht, duchgängig nach SETI Standard und diagnoseunabhängig eingesetzt
80 Prozent aller eingesetzten Auflagen lassen sich vier Produktgruppen zuordnen:
PU-Schäume (30 Prozent); Hydrogele (2 0Prozent); Alginate und antiinfektiös wirkende Auflagen (je 15 Prozent)
Abheilungsgeschwindigkeit definiert durch »whi = wound healing index«: geschlossene Wundfläche in m² pro Tag x 100
2. Qualitätskriterium: Anzahl Tage bis WS
Ø 90 Tage; Wundschluss erfogt mehrheitlich, bevor die Wunde als chronisch definiert wird
mehr als 60 Prozent aller Wundschlüsse erfolgen in weniger als 90 Tagen, 73 Prozent innerhalb von 120 Tagen
Anzahl Tage bis WS pro Diagnose Abheilungsgeschwindigkeit hängt nur von der Diagnose ab, nicht von der Wundausgangsfläche
Qualitätsvergleich zwischen zwei
Kohorten
nur unter Berücksichtigung der Diagnosen möglich
Bezug Alter – Wundschluss Erreichen des Wundschluss ist altersunabhängig
3.Qualitätskriterium: Rezidivrate 3,66 Prozent
3.) Ökonomische Daten
Materialkosten bis Wundschluss Ø 323,70 Euro netto; Tagestherapiekosten: Ø 3,55 Euro netto
Materialkosten bis Wundschluss pro Tag hängen allein von der Diagnose und damit von der Anzahl Tage bis zum Wundschluss ab
Materialkosten pro qcm bis Wundschluss hängen nicht von Ausgangsgröße ab, sondern von der Abheilungsgeschwindigkeit
Materialkosten im Vergleich zur ­Regelversorgung (Krankenkassenregister)
Kostenersparnis bei allen Diagnosen signifikant (longitudinal, aus Kassenregister, matched pair)
konsequente Einhaltung des dualen Therapieansatzes bringt 70 Prozent Einsparung Material­kosten
Hochrechnung Einsparung Material­kosten 1.314.000 Euro netto für AOK MOR im Jahr 2008
Bildung von Preiskorridoren nicht sinnvoll, da geringe Einsparung von 50 Euro netto pro Jahr aber starke Einschränkung bei der Auswahl

Literatur

<typolist type="1">

Debus E.S. et al.: »Medizinische und ökonomische Aspekte der Zentrumsbildung in der Wundbehandlung«. Gefäßchirurgie 2003, 8, S.259-268

E.-M. Panfil et al. Die Wundversorgung von Menschen mit chronischen Wunden Pflege 2002; 15:169–176

Lippert H. Wundatlas, Thieme Verlag 2006, s. 192-195

Zollmann Ch. Versorgung chronischer Wunden im Wundnetz Thüringen, 2007

Palfreyman S, Nelson EA, Michaels JA. dressings for venous leg ulcers: systematic review and meta-analysis, BMJ. 2007 (335) (7613)

Sellmer W. Die zeitgemäße Versorgung chronischer Wunden, Handout Version 01 (Januar 2010)

MDS. Bewertung von Wundauflagen, Juni 2009

Hug J, Bauer D. et al. Überleitbogen des Städtischen Klinikums Karlsruhe, Januar 2010

Storck M, Karl T. et al. Wundbehandlungsstandard, Mai 2008

 

1) Dr. Marc Schmidt, St. Georg Gesundheitsdienste, Bruchsal

2) Professor Dr. Martin Storck und Monika Schindzielorz, Städtisches Klinikum Karlsruhe

3) Professor Dr. Hartmut Morck, Pharmazeutisches Institut der Philipps-Universität Marburg

Für die Verfasser

 

Dr. Marc Schmidt

St. Georg Gesundheitsdienste

Büchenauer Straße 28

76646 Bruchsal

Die experimentelle KI
von PZ und PTA-Forum
Die experimentelle KI
von PZ und PTA-Forum
Die experimentelle KI
von PZ und PTA-Forum
 
FAQ
SENDEN
Wie kann man die CAR-T-Zelltherapie einfach erklären?
Warum gibt es keinen Impfstoff gegen HIV?
Was hat der BGH im Fall von AvP entschieden?
GESAMTER ZEITRAUM
3 JAHRE
1 JAHR
SENDEN
IHRE FRAGE WIRD BEARBEITET ...
UNSERE ANTWORT
QUELLEN
22.01.2023 – Fehlende Evidenz?
LAV Niedersachsen sieht Verbesserungsbedarf
» ... Frag die KI ist ein experimentelles Angebot der Pharmazeutischen Zeitung. Es nutzt Künstliche Intelligenz, um Fragen zu Themen der Branche zu beantworten. Die Antworten basieren auf dem Artikelarchiv der Pharmazeutischen Zeitung und des PTA-Forums. Die durch die KI generierten Antworten sind mit Links zu den Originalartikeln. ... «
Ihr Feedback
War diese Antwort für Sie hilfreich?
 
 
FEEDBACK SENDEN
FAQ
Was ist »Frag die KI«?
»Frag die KI« ist ein experimentelles Angebot der Pharmazeutischen Zeitung. Es nutzt Künstliche Intelligenz, um Fragen zu Themen der Branche zu beantworten. Die Antworten basieren auf dem Artikelarchiv der Pharmazeutischen Zeitung und des PTA-Forums. Die durch die KI generierten Antworten sind mit Links zu den Originalartikeln der Pharmazeutischen Zeitung und des PTA-Forums versehen, in denen mehr Informationen zu finden sind. Die Redaktion der Pharmazeutischen Zeitung verfolgt in ihren Artikeln das Ziel, kompetent, seriös, umfassend und zeitnah über berufspolitische und gesundheitspolitische Entwicklungen, relevante Entwicklungen in der pharmazeutischen Forschung sowie den aktuellen Stand der pharmazeutischen Praxis zu informieren.
Was sollte ich bei den Fragen beachten?
Damit die KI die besten und hilfreichsten Antworten geben kann, sollten verschiedene Tipps beachtet werden. Die Frage sollte möglichst präzise gestellt werden. Denn je genauer die Frage formuliert ist, desto zielgerichteter kann die KI antworten. Vollständige Sätze erhöhen die Wahrscheinlichkeit einer guten Antwort.
Wie nutze ich den Zeitfilter?
Damit die KI sich bei ihrer Antwort auf aktuelle Beiträge beschränkt, kann die Suche zeitlich eingegrenzt werden. Artikel, die älter als sieben Jahre sind, werden derzeit nicht berücksichtigt.
Sind die Ergebnisse der KI-Fragen durchweg korrekt?
Die KI kann nicht auf jede Frage eine Antwort liefern. Wenn die Frage ein Thema betrifft, zu dem wir keine Artikel veröffentlicht haben, wird die KI dies in ihrer Antwort entsprechend mitteilen. Es besteht zudem eine Wahrscheinlichkeit, dass die Antwort unvollständig, veraltet oder falsch sein kann. Die Redaktion der Pharmazeutischen Zeitung übernimmt keine Verantwortung für die Richtigkeit der KI-Antworten.
Werden meine Daten gespeichert oder verarbeitet?
Wir nutzen gestellte Fragen und Feedback ausschließlich zur Generierung einer Antwort innerhalb unserer Anwendung und zur Verbesserung der Qualität zukünftiger Ergebnisse. Dabei werden keine zusätzlichen personenbezogenen Daten erfasst oder gespeichert.

Mehr von Avoxa